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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Preußen

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Preußen (Geschichte: Friedrich der Große).

drang er darauf, daß verödete Hofstellen wieder mit Bauern besetzt, Dörfer und Städte neu aufgebaut wurden. In Ostpreußen wo 1721: 60,000 Hufen wüst lagen, beförderte er die Einwanderung fremder Kolonisten mit großen Opfern (die Ansiedelung der 18,000 Salzburger in Litauen 1732 kostete über 5 Mill. Thlr.) und hatte die Genugthuung, daß hier 12 Städte, 332 Dörfer und 49 Domänengüter teils wiederhergestellt, teils neu angelegt wurden. Weniger Erfolg hatte für Handel und Gewerbe sein Merkantilsystem; nur die Wollmanufaktur wurde durch seine Zwangsmaßregeln begründet. Zwar war der König durchaus Selbstherrscher, kümmerte sich um das Geringste und behielt sich in allem die Entscheidung vor. Gleichwohl wußte er den Wert eines arbeitsamen, redlichen, pflichttreuen und unterrichteten Beamtentums wohl zu würdigen. Die damals allgemein übliche Anschauung, daß ein Amt eine berechtigte Gelegenheit sei, sich selbst zu bereichern, rottete er durch mitunter grausame Strafen aus und kannte bei der Ahndung der geringsten Pflichtversäumnis keine Person, keinen Rang; eifrige, unterrichtete Beamte wurden dagegen rasch befördert. Wie auf eine gewissenhafte Verwaltung, so sah er auf eine rasche und gerechte Justiz. Auf diese Weise gelang es ihm, unter den schwierigsten Verhältnissen ein Staatswesen zu begründen, welches, von einem energischen und intelligenten Willen einheitlich geleitet, mittels einer gut organisierten Verwaltungsmaschine die Kräfte des Landes hob und zugleich durch die Aufstellung eines großen und tüchtigen Heers für die Machtentwickelung des Staats im höchsten Grad nutzbar machte. Das Beamtentum und das Heer waren die Säulen, auf denen das schmucklose, rauhe, aber praktische und dauerhafte Gebäude des preußischen Staats ruhte.

Preußens Machtentwickelung unter Friedrich d. Gr.

