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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Russisches Reich

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Russisches Reich (Geschichte 1054-1340).

wenn er auch selbst noch in Verbindung mit den Normannen stand, hatte sich doch allmählich ein slawisches Gemeinwesen gebildet, dessen Fürstenhaus in Sprache, Sitte und Religion mit dem Volk verschmolzen war.

Rußland unter den Teilfürsten.

Jaroslaw hinterließ fünf Söhne, an die er das Reich 1054 so verteilte, daß Isjaslaw als Großfürst Oberhaupt wurde und Kiew, Swjätoslaw Tschernigow, Wsewolod Perejeslawl, Wjätschislaw Smolensk, Igor Wladimir erhielt. Außerdem erhob noch ein Enkel Jaroslaws, Rostislaw, und nach dessen Tod (1066) ein Enkel Wladimirs des Heiligen, Wseslaw, Fürst von Polozk, Ansprüche auf die Herrschaft und bemächtigte sich 1068 während eines Einfalls der Polowzer Kiews. Isjaslaw floh zum Herzog Boleslaw von Polen, der ihn 1069 nach Kiew zurückführte. Zum zweitenmal wurde Isjaslaw durch seinen Bruder Swjätoslaw von Tschernigow 1073 vertrieben und suchte nun vergeblich Beistand beim deutschen König Heinrich IV. und dem Papst Gregor VII. Erst nach dem Tod Swjätoslaws (1076) verständigte er sich mit Wsewolod und nahm 1077 den Großfürstensitz in Kiew wieder ein, fiel aber im Kampf gegen seinen Neffen (3. Okt. 1078). Ihm folgte Wsewolod I. (1078-93), dessen Regierung aber für das Reich unheilvoll war, da er mit den übrigen Fürsten in fortwährendem Streit lag, Polowzer und Chasaren Einfälle machten und Hungersnot und Pest das Land heimsuchten. Nun ward Isjaslaws Sohn Swjätopolk (1093-1113) als Großfürst von Kiew anerkannt. Derselbe, ein gewaltthätiger und unbesonnener Mann, führte unglückliche Kriege mit den Polowzern und vermochte die Teilfürsten nicht in Botmäßigkeit zu halten, die durch fortwährende Kämpfe das Reich zerrütteten. Erst 1111 gelang es, den Polowzern eine entscheidende Niederlage beizubringen.

Mit Umgehung der Nachkommen Swjätoslaws, der Olgowitschi, wurde nun Wsewolods Sohn Wladimir II. Monomach (1113-25), ein tapferer, menschenfreundlicher Fürst, von den Kiewern auf den Thron erhoben; er sicherte das Reich nach außen, steuerte dem Wucher und milderte die Lage der halbfreien Bauern (Zakupi). Als er starb, verteilte er seine Lande an seine Söhne, von denen Mstislaw I. (1125-32) tapfer und erfolgreich regierte und Polozk erwarb; unter Jaropolk (1132-39) aber brachen unter den Brüdern erneute Bürgerkriege aus, welche das Haus Monomachs zerfleischten, und infolge deren das Haupt der Olgowitschi von Tschernigow, Wsewolod II. (1139-46), Großfürst von Kiew wurde. Nach dessen Tod gelangte wieder Mstislaws Sohn Isjaslaw II. (1146-54) auf den Thron, unter dem die Kämpfe zwischen den Teilfürsten nicht aufhörten und auch die Kirche durch einen Zwiespalt zerrüttet wurde. Nach Isjaslaws Tod ging die großfürstliche Würde in fünf Jahren fünfmal in andre Hände über. Kiew und Südrußland litten unter diesen Wirren so, daß sie das Übergewicht, das sie bisher besessen, verloren und das Großfürstentum Kiew nicht mehr bedeutete als die übrigen Teilfürstentümer. Juri Dolgorukijs (1154-57) Sohn Andrei Bogoljubski (1157-75) verlegte daher seinen Sitz nach Susdal im Norden. Nach seiner Ermordung behauptete noch sein Bruder Wsewolod Jurjewitsch (1177-1212) einen gewissen Einfluß auf die übrigen Teilfürstentümer. In dem Streit seiner Söhne um den Thron ging auch dieser verloren, und Rußland war in mehrere völlig unabhängige Teilfürstentümer Zersplittert, als der Einfall der Mongolen erfolgte.

