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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Rind

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Rind (Rassen des Hausrindes).

gestorben betrachtet werden. Sehr verschieden vom Auerochsen erscheint endlich eine dritte Form mit sehr großer, breiter Stirn, deren Überreste sich mit denen des letztern zusammen in Torfmooren Skandinaviens finden. Dieser großstirnige Ochs (B. frontosus Nils.) scheint auch in Deutschland heimisch gewesen, nach der Schweiz gekommen zu sein und dort Veranlassung zur Bildung der fleckigen Rinderrasse gegeben zu haben, deren Schädelformen mit B. frontosus mehr übereinstimmen als mit B. brachyceros. Fossile Reste von B. frontosus sind in der Schweiz nicht, wohl aber in Schottland aufgefunden worden.

Die jetzt lebenden Rinder lassen sich nach den Urtypen in drei Gruppen bringen.

I. Bos primigenius. A. Die "podolische" oder "graue" Rasse in Rußland, den Donaufürstentümern, in Ungarn, Steiermark und als normännische Rasse in Italien, vorherrschend grau mit einer dunklern Färbung am Kopf, Bauch und an den Beinen, gewöhnlich mit dunkler gefärbten Streifen auf der ganzen Länge des Rückgrats. Mitunter geht die graue Farbe ins Silbergraue, Gelbliche oder Rötliche über. Die Formen des Kopfes sind dem Auerochsenschädel ganz ähnlich, die Hörner, namentlich bei den verschnittenen Ochsen, von erheblicher Länge; der Kopf lang und schmal, der Hals ohne Wamme, der Rumpf etwas flachrippig; die Beine ziemlich hoch, aber kräftig gestellt. Diese Rasse, die wahrscheinlich zur Zeit der Völkerwanderung durch Europa verbreitet wurde, findet sich vorzugsweise im südwestlichen Teil von Asien und im südöstlichen von Europa, wo die Tiere auf den ausgedehnten Steppenweiden in großen Herden fast das ganze Jahr hindurch leben und in den heißen Sommermonaten oft Mangel an Futter und Wasser leiden. Große Verluste entstehen in den zahlreichen Steppenherden durch die Rinderpest, welche in jenen Landstrichen niemals vollständig aufhört. Die Rinder der grauen Rasse haben eine starke Deckhaut, die für die Verarbeitung zu Leder sehr geeignet ist; auch sind die Ochsen für die Arbeitsleistung brauchbar; dagegen geben die Kühe wenig, aber fettreiche Milch (s. Tafel "Rinder", Fig. 6, podolischer Stier; Fig. 7, ungarischer Ochs). Die in Italien vorkommende "romanische Rasse" ist von der Lombardei bis nach Sizilien verbreitet; sie ist der ungarischen in den Körperformen sehr ähnlich, gelblich oder auch silbergrau gefärbt. Die in Steiermark verbreiteten Viehschläge sollen aus einer Vermischung der podolischen Rasse mit Schweizervieh hervorgegangen sein. Sie sind berühmt durch ihre gute Ertragsfähigkeit. Ihre Haarfarbe, grau oder gelblich, erinnert noch an die podolische Rasse, während der Körperbau sehr verändert ist: der Kopf ist kürzer und in der Stirn breiter, die Hörner sind länger, der Hals ist mit einer Wamme versehen und der Rumpf gut abgerundet. Die Kühe sind zum Teil sehr milchreich, die Ochsen zur Arbeit geeignet. Die berühmtesten Schläge sind der dachsgraue Mürzthaler, der Murbodener und der semmelfarbige Mariahofer in Steiermark, welchen sich der Waldlerschlag in Bayern (Fig. 11), der Lavantthaler in Kärnten und der Stockerauer in Niederösterreich anschließen. B. Die Niederungsrasse in den Küstenländern der Nordsee und der Ostsee, umfaßt die berühmtesten Viehschläge für Milchergiebigkeit und Mästung; für die Arbeitsleistung sind sie dagegen weniger geeignet. Sie lassen sich in nachstehende Gruppen einteilen: 1) die Viehschläge in Holland und daran anschließend in Belgien, ferner