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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Verdauung

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Verdauung.

Verdauungssäften und möglichst ausgedehnte Berührung mit der ansaugenden Oberfläche des Darms. Die chemischen Verrichtungen bei der V. werden vermittelt durch die von den oben genannten Drüsen abgesonderten Verdauungssäfte, welche lösend und umsetzend auf die Nährstoffe einwirken. Beim Kauen wird eine innige Vermischung der Speisen mit dem Speichel herbeigeführt; dadurch werden die Speisen verflüssigt und zum Verschlucken geschickt gemacht, ihre löslichen Stoffe werden gelöst, und das in den Speisen enthaltene Stärkemehl wird durch das eigentümliche Ferment des Speichels, das Ptyalin, in Zucker und Dextrin verwandelt. Neben dem Ptyalin kommt auch ein peptonbildendes Ferment im Speichel vor, und der Schafspeichel übt eine verdauende Wirkung auf die Cellulose aus. Im Magen vermischen sich die Speisen mit dem von der Magenschleimhaut abgesonderten Magensaft. Bei leerem Magen findet keine Absonderung von Magensaft statt; diese erfolgt stets erst nach stattgehabtem Reizen, im natürlichen Zustand also erst, sobald Nahrungsstoffe eingeführt werden. Hierbei rötet sich die Schleimhaut unter regerer Zirkulation, so daß das Venenblut heller abfließt. Die Erregung der Absonderung ist wahrscheinlich ein reflektorischer Vorgang, für welche das Zentrum wohl in der Magenwandung selbst zu suchen sein wird. Es wird behauptet, daß Vorstellungen von Speisen, zumal im Hungerzustand, die Abscheidung veranlassen können; auch scheinen Gemütsbewegungen die Magenverdauung zu stören, vielleicht indem dadurch die Menge oder Qualität des abgesonderten Magensaftes verändert wird. Dieser wirkt fäulnis-, teilweise auch gärungswidrig, enthält Pepsin, Salzsäure, neben letzterer, wie es scheint, auch konstant Milchsäure. Pepsin und Salzsäure verwandeln die Eiweißkörper bei Körpertemperatur zuerst in syntoninartige Substanzen, dann in Propepton und zuletzt in Pepton. Leim wird in Leimpepton verwandelt. Je reichlicher der Pepsingehalt des Magensaftes, um so schneller erfolgt (bis zu einem gewissen Grade) die Auflösung. Von den Eiweißkörpern wird das Kaseïn im Magen zunächst aus seiner Lösung gefällt, dann aber wie die im geronnenen, nicht gelösten Zustand in den Magen eingeführten Eiweißkörper durch den Magensaft und wie die im gelösten Zustand eingeführten peptonisiert. Hierbei findet bedeutender Wärmeverbrauch statt, die Temperatur des Speisebreies im Magen sinkt in 2-3 Stunden um 0,2-0,6°. Alkohol schlägt das Pepsin nieder, doch löst sich dasselbe durch nachfolgenden Wasserzusatz wieder auf, so daß die V. dann wieder ungestört fortfahren kann. Ein Trunk von 0,5 Lit. kühlem Wasser stört bei Gesunden die Magenverdauung noch nicht (wohl bei Magenkranken), noch reichlicheres Wassertrinken beeinträchtigt aber die Magenthätigkeit. Dies thut auch starke Inanspruchnahme der Muskeln. Warme Umschläge auf die Magengegend befördern die V. Im Magensaft findet sich auch ein Labferment, welches Kaseïn aus neutraler und alkalischer Lösung fällt, sowie ein den Milchzucker in Milchsäure verwandelndes Ferment. Leimgebende Substanzen und Leim werden im Magen peptonisiert und gelöst, ebenso werden die strukturlosen Membranen gelöst, während verhornte Teile der Epidermis, Chitin, Cellulose etc., nicht verdaut werden. Fette spalten sich zum geringen Teil in Glycerin und fette Säuren. Stets finden sich im Magen auch Gase, die teils aus direkt verschluckter Luft, wie aus der Luft der Schaumblasen des Speichels, teils auch aus Gasen bestehen, die aus dem Darm in den Magen zurücktreten. Aus diesen Gasen wird im Magen Sauerstoff vom Blut aufgenommen, während Kohlensäure abgegeben wird, so daß also in gewissem beschränkten Sinn eine Art Atmung im Magen stattfindet. Bei Magenkatarrh entwickeln sich, wenn der Mageninhalt neutral reagiert, unter Buttersäuregärung Wasserstoff und Kohlensäure.