Friedrich Wilhelm I. machte von den durch ihn geschaffenen Machtmitteln für die äußere Stellung Preußens keinen Gebrauch. Da er ohne Kenntnis der auswärtigen Verhältnisse und von Vorurteilen, namentlich einem ingrimmigen Haß gegen die Franzosen und einem lebhaften Gefühl seiner Lehnspflicht gegen den Kaiser, beherrscht war, bewegte sich unter dem Einfluß seiner von Österreich bestochenen Umgebung seine äußere Politik durchaus im Kielwasser des Wiener Hofs, der das gutmütige Vertrauen des Königs mit rücksichtsloser Selbstsucht ausbeutete. P. vernichtete sich in den Verträgen von Wusterhausen (12. Okt. 1726) und von Berlin (23. Dez. 1728) zur Garantie der Pragmatischen Sanktion und unterstützte im polnischen Erbfolgekrieg gegen sein Interesse den österreichischen Kandidaten August von Sachsen. Österreich lohnte ihm damit, daß es die jülisch-bergische Erbschaft, die P. zukam und versprochen war, 1738 der Linie Pfalz-Sulzbach zusicherte. Jedoch hatte gerade dadurch König Friedrich II., der nach König Friedrich Wilhelms Tod (31. Mai 1740) den Thron bestieg, vollkommen freie Hand erhalten, und er war der Herrscher, welcher das Schwert, das sein Vater geschliffen, zum Ruhm und zum Vorteil seines Staats zu schwingen vermochte. Daß die Grundsätze der innern Verwaltung seines Vorgängers für P. die richtigen und erfolgreichsten waren, hatte Friedrich eingesehen und behielt sie daher bei, indem er nur die Pflege der geistigen Interessen nicht versäumte, der religiösen Aufklärung und der Geistesfreiheit Bahn brach und die Prinzipien derselben auch dem Beamtentum einpflanzte. Auch er betrachtete sich als den obersten Verwaltungsbeamten oder Diener des Staats, fühlte sich für alles verantwortlich und behielt sich in allem die Entscheidung vor. Aber er wollte P. auch zu einer den Nachbarstaaten ebenbürtigen Macht erheben, es zu einem wirklichen Königreich machen, was es mit 118,000 qkm und 2½ Mill. Einw. nicht sein konnte. Er war daher entschlossen, alle seine Rechte und Ansprüche auf Gebietsvergrößerung voll zu wahren und von den Zeitumständen den Nutzen für sich zu ziehen, den er erlangen konnte. Berg wollte er sich keinesfalls entreißen lassen und traf alle Vorkehrungen, sich seinen Besitz zu sichern, als der Tod des letzten Habsburgers, Karls VI. (20. Okt. 1740), seine Blicke auf Schlesien lenkte, auf das sein Haus ein (freilich zweifelhaftes) altes Recht hatte. Um die Erbschaft der deutschen Habsburger mußte ein allgemeiner europäischer Krieg entbrennen; Friedrich beschloß, seine Militärmacht, die er auf 100,000 Mann erhöhte, zur teilweisen oder gänzlichen Erwerbung Schlesiens zu verwerten. Nachdem seine Anerbietungen, gegen die Abtretung eines Teils von Schlesien die Thronfolge Maria Theresias zu verteidigen, schroff und höhnisch abgewiesen worden, sah er sich gezwungen, zum Schwert zu greifen. Der erste Schlesische Krieg (1740-42, s. Schlesische Kriege 1) zeigte der erstaunten Welt nicht bloß die Kriegstüchtigkeit der bisher oft verspotteten preußischen Armee, sondern verschaffte P. durch die Siege bei Mollwitz (10. April 1741) und Chotusitz (17. Mai 1742) in kurzer Zeit den Besitz von Schlesien und Glatz (im Berliner Frieden 28. Juli 1742). Aber bereits 1744 war er genötigt, um diese Erwerbung gegen die wieder erstarkende Macht Österreichs zu sichern, den zweiten Schlesischen Krieg (1744-45, s. Schlesische Kriege 2) zu beginnen, in welchem er anfangs in nicht geringe Bedrängnis geriet, aus der ihn aber der überaus glückliche Feldzug von 1745 mit den Siegen zu Hohenfriedeberg (4. Juni), Soor (30. Sept.) u. Kesselsdorf (15. Dez.) befreite. Im Frieden von Dresden (25. Dez. 1745) begnügte er sich mit der Behauptung von Schlesien.

Das kühne Auftreten und das Glück des Emporkömmlings, wofür die alten Mächte Friedrich hielten, erregten deren Neid und den Gedanken einer gemeinsamen Aktion, um ihn zu unterdrücken. Der König begann den Siebenjährigen Krieg (s. d.), um die gefürchtete europäische Koalition durch rasche Niederwerfung des Hauptfeindes Österreich im Keim zu ersticken; indem ihm dies aber weder 1756 noch Anfang 1757 gelang, bewirkte er gerade das Zustandekommen des großen, zu seiner Vernichtung gestifteten Bundes, gegen den er sich in langem verzweiflungsvollen Ringen nur eben behauptete. P. erhielt für die ungeheuern Opfer an Geld und Menschen, die er in diesem Kriege gebracht, im Hubertusburger Frieden (15. Febr. 1763) nicht die geringste Entschädigung, der Gewinn langer Friedensarbeit war wieder zerstört, und nur der Gebietsstand des Staats und der Kriegsruhm waren geblieben. Indessen hatten die Kriege Friedrichs II. in andrer Hinsicht hohe Bedeutung. Nicht bloß die Offiziere und Soldaten waren stolz darauf, an dem Ruhm dieser Kriege einigen Anteil zu haben, auch die übrigen Bewohner Preußens rühmten sich, Unterthanen eines Königs und Glieder eines Volkes zu sein, die sich gegen fast ganz Europa mit Erfolg verteidigt hatten. Ja, das ganze deutsche Volk nahm an diesem nationalen Aufschwung teil. Durch die Thaten seines Großen Königs und seines tapfern Heers wurde P. zu einer europäischen Großmacht erhoben.

Die Verschärfung des Gegensatzes zu Österreich beengte allerdings die Aktionsfreiheit beider deut-^[folgende Seite]