die Schläge in Oldenburg und Ostfriesland; 2) die Schläge in Schleswig-Holstein; 3) in Westpreußen; 4) an der Nordküste von Frankreich und 5) an der Ostküste von England. Die erste Gruppe umfaßt das milchreiche Niederungsvieh, dessen hauptsächlichster Sitz in den weidereichen Marschen von Holland ist. Am berühmtesten sind die Viehschläge in Nord- und Südholland sowie in Westfriesland. Das holländische Vieh ist schwarz-, braun-, auch blau- und graufleckig; einfarbige Tiere sind selten. Die Höhe erreicht 150 cm. Der schmale und lange Kopf hat die dem Auerochsenschädel ähnlichen Formen, der Hals ist ziemlich lang und die Brust häufig etwas eng und steil in den Schultern. Das Lebendgewicht beträgt 600-700 kg bei den weiblichen, 800 bis 900 kg bei den männlichen Tieren. Bei einer ausgezeichneten Milchergiebigkeit ist die Mastfähigkeit mittelmäßig (Fig. 4). In Belgien schließen die Schläge von Limburg, von Furnes-Ambach und der Ardennenschlag sich nahe an, erreichen die holländischen Schläge aber nicht in ihren Vorzügen, was dagegen mehr bei dem Viehschlag in Ostfriesland der Fall ist, der von dem holländischen hauptsächlich durch seine braunrote Farbe mit und ohne weiße Flecke sich unterscheidet, in den Körperformen, im Lebendgewicht und den sonstigen Eigenschaften ihm aber fast gleichsteht. Das oldenburgische Vieh ist meisten schwarzbraun, auch einfarbig schwarz, mit derben Knochen, etwas starkem Kopf mit starken Hörnern und von im allgemeinen kräftigem Bau, weshalb es sich besser zu Arbeitsvieh eignet als das holländische; die Milchergiebigkeit ist beim Marschvieh sehr gut. Die Viehschläge in Schleswig-Holstein zerfallen wie die Oldenburger in Marsch- und Geestvieh. In den Landschaften Eiderstedt und Dithmarschen, wo hauptsächlich Fettgrasung betrieben wird, ist das Vieh vielfach mit englischen Mastviehrassen durchkreuzt, meistens schwarz- oder blaubraun, während in Wilstermarsch und namentlich in Breitenburg das Vieh reinblütig gezüchtet wird (Fig. 3). Diese beiden Schläge haben als milchreiches, gut gebautes Vieh einen großen Ruf und werden vielfach ausgeführt; die Farbe ist braunscheckig oder weiß mit braunen Flecken. Von dem Geestvieh unterscheidet man die Schläge in Angeln, Tondern, Hadersleben und Jütland. Am meisten bekannt als milchreiches und für den Weidebetrieb geeignetes Vieh sind die beiden erstern, besonders die Angeln, die reinblütig gezüchtet und zahlreich ausgeführt werden. Beide Schläge sind rotbraun mit dunkel gefärbten Extremitäten. Von den Viehschlägen in Westpreußen ist das Danziger Niederungsvieh dem holländischen nahe verwandt, aber eckig und schmal in den Formen und von unschönem Äußern, dabei jedoch sehr milchergiebig. Meistens schwarz- und blaufleckig gefärbt, tritt es im Körpergewicht den schwersten Schlägen an die Seite, ist aber als Arbeitsvieh wenig brauchbar.

II. Bos brachyceros. Die zu dieser Rasse gehörigen Viehschläge sind vorzugsweise in der Schweiz und in den Bayrischen Alpen verbreitet. Die Farbe geht vom dunkeln Schwarzbraun (Braunvieh) bis zum hellen Grau; bei allen Tieren findet sich aber eine hellere Färbung am Maul, heller gefärbte Haare umsäumen auch den innern Rand der Ohrmuschel, und auf dem Rücken findet sich ein heller gefärbter Streifen. Auch die untern Teile des Bauches und der Füße zeigen meistens diese hellere Färbung. Durch die hellere Färbung dieser Körperteile unterscheiden sich die Schläge des Braunviehs leicht von den ähnlich gefärbten Schlägen der podolischen Rasse, bei welcher diese Teile fast immer dunkler gefärbt sind als der Hauptteil des Körpers. Das Braunvieh hat einen