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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Russisches Reich

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Russisches Reich (Bodenbeschreibung).

Physische Beschaffenheit.

Zwischen der Ostsee und dem Ural, zwischen dem Schwarzen und dem Nördlichen Eismeer liegt das große russische Tiefland (früher sarmatisches, richtiger osteuropäisches Tiefland genannt), das vorzeiten unzweifelhaft Meeresboden gewesen, erst durch allmähliche Hebung trocken gelegt worden ist und im W. mit der germanischen, im SO. durch das große uralische Völkerthor mit der sibirisch-turauischen Tiefebene in Verbindung steht. Nur an den äußersten Ost und Südgrenzen dieses Flachlandes erheben sich Gebirge, der Ural und das Taurische Gebirge. Der Ural (s. d.) ist ein wenig gegliedertes, einförmiges Kettengebirge, auf dessen Rücken die Gipfel sich verhältnismäßig nur wenig über das allgemeine Niveau erheben. Der südliche der waldreiche Ural erreicht bei einer Kammhöhe von 200-300 m im Irémel 1536 m, der mittlere oder erzreiche bei einer Kammhöhe von 400-500 m im Kondschakowsky 1560 m und im Deneschkin 1633 m, der nördliche oder wüste Ural im Töllpos (unter 64° nördl. Br.) 1687 m Höhe. Nach W. hin fällt der Zug sehr allmählich zu den vorliegenden niedrigen Hügelketten ab, und der Rücken des Gebirges ist im allgemeinen so abgerundet, daß man oft Mühe hat, die wasserscheidende Linie zu erkennen. Nach der asiatischen Seite hin ist freilich der Abhang steiler; hier erscheint das Gebirge zerklüfteter. Trotz seiner leichten Übersteigbarkeit bildet der Ural dennoch die wahre Naturscheide der beiden Erdteile. Bis zum westlichen, europäischen Abhang dringen die Laubwälder Rußlands vor, überschreiten aber nicht das Gebirge, an dessen Ostfuß die unermeßlichen Tannenwälder und weiter südlich die Steppenlandschaften Sibiriens beginnen. Der Obschtschij Syrt (s. d.), westlich vom Ural bis zur Wolga hinstreichend, ist kein Zweig des Urals, sondern ein im W. nur 100 m, im O. höchstens 500 m über die benachbarten Steppen sich erhebender Landrücken. Das Taurische Gebirge (s. d.) erhebt sich am Südrand der Halbinsel Krim. An dem ziemlich steilen Südabhang gedeihen vortreffliche Weinreben und eine subtropische Vegetation, der Nordabhang senkt sich zu einer wasserarmen Steppe hinab. In dem ganzen ungeheuern Flachland Rußlands, das eine mittlere Erhebung von 100-160 m hat, findet sich sonst nirgends ein Gebirge; aber die Einförmigkeit desselben wird durch niedrige Plateaus und dammartige Bodenanschwellungen unterbrochen: 1) Das Timangebirge, ein aus Schiefer bestehender Bergrücken, zieht sich vom Ural nach NW. zwischen Petschora und Mesen hin und steigt im Sawsar bis zu 276 m an. 2) Der nordrussische Landrücken, in seinem östlichen Teil Uwalli genannt, durchzieht, wenig über 200 m hoch, den Süden des Gouvernements Wologda und bildet die Wasserscheide zwischen Dwina und Wolga. 3) Die finnische Seenplatte (s. Finnland, S. 280). 4) Das Plateau von Zentralrußland, das im N. bei der Waldaihöhe (in der Popowa Gora 351 m hoch) beginnt und sich südwärts über ein Gebiet von 800,000 qkm bis zum mittlern Don, im W. bis zur Wolga erstreckt. Hier entspringen Dnjepr mit Desna, Don und Oka. Auf dem rechten Ufer der Wolga hebt sich das Plateau zu einer Hügelkette, die sich von Nishnij Nowgorod bis zum Knie des Don verfolgen läßt, im südlichen Teil bis über 300 m ansteigt und schließlich als Ergenihügel in die Ponto-Kaspische Niederung ausläuft. 5) Die Plateaus von Wolhynien und Podolien, deren Grundlage Granit bildet, führen zu den Karpathen über und erheben sich bei Kremenez zu 405 m, in der Lyssa Gora bei Kjelzy sogar zu 611 m Höhe. 6) Jenseit der Rokitnosümpfe streicht der westrussische Landrücken oder litauische Höhenzug als Wasserscheide zwischen Niemen und Dnjepr, bis 341 m hoch. 7) Die Baltischen Höhen ziehen sich zwischen Niemen und Peipussee um den Rigaer Meerbusen herum und steigen zu 100 m an. - Im ganzen sind etwa 991,000 qkm (18,000 QM.) des europäischen Rußland unfruchtbare Ebenen, im N. Tundren, im S. Steppen. An der Petschora und überhaupt in den nordöstlichen Teilen ist das Gouvernement Archangel mit Tundren bedeckt, d. h. sumpfigen Moorflächen, welche mit einem dichten Filz von Moosen und Flechten überzogen, den größten Teil des Jahrs aber zugefroren sind. Sie werden selbst im Sommer, wo die Oberfläche kaum einen Fuß tief auftaut, mit Schlitten befahren, die von dem nie auftauenden Grundeis getragen werden. Der Süden Rußlands von Bessarabien bis in die südliche Ukraine, bis in die Gouvernements Tambow und Woronesh und über die Wolga hinaus bis zum Uralfluß und dem Manytsch ist ein weites Steppenland. Nachdem der Schnee im Frühling geschmolzen, verwandelt sich das ganze Gebiet der pontischen Steppen in einen schwarzen, schlammigen Brei, der sich nachher mit Gras und Blumen bedeckt. Im Sommer wird die Steppe braun und schwarz und der Boden klafft überall auf. Sobald die Herbstregen Labung schaffen, bedeckt sich die Steppe nochmals mit frischem Grün. Charakteristisch ist der gänzliche Mangel an Waldung. Roggen und Weizen, Melonen und Arbusen gedeihen in der fruchtbaren Dammerde vortrefflich; aber die Ernten leiden nicht selten durch anhaltende Dürre und Heuschreckenschwärme.

