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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Seerecht

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Seerecht.

einen Teil des Privatrechts und zwar, insofern es sich um den Seehandel dreht, des Handelsrechts (Seehandelsrecht, Privatseerecht); soweit dagegen die staatlichen Verhältnisse und die seerechtlichen Bestimmungen, welche im Interesse der öffentlichen Ordnung (Seepolizeirecht) erlassen sind, in Frage stehen, gehört das S. dem öffentlichen Recht (Seestaatsrecht) und, insoweit es sich endlich um die Verkehrsverhältnisse der Seestaaten untereinander handelt, dem Völkerrecht (internationales S., Seevölkerrecht) an. Die Satzungen desselben lassen sich nur zu einem geringen Teil auf Rechtsquellen des Altertums zurückführen, wie dies z. B. bei dem Rechtsinstitut der Havarie der Fall ist, welches sich auf die alte Lex Rhodia de jactu gründet. Erst der entwickeltere Seeverkehr des Mittelalters hatte zur Folge, daß die Gesetzgebung dem Seewesen eine größere Aufmerksamkeit zuwandte, und daß einzelne wissenschaftliche Bearbeitungen des Seerechts eine weit über ihre ursprüngliche Tendenz hinausreichende Bedeutung erlangten. Dies gilt namentlich von dem wahrscheinlich zu Barcelona um 1400 entstandenen Consolato del mare, welches namentlich für die Küstenländer des Mittelmeers von der größten Bedeutung und nicht selten für die Grundlage des gesamten Seerechts überhaupt angesehen wurde. Auch die Seegesetze von Wisby, Hamburg und Lübeck sind neben niederländischen und französischen Ordonnanzen über das Seewesen hervorzuheben. In neuerer Zeit ist das Privatseerecht mehrfach kodifiziert worden, indem fast alle modernen Handelsgesetzbücher nach dem Vorgang des französischen Code de commerce das Seehandelsrecht in ausführlicher Weise darstellen. Für das Deutsche Reich ist dasselbe durch das deutsche Handelsgesetzbuch (Buch V) normiert. Abgesehen von allgemeinen Bestimmungen, werden hier die Reederei (s. Reeder), die Rechtsverhältnisse des Schiffers (s. d.) und der Schiffsmannschaft, das Frachtgeschäft zur Beförderung von Gütern und von Reisenden zur See (s. Fracht), die Bodmerei (s. d.), die Havarie (s. d.), die Bergung und Hilfsleistung in Seenot (s. Bergen), die Rechtsverhältnisse der Schiffsgläubiger, die Seeversicherung (s. d.) und die seerechtliche Verjährung behandelt. Die Verfassung des Deutschen Reichs (Art. 4, 54) zieht die Organisation eines gemeinsamen Schutzes der deutschen Schiffahrt und ihrer Flagge zur See in den Kompetenzkreis der Reichsgesetzgebung. Von den reichsgesetzlichen Bestimmungen über S. sind hervorzuheben das Bundes- (Reichs-) Gesetz vom 25. Okt. 1867, betreffend die Nationalität der Kauffahrteischiffe und ihre Befugnis zur Führung der Bundesflagge, welches ebendiese Befugnis von dem Bundesindigenat der Reeder und vom Eintrag des Schiffs in das Schiffsregister abhängig macht, durch ein Nachtragsgesetz vom 28. Juni 1873 und 15. April 1885 modifiziert. Eine Verordnung vom 25. Okt. 1867 enthält die nähern Bestimmungen über die Bundes- (Reichs-) Flagge (s. Flagge, S. 335). Auch die Vorschriften der Gewerbeordnung (§ 6, 31, 34, 40, 53) gehören hierher, welche den Gewerbsbetrieb der Seeschiffer, Seesteuerleute und Lotsen von der allgemeinen Gewerbefreiheit ausnehmen und von dem Ausweis über den Besitz der erforderlichen Kenntnisse durch ein Befähigungszeugnis der zuständigen Verwaltungsbehörde abhängig machen. Das Prüfungswesen selbst ist im Verordnungsweg reguliert.