Die mongolische Fremdherrschaft.

Die Mongolen unter Dschengis-Chan hatten 1222 die Alanen nördlich vom Kaukasus besiegt und sich der Krim bemächtigt. Vor ihnen hatten die Polowzer bei den Russen Schutz gesucht, und die Großfürsten von Halicz, Kiew und Tschernigow zogen ihnen über den Dnjepr entgegen, erlitten aber im Juni 1223 an der Kalka eine entscheidende Niederlage. Jedoch erst 1237 unternahm Dschengis-Chans Enkel Batu die Eroberung Rußlands. Er drang in Nordrußland ein, erstürmte Rjäsan, Wladimir, Kolomna und Moskau, die zerstört und deren Einwohner grausam niedergemetzelt wurden, und besiegte den Großfürsten von Wladimir, Juri II., 4. März 1238 am Flusse Sit; Juri wurde auf der Flucht getötet. Südrußland wurde 1240 von Batu erobert, Tschernigow und Kiew zerstört. Nach seiner Rückkehr aus dem Westen infolge des Todes des Großchans Oktai gründete Batu 1242 das Reich der Goldenen Horde von Kiptschak, als dessen Mittelpunkt er die Stadt Sarai an der Achtuba, einem Nebenfluß der Wolga, gründete. Von dieser Hauptstadt aus ernannte der Chan nach freiem Ermessen den Großfürsten und die Teilfürsten von Rußland. Er war ihr höchster Richter und forderte von ihnen einen Tribut, der um so drückender war, als er nicht von den Fürsten, sondern durch Amtsleute, die der Chan bestellte, eingetrieben oder an fremde Kaufleute verpachtet wurde. Jedoch enthielt er sich jedes Eingriffs in die innern Einrichtungen der russischen Fürstentümer; das Verhältnis der Fürsten zu ihren Unterthanen wurde nicht gestört, auch wich man bei Besetzung der Stellen der Großfürsten und der Teilfürsten nicht von Ruriks Stamm ab. Wer sich widerspenstig zeigte, mußte den starken Arm des Tyrannen fühlen; wer willfährig war, durfte ungehindert sein Herrscheramt üben und selbst seine Waffen gegen auswärtige Feinde kehren. So führten der Großfürst Jaroslaw II. (1238-46), der Bruder Juris II., und sein jüngerer Sohn, Andrei II. (1246-52), selbständig Krieg, und Jaroslaws älterer Sohn, der Großfürst Alexander Newskij (1252 bis 1263), siegte als Fürst von Nowgorod über die Schweden 1240 an der Newa, wofür er den Beinamen Newskij erhielt, und über die livländischen Schwertbrüder 1242 am Peipussee. Nach Alexanders Tod zerstörten die Fürsten aus Ruriks Stamm ihr Ansehen und die Wohlfahrt des Landes, indem sie sich bei den Chanen verleumdeten und dieselben veranlaßten, die Großfürsten oft zu wechseln, bald aus dieser, bald aus jener Familie zu wählen und keinen sich dauernd in der Herrschaft befestigen zu lassen. So folgte auf die Brüder und Söhne Alexanders, Jaroslaw (1264 bis 1271), Wasilij (1271-76), Dmitrij (1276-1294) und Andrei (1294-1304), Alexanders Neffe Michael von Twer (1304-19); dieser wurde infolge von Verleumdungen seitens Juris von Moskau, eines Enkels Alexanders, auf Befehl des Chans ermordet, worauf Juri (1319-25) selbst den Thron bestieg. Doch er wurde bald von Michaels erstem Sohn, Dmitrij, getötet, welcher seine Frevelthat auch mit dem Tod büßte, worauf für kurze Zeit Michaels zweiter Sohn, Alexander (1325-28), zur Regierung kam. Endlich wurde Juris Bruder, Iwan Kalita von Moskau, vom Chan zum Großfürsten ernannt.

Iwan (1328-40), mit dessen Thronbesteigung der Sitz des Großfürstentums nach Moskau verlegt wurde, das er mit Palästen und Kirchen schmückte, und wo er die mit dem tatarischen Namen Kreml (Festung) benannte Burg erbaute, wußte sich durch äußerliche Devotion, durch Geschenke und Huldigun-^[folgende Seite]