Geologisches.

Im europäischen Rußland herrscht im allgemeinen eine sehr große Einförmigkeit der Bodenbildung, und die einzelnen Formationsglieder bedecken oft Tausende von Kilometern. Die Einförmigkeit wird noch dadurch vermehrt, daß auch die einzelnen Schichtenkomplexe der verschiedenen Formationen sehr gleichförmige Zusammensetzung haben. Eine Fahrt auf der Wolga bringt diese Verhältnisse zur gründlichsten Anschauung, indem dieselbe Gesteinsart oft Hunderte von Kilometern den Reisenden begleitet. Das ganze europäische Rußland ist in seiner kolossalen Ausdehnung bis zum Fuß des Urals nur mit Alluvial- und Diluvialformationen bedeckt. Mit Ausschluß der Triasschichten, die nur an einigen Stellen, meistens als bunter Mergel, hervortreten, sind diese Formationen in der ganzen russischen Ebene reich an Versteinerungen, zumal in den Flußthälern, und da Verschiebungen, wie im gebirgigen Westen Europas, im ebenen Rußland nicht vorkommen, so sind die verschiedenen Arten der antidiluvianischen Flora und Fauna in großer Zahl und vollkommener als in Deutschland vertreten. Am genauesten aber sind bisher in Rußland die baltischen silurischen Schichten, die devonischen in Livland und die Juraformation um Moskau durchforscht. Die ältesten Sedimentärformationen enthält Finnland, wo die Eruptivgesteine nach ihrem Alter folgende Gruppen bilden: 1) Gneisgranit; 2) Granitporphyr, Syenitgranit, Diorit; 3) Gabbro und Hippurit. Kristallinische Gesteine ziehen sich auch durch das Gouvernement Olonez, und das laurentische und huronische System reichen nordöstlich bis in den hohen Norden. Laurentische Gneise bilden eine Zentralachse des Timangebirges, das aus devonischer und Steinkohlenformation besteht. Die Silurformation ist in den Ostsee-^[folgende Seite]