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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Russisches Reich

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Russisches Reich (Geschichte 1340-1565).

gen die Gunst des Chans zu erhalten, die großfürstliche Würde in seiner Familie zu befestigen und Moskau zur Hauptstadt Rußlands zu erheben; auf sein Andringen verlegte der Metropolit Peter seinen Sitz nach Moskau. Als sein ältester Sohn, Simeon (1340-53), Gordije, d. h. der Stolze, benannt von dem Ansehen, welches er sich bei den Teilfürsten zu verschaffen wußte, vom schwarzen Tod weggerafft worden war, folgte der jüngere, Iwan II. (1353-1359), diesem nach kurzem Interregnum sein unmündiger Sohn Dmitrij (1362-89), welcher sich durch einen glänzenden Sieg über die Mongolen auf dem Feld von Kulikowo, am Einfluß der Neprädwa in den Don, 8. Sept. 1380 den Beinamen "Donskoi" erwarb; doch wurde er schon 1382 durch die Plünderung und Verbrennung Moskaus wieder zur Anerkennung der mongolischen Oberhoheit genötigt. Wichtig war, daß Dmitrij an Stelle der bisherigen Thronfolgeordnung, nach welcher das älteste Mitglied der Fürstenfamilie erbberechtigt war, das Recht der Erstgeburt im Großfürstentum einführte, indem er seinen Vetter Wladimir bewog, seinen Ansprüchen zu gunsten von Dmitrijs ältestem Sohn zu entsagen, der darauf als Wasilij I. (1389-1425) den Thron bestieg. Unter ihm fielen die Mongolen unter Timur auch in Rußland ein und plünderten mehrere Städte, wie Kasan und Nishnij Nowgorod; auch entriß Wasilijs Schwiegervater, der Großfürst Witold von Litauen, Rußland das Gebiet bis zur Ugra. Indes hatte sich die großfürstliche Macht so gefestigt, daß selbst die schwache Regierung seines Sohns Wasilij II. Temnyi (der Geblendete, 1425-62) die Einheit des Reichs nicht erschütterte, im Gegenteil im Lauf der Zeit mehrere Fürstentümer mit dem Großfürstentum vereinigt wurden; auch ward das Reich von Kiptschak außer durch die Angriffe Timurs noch durch die Bildung der selbständigen Chanate Kasan und Krim geschwächt.

Rußland unter den letzten Ruriks.

Wasilijs II. Sohn Iwan III. (1462-1505) machte sich 1469 das Chanat Kasan zinspflichtig, zwang die Stadt Nowgorod, nachdem sein Feldherr Cholmskij ihre Kriegsmacht an den Ufern des Schelon geschlagen und zersprengt hatte (1471), zur unbedingten Unterwerfung (1478) und wehrte 1480 einen Angriff des Chans der Goldenen Horde, Mohammed, ab; als dieser den Rückzug antrat, wurde er von den tatarischen Horden der Schibanen und Nogaier bei Asow überfallen, getötet und sein Heer vernichtet. Damit brach das Reich der Goldenen Horde zusammen, und Rußland war vom Tatarenjoch befreit.

Durch seine Vermählung (1472) mit der Prinzessin Sophie, der Nichte des letzten paläologischen Kaisers von Byzanz, welche in Rom Zuflucht gefunden hatte, trat Iwan in engere Verbindung zu dem übrigen Europa, die er, übrigens ohne großen Erfolg, durch Heranziehung fremder Künstler und Handwerker zu stärken suchte. Auch nahm er das Wappen der griechischen Kaiser, den zweiköpfigen Adler, an, welchen er mit dem frühern Moskauer Wappen, dem Bilde des heil. Georg des Siegers, verband, und nannte sich Großfürst und Selbstherrscher (Gossudar) von ganz Rußland. Mit dem Großfürsten Alexander von Litauen hatte er 1494 einen Bund geschlossen und ihm seine Tochter Helena vermählt, wofür Alexander Wjasma und Mossalsk abtrat. 1500 geriet er aber mit Alexander in Streit und besiegte die Litauer an der Wedroscha, erlitt aber 1501 bei Isborsk und 1502 am Smolinasee von den mit Litauen verbündeten Livländern empfindliche Niederlagen. Dennoch gewann er durch seine schlaue Politik im Frieden, der 1503 zu stande kam, ein sehr beträchtliches Gebiet, so daß sein Reich, welches bei seinem Regierungsantritt etwa 600,000 qkm umfaßt hatte, nunmehr 2¼ Mill. qkm zählte. Vor seinem Tode teilte er zwar seinen jüngern Söhnen auch beträchtliche Besitzungen zu, aber ohne landesherrliche Rechte. Diese kamen allein dem ältesten Sohn, Wassilij III. (1505-33), zu, der überdies zwei Drittel des Reichs bekam; derselbe bezog die durch italienische Architekten und Ingenieure neuaufgebaute Burg des Kreml, die starke Citadelle von Moskau, und erwarb Smolensk.

