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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Polen

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Polen (Geschichte bis 1382).

bis zu seinem Tod (1173), worauf es an Mieczyslaw Stary überging, dem es von Kasimir II. Sprawiedliwy (dem Gerechten), dem fünften Sohn Boleslaws III., 1177 entrissen wurde. Als Kasimir 1194 starb, war das Prinzipat zwischen dessen Sohn Leszek Bialy (dem Weißen) und Mieczyslaw (gest. 1202) streitig, und dessen Sohn Wladislaw Laskonogi (Dünnbein) wurde von seinem Neffen Wladislaw Odonicz sogar aus seinem Erbland Großpolen verdrängt und starb 1231 im Exil. Während dieser Zwistigkeiten verlor P. seinen Einfluß auf Pommern; Schlesien entzog sich mehr und mehr dem Zusammenhang mit P. und wurde durch starke deutsche Einwanderung germanisiert; der Herzog Konrad von Masovien aber sah sich durch die unaufhörlichen Einfälle der heidnischen Preußen und Litauer 1225 gezwungen, den Deutschen Orden zur Bekämpfung der Heiden einzuladen und die Landschaften Kulm und Löbau ihm zu überlassen. Infolge davon entstand zwischen P. und dem Baltischen Meer ein Staat, der ihm freilich Schutz gegen die preußischen und litauischen Barbaren gewährte, aber nicht bloß völlige Selbständigkeit erlangte, sondern auch durch die Germanisierung Preußens in nationalen Gegensatz zu P. trat. Das geschwächte und zersplitterte P. vermochte daher 1240, als die Mongolen auf ihrem Zug nach dem Abendland in P. einbrachen, keinen Widerstand zu leisten und würde, wie Rußland, denselben dauernd unterworfen worden sein, wenn sie nicht nach der Schlacht bei Liegnitz (9. April 1241) sich nach Süden gewendet hätten.

Die durch die innern Kriege und die Einfälle der Barbaren bewirkte Entvölkerung der Landschaften beförderte im 13. Jahrh. die Einwanderung der Deutschen, die nicht vereinzelt, sondern in geschlossenen Haufen kamen, sich gegen Verbürgung ihrer persönlichen Freiheit, des Erbrechts an Grund und Boden und der Steuerfreiheit in den ersten Jahren der Ansiedelung auf urbar zu machenden Strecken niederließen und deutsches Gemeinderecht sowie die heimische Gemeindeverfassung mitbrachten. Fürsten, Klerus und Adel begünstigten diese Einwanderung um so mehr, als ihre vorteilhaften Wirkungen augenfällig waren, aus den Dörfern sich Städte entwickelten, welche meist magdeburgisches Recht bei sich einführten, und Handel und Gewerbe einen großen Aufschwung nahmen. Auch die polnischen Städte bemühten sich, deutsche Einwohner an sich heranzuziehen und durch die Einführung der deutschen Gemeindeverfassung eine größere Selbständigkeit zu gewinnen. Der Klerus, der sich, vornehmlich in den Klöstern, vielfach aus Deutschland ergänzte, erwarb neben gesteigerter politischer Bedeutung Steuerfreiheit und Immunität von den weltlichen Gerichten, der Adel die weitgehendsten Vorrechte. Die Gewalt der Teilfürstentümer, deren Zersplitterung gegen Ende des 13. Jahrh. so weit gediehen war, daß manche nur noch aus einem Schloß und einem kleinen Distrikt bestanden, sank unter diesen Umständen zu einem Schatten herab. Das Prinzipat war nur dem Namen nach erhalten und kam den Fürsten von Krakau zu, Boleslaw Wstidliwy (dem Keuschen, 1242-79) und Leszek Czarny (dem Schwarzen, 1279-88). Auf letztern folgte Herzog Heinrich IV. von Breslau (1288-90), ein deutscher Reichsfürst, so daß P. das Schicksal Schlesiens teilen und in den Verband des Deutschen Reichs übergehen zu sollen schien. Kleinpolen unterwarf sich 1292 dem König Wenzel von Böhmen, und nach der kurzen Herrschaft Przemyslaws II. in Großpolen, der sich vom Papste die Königskrone verleihen ließ, aber schon 1293 ermordet wurde, erkannten auch die Großpolen Wenzels Herrschaft an.

