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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Polen

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Polen (Geschichte bis 1588).

Siegmunds I. Sohn und Nachfolger Siegmund II. August (1548-72) betrieb besonders den Plan einer Vereinigung aller allmählich erworbenen Länder, Litauens, Preußens, der russischen Provinzen Wolhynien, Podolien, Podlachien und Ukraine, mit P. zu einem Staatskörper, welcher in einem gemeinsamen Reichstag seine Vertretung haben sollte. Trotz des Widerstrebens Preußens, dessen Autonomie durch Verträge verbürgt war, der Litauer und der Russen, welche für ihre kirchliche Selbständigkeit fürchteten, wurde die Vereinigung mit ebensoviel Gewalt wie Überredung in der sogen. Lubliner Union (1569) zu stande gebracht, welche den Höhepunkt der Entwickelung Polens bezeichnet. Durch glückliche Kriege gegen die Walachei und gegen Rußland sowie durch geschickte Benutzung der Auflösung der Ordensherrschaft in Livland brachte Siegmund auch die Ausdehnung des Reichs auf die größte Höhe; denn P. umfaßte damals von den Küsten des Baltischen Meers im N. bis Bender am Dnjestr im S., von der Mündung der Netze im W. bis zur Desna im O. mehr als 940,000 qkm (17,000 QM.). Die innere Entwickelung trieb allerdings mehr und mehr einer Adelsrepublik zu. Die Heirat Siegmunds mit einer Frau aus dem Landadel, Barbara Radziwill, erregte die Eifersucht der Edelleute in solchem Grade, daß infolge der Gärung eine geraume Zeit gar kein Reichstag abgehalten werden konnte. Dazu kam die religiöse Spaltung. Die Reformation fand auch in P. zahlreiche Anhänger, und es schadete ihr anfangs nicht, daß beide Lehren, die lutherische und die calvinische, nebeneinander auftraten. Man nahm an, daß fünf Sechstel aller Einwohner sich der neuen Lehre anschlossen. Selbst die der alten Kirche treu blieben, verlangten durchgreifende Reformen, und der König, ja selbst der Primas Jakob Uchanski näherten sich in ihren Forderungen sehr den Anhängern der Reformation. Da erwählten sich die Jesuiten P. zu einem Hauptgebiet ihrer gegenreformatorischen Thätigkeit in der Erkenntnis, wie wichtig es sei, dem Katholizismus zwischen dem protestantischen Deutschland und dem schismatischen Rußland ein Herrschaftsgebiet zu wahren. Durch ihre in ihrer Art vortrefflichen Schulen gewannen sie Einfluß auf den Adel, den sie bald überzeugten, daß der Bestand der Adelsrepublik mit einer wohlgegliederten Hierarchie verträglicher sei als mit den Gleichheit aller Gläubigen predigenden Lehren der Ketzer. Zudem schwächte sich die Reformation in P. durch das Aufkommen von Sekten, besonders der Socinianer, so daß ihre Ausbreitung zum Stillstand kam.

Verfall des Reichs unter der Wahlmonarchie.