Ferner ist der § 145 des Reichsstrafgesetzbuchs hervorzuheben, welcher denjenigen mit Geldstrafe bis zu 1500 Mk. bedroht, der die vom Kaiser zur Verhütung des Zusammenstoßes der Schiffe auf See, über das Verhalten der Schiffer nach einem solchen Zusammenstoß oder die in betreff der Not- oder Lotsensignale für Schiffe auf See oder in den Küstengewässern erlassenen Verordnungen (s. Straßenrecht auf See) übertritt. Ferner gehört hierher die Schiffsvermessungsordnung vom 20. Juni 1888 (s. Schiffsvermessung). Besonders wichtig aber ist die deutsche Seemannsordnung vom 27. Dez. 1872, welche ausführliche Vorschriften über die An- und Abmusterung der Schiffsmannschaft durch die Seemannsämter, über die Ausfertigung der Seefahrtsbücher für die Schiffsmannschaft durch diese Behörden und über das Vertragsverhältnis zwischen Schiffsmannschaft und Schiffer (s. d.), endlich auch über Zwangsmaßregeln und Strafen zur Aufrechterhaltung der Disziplin auf den Seeschiffen enthält. Ein weiteres Reichsgesetz vom 27. Dez. 1872 normiert die Verpflichtung deutscher Kauffahrteischiffe zur Mitnahme hilfsbedürftiger Seeleute. Von Wichtigkeit ist ferner die Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 (s. Strandung). Ferner gehören hierher das Gesetz über die Küstenfrachtfahrt (s. d.) vom 22. Mai 1881 und die Bekanntmachung vom 31. Juli 1887, betreffend die einheitliche Bezeichnung der Fahrwasser und Untiefen in den deutschen Küstengewässern. Durch Reichsgesetz vom 9. Jan. 1875 wurde ferner die deutsche Seewarte in Hamburg ins Leben gerufen, welche die Aufgabe hat, die Kenntnis der Naturverhältnisse des Meers, soweit diese für die Schiffahrt von Interesse sind, sowie die Kenntnis der Witterungserscheinungen an den deutschen Küsten zu fördern und sie zur Sicherung und Erleichterung des Schiffahrtsverkehrs zu verwerten. Eine Bekanntmachung des Reichskanzleramtes vom 31. Jan. 1875 publizierte eine Not- und Lotsensignalordnung. Sodann wurde 27. Juli 1877 ein Reichsgesetz, betreffend die Untersuchung von Seeunfällen, publiziert. Nach letzterm Gesetz sind mit der Untersuchung von Seeunfällen, von welchen Kauffahrteischiffe betroffen werden, die Seeämter betraut (s. Seeamt).

Die Verkehrsverhältnisse zur See sind zwischen den einzelnen Seestaaten durch völkerrechtliche Abmachungen, namentlich durch zahlreiche Schiffahrtsverträge (s. d.), normiert; auf diesen und auf seerechtlicher Usance beruht das internationale S. Ein Hauptmangel des letztern ist der, daß im Kriegsfall das Privateigentum zur See von den kriegführenden Mächten nicht respektiert wird, während dies im Landkrieg nach modernem Völkerrecht geschieht. Zwar erklärten sich 1866 Preußen, Österreich und Italien bereit, das sogen. Prisenrecht gegeneinander nicht zur Anwendung zu bringen, und ebenso untersagte 1870 eine Verordnung des Norddeutschen Bundes die Aufbringung und Wegnahme französischer Handelsschiffe durch die Bundeskriegsmarine; allein diese Verordnung mußte, da Frankreich sich Deutschland gegenüber nicht zu derselben Konzession verstand, wieder zurückgezogen werden (s. Prise). Selbst die Abschaffung der Kaperei (s. d.) ist noch nicht vollständig gelungen, da sich die nordamerikanische Union dem hierauf gerichteten Übereinkommen der europäischen Seemächte nicht angeschlossen hat. Was das neutrale Eigentum zur See anbelangt, so gilt dasselbe für unverletzlich, abgesehen von folgenden Beschränkungen, welche im Fall eines Seekriegs auch für die Neutralen eintreten. Eine effektive Blockade (s. d.) ist nämlich auch für neutrale Staaten verbindlich, und ein Blockadebruch wird ihnen gegenüber ebenso wie dem Feind gegenüber geahndet. Ebendasselbe