Da aber mit Wenzels Tod 1306 das böhmische Königsgeschlecht der Przemysliden erlosch, faßte einer der piastischen Herzöge, der vor den Böhmen P. hatte verlassen müssen, Wladislaw Lokietek (Ellenlang, 1306-33), in Krakau wieder Fuß und eroberte Landschaft auf Landschaft; Masovien, das in drei Herzogtümer geteilte Kujavien sowie die Herzogtümer Lentschiza und Dobrzyn erkannten seine Oberlehnshoheit an. Nur Pomerellen vermochte er nicht wiederzugewinnen; dasselbe fiel an den Deutschen Orden. 1320 setzte er sich mit Zustimmung des Papstes in Krakau als Wladislaw I. die Königskrone auf und vererbte sie auf seinen Sohn Kasimir I. (1333-70), der wegen seiner Verdienste um die Kultur des Landes und die Begründung einer nationalen Staatsordnung den Beinamen "der Große" erhielt. Derselbe schloß mit den Böhmen 1335 den Frieden von Trentschin, in welchem er Schlesien als ein böhmisches Lehen anerkannte, und mit dem Orden 1343 den Frieden von Kalisch, der demselben den Besitz von Pomerellen, Kulm und Michelau sicherte, eroberte aber dafür im Osten die russischen Fürstentümer Halicz und Wladimir (Lodomerien) und vereinigte nach dem Aussterben der Herzogsgeschlechter Kujavien, Lentschiza und Dobrzyn mit dem Königreich. Die deutsche Einwanderung beförderte er, verbot aber den Deutschen, sich ihr Recht von den heimischen Gerichten zu holen; die schon seit langem in P. bestehenden deutschen Rechtsoberhöfe sollten ihre zuständigen Gerichte sein. Das Gewohnheitsrecht der einzelnen Provinzen ließ Kasimir in aufgeschriebenen Statuten sammeln und zu einem allgemein gültigen Gesetzbuch (dem sogen. Statut von Wislica von 1368) für den gesamten Staat verarbeiten, welches die Grundlage der polnischen Legislative wurde. Er sorgte für den Gehorsam gegen die Gesetze und besserte dadurch die Lage der niedern Stände so, daß er der "Bauernkönig" genannt wurde, war duldsam gegen die griechischen Christen und die Juden, stiftete die Universität Krakau (1364), sicherte die Einkünfte des Reichs durch strenge Steuerverordnungen und regelte den Salinenbetrieb von Wieliczka und Bochnia durch besondere Gesetze.

Kasimir war der letzte Piast auf dem polnischen Thron. Da er keine Söhne hinterließ, ging die polnische Krone auf den schon 1355 von den Ständen bestätigten Nachfolger, den Sohn von Kasimirs Schwester Elisabeth, Ludwig von Anjou (1370-1382), König von Ungarn, über, der sich aber wenig um P. kümmerte und die Regierung daselbst erst seiner Mutter Elisabeth, dann dem zum "Gubernator" des Reichs ernannten Herzog Wladislaw von Oppeln überließ. Ludwig, der keine Söhne, sondern nur zwei Töchter, Hedwig und Maria, besaß, wollte einer derselben, Hedwig, den polnischen Thron sichern und machte 1374 dem Adel für seine Zustimmung Zugeständnisse, welche die königliche Gewalt erheblich schmälerten: der Adel wurde von allen direkten Steuern, außer einem Grundzins von zwei Groschen für die Hufe (Königssteuer), befreit und durch die Verfügung, daß in jeder Landschaft nur Eingeborne derselben Ämter bekleiden könnten, die provinzielle Sonderung und der föderale Charakter des Reichs befestigt. Nach Ludwigs Tod wurden vom Adel mehrere Provinzial- und Reichsversammlungen über die Thronfolge abgehalten; man sträubte sich namentlich gegen die weitere Personalunion mit Ungarn und die Anerkennung der Ehe Hedwigs mit dem deut-^[folgende Seite]