Mit Siegmund August erlosch 1572 der Mannesstamm der Jagellonen, und das bisher nur der Theorie nach bestehende Recht der Königswahl bekam jetzt eine praktische Bedeutung. Vor der Wahl vereinbarte der "Konvokationsreichstag" die Pacta conventa, die Verfassungsbestimmungen, welche jeder künftige König vor seinem Regierungsantritt beschwören sollte; danach mußte er geloben, ohne Einwilligung des Reichstags keine Steuern zu erheben, nicht über Krieg oder Frieden zu beschließen, sich mit einem Rat von Senatoren und Landboten zu umgeben u. a.; bei Lebzeiten eines Königs sollte niemals die Wahl des Nachfolgers stattfinden, sondern erst nach seinem Tode der Erzbischof-Primas einen Konvokationsreichstag, dem nicht nur die gewöhnlichen Mitglieder, Senatoren und Landboten, sondern jeder polnische Edelmann beizuwohnen berechtigt sei, zur Festsetzung und Vornahme der Wahl berufen; ein den Pacta conventa zugefügter Religionsartikel (Pax dissidentium) sicherte allen Edelleuten ohne Rücksicht auf die Konfession völlige Gleichheit zu. Damit war die polnische Adelsrepublik mit einer gewählten monarchischen Spitze vollendet und bei jeder Königswahl den Ränken des herrschsüchtigen Adels und den Umtrieben auswärtiger Mächte freier Spielraum eröffnet. Der Adel gewöhnte sich, sein Wahlrecht auszubeuten, um sich selbst zu bereichern und von den Thronbewerbern außerordentliche Subsidien zu erpressen. Gleich der erste Wahlkönig, der französische Prinz Heinrich von Anjou (1573-74, s. Heinrich 29), mußte außer den Pacta conventa sich verpflichten, auf Kosten Frankreichs eine Flotte für P. herzustellen, um ihm die Herrschaft auf der Ostsee zu erringen, ferner 4000 Mann französischer Hilfstruppen gegen die Russen zu stellen und für alle etwanigen Kriege Hilfsgelder sowie ½ Mill. Fl. jährlich aus Frankreich zur Verwendung in P. zu beziehen. Unter diesen Umständen fand Heinrich die Krone so wenig begehrenswert, daß er vier Monate nach seiner Krönung P. heimlich verließ.

Nachdem Heinrich, als er an dem ihm von der Nation bestimmten Termin nicht zurückkehrte, im Mai 1575 abgesetzt worden, wählte der Reichstag den Fürsten von Siebenbürgen, Stephan Báthori (1575-86), zum König, der sich mit der Schwester des letzten Jagellonen, Anna, vermählte. Preußen und insbesondere Danzig mußten erst mit Waffengewalt zur Anerkennung Báthoris gezwungen werden. Den Krieg mit Rußland führte der neue König aber mit Glück, siegte 1578 bei Wenden, eroberte 1579 Polozk und das nördliche Livland mit Riga, so daß der Zar 1582 einen zehnjährigen Waffenstillstand abschließen mußte. Aber Stephans und seines Günstlings Johann Zamojski Bestreben, mit Hilfe des niedern Adels dem Königtum größere Macht und Selbständigkeit zu verschaffen, scheiterte gänzlich und kam nur den Jesuiten zu statten, denen Stephan im Interesse seiner innern Politik die größte Förderung zu teil werden ließ. Die katholische Restauration griff daher im Adel immer mehr um sich, und von einer Gleichberechtigung der Protestanten war keine Rede mehr. Die Folge war, daß die der Reformation geneigte deutsche Bevölkerung der Städte, von allen politischen Rechten ausgeschlossen und nun auch in ihrer Religionsfreiheit bedroht, allmählich auswanderte; an ihre Stelle traten die Juden, und da diese völlig rechtlos waren, so verschwand in P. das selbständige bürgerliche Element fast ganz. Ein Ergebnis der Politik der römischen Kurie und der Jesuiten war auch die Wahl Siegmunds III., Sohns des Königs Johann von Schweden, nach dem Tod Stephan Báthoris (1586). Die gemäßigte Partei des Adels unter Zborowski hatte den Erzherzog Maximilian von Österreich als Kandidaten aufgestellt. Dem gegenüber betrieben Zamojski und der Primas die Wahl des mütterlicherseits von den Jagellonen abstammenden schwedischen Prinzen, durch welche P. mit Schweden vereinigt und im letztern Lande die Reformation unterdrückt werden könnte. Nach heftigen Parteikämpfen auf dem Reichstag zu Warschau 1587 wählte die katholische Partei Siegmund, die gemäßigte Maximilian, und ein Bürgerkrieg brach aus, der aber 1588 durch die Niederlage und Gefangennahme Maximilians bei Pitschen beendet wurde.

Siegmund III. (1587-1632), der erste Wasa auf dem polnischen Thron, ein fanatischer Anhänger der römischen Kirche, ließ den Jesuiten völlig freies Spiel, verlieh nur den Katholiken Ämter und Würden und