Wasilijs III. Sohn und Nachfolger Iwan IV. (1533-84), bei dem Tod seines Vaters erst 3 Jahre alt, wuchs unter den verderblichen Einflüssen einer verbrecherischen Regentschaft voll wilder Frevelthaten und leidenschaftlicher Parteiwut auf, die in ihm den Grund zu jener rohen Gemütsart legten, welche ihm den Beinamen des "Schrecklichen" (Grosnyj) erwarb. Kaum hatte er als Zar von Rußland die Zügel der Regierung in die eigne Hand genommen (Januar 1547), so richtete er seine Waffen gegen Kasan und machte nach der Eroberung der Hauptstadt (1. Okt. 1552) dem Chanat ein Ende. Hierauf wurde auch Astrachan, der Sitz eines andern tatarischen Reichs, mit leichter Mühe eingenommen (1556) und zu einem Hauptverkehrsplatz mit Persien und dem fernen Orient umgeschaffen. Gegen die Tataren der Krim schützte er die Grenze durch Befestigungen und unternahm auch wiederholt verheerende Einfälle in ihr Gebiet, den erfolgreichsten 1559, konnte es aber nicht hindern, daß die krimschen Tataren 1571 unvermutet in Rußland einfielen, Moskau verbrannten und 100,000 Menschen in die Gefangenschaft schleppten. Der Wunsch, durch die Erwerbung eines Küstenstrichs an der Ostsee in Handelsverkehr mit dem westlichen Europa zu treten, veranlaßte ihn zu dem Krieg mit Livland, in dem die Russen viele feste Plätze, wie Narwa, Dorpat u. a., einnahmen. Als aber der Heermeister des Schwertordens, Kettler, Esthland an Schweden, Livland an Polen abtrat und sich unter polnische Lehnshoheit stellte, sah sich Iwan in einen Krieg mit Polen und Schweden verwickelt und mußte 1582 nicht bloß im Waffenstillstand mit Polen auf Livland verzichten, sondern 1583 den Schweden noch die russischen Städte Jam, Iwangorod und Kaporje abtreten. Im Osten dagegen drang 1568 eine tapfere Kosakenschar über das Uralgebirge in Asien ein und begann die Eroberung Sibiriens. Von wichtigen Folgen war auch die Entdeckung des Seewegs nach dem Weißen Meer durch die Engländer (1553), denen Iwan wertvolle Handelsprivilegien gewährte, wie er denn auch sonst die fremde Einwanderung, besonders von deutschen Handwerkern, Lehrern, Ärzten und Gewerbtreibenden aller Art, begünstigte.

Für die innere Entwickelung war die Verkündigung eines neuen Rechtsbuches, "Sudebnik", von Bedeutung, welches die Privilegien des Adels und der Geistlichkeit festsetzte und Bestimmungen traf, um die Bestechlichkeit der Richter abzustellen und der Rechtspflege durch Beiziehung von Geschwornen eine größere Gleichmäßigkeit und Sicherheit zu geben. Sein Streben ging ferner dahin, jede vom Zaren unabhängige Macht zu brechen und jeden Widerstand gegen seinen Willen rücksichtslos niederzuschlagen, wobei er in den letzten Jahren seines Lebens seinem Hang zur Grausamkeit oft allzusehr nachgab. Durch die Drohung, er werde das Reich verlassen, weil die Geistlichkeit die widerspenstigen Bojaren vor Bestrafung schütze, erzwang er 1565 das Zugeständnis, daß er ohne alle Einsprache von seiten der Geistlichkeit