Während der V. erleidet der Magen infolge der Thätigkeit seiner Muskelfasern fortwährend Formveränderungen, wobei auch seine Lage etwas wechselt. Die Bewegungen des Magens erfolgen in ähnlicher Weise wie die Fortbewegung eines Wurms: sie schreiten langsam und allmählich von dem Magenmund gegen den Pförtner hin vor, die Magenwand übt dabei einen Druck auf den Inhalt des Magens aus, wobei sie den Inhalt langsam vorwärts schiebt und dadurch der Einwirkung des Magensafts zugänglicher macht. Während der Magenverdauung entleert sich der Magen allmählich, teils indem die an sich löslichen oder im Magen löslich gemachten Stoffe von der Magenschleimhaut aufgesaugt werden, teils indem der Mageninhalt schubweise durch den Pförtner in den Zwölffingerdarm hinübertritt, wo der Speisebrei nun mit neuen Verdauungssäften in Berührung kommt; 3-5 Stunden nach Beginn der Mahlzeit ist die Magenverdauung gewöhnlich beendet und der Magen leer. Kleine Mengen des Mageninhalts treten unter Umständen sehr bald, schon nach ¼-½ Stunde, in den Dünndarm über. Im Magen wurden von den in den Nahrungsmitteln enthaltenen Stoffen viele durch Wasser oder Säure gelöst, das Ptyalin und der Magensaft führen viele Substanzen in Lösung über, meist aber gelangt noch etwas unverdautes Eiweiß in den Darm, vor allem der größte Teil des Stärkemehls und die Fette. Der Bauchspeichel, das stark alkalische Absonderungsprodukt des Pankreas, enthält ein Ferment, welches rohes und gekochtes Stärkemehl, auch Glykogen viel energischer als Ptyalin des Speichels in Dextrin und Zucker verwandelt. Selbst Cellulose soll gelöst werden, während Inulin unverändert bleibt. Ein andres Ferment des Bauchspeichels, das Trypsin, verwandelt die Eiweißkörper bei alkalischer Reaktion in globulinartige Substanz, Propepton und Pepton; es peptonisiert auch den Leim, nicht aber das Nucleïn. Bei weiterer Einwirkung des Trypsins auf die Peptone entstehen Aminosäuren, Leucin, Tyrosin, Hypoxanthin, Glutaminsäure, endlich stark fäkal riechende Stoffe, Indol, flüchtige Fettsäuren, Skatol, Phenol unter Entwickelung von Wasserstoff, Kohlensäure, Schwefelwasserstoff, Methan, Stickstoff. Diese Produkte entstehen aber lediglich durch Fäulnis und werden verhindert durch Salicylsäure, Thymol etc. Ein drittes, sehr leicht sich zersetzendes Ferment des Bauchspeichels verwandelt Fette in eine feine Emulsion und zersetzt sie in Glycerin und fette Säuren, welche mit dem Alkali des Bauchspeichels Seifen bilden. Der Pankreas wird aus seinem Ruhezustand nach Nahrungsaufnahme infolge reflektorischer Anregung durch die Nerven des Magens und des Duodenums in sekretorische Thätigkeit versetzt und arbeitet in der 2.-3. Stunde nach Einführung der Nahrungsmittel am energischten. Dann nimmt die Thätigkeit bis zur 5.-7. Stunde ab, steigt durch den völligen Übertritt der gelösten Massen in das Duodenum gegen die 9.-11. Stunde abermals und fällt endlich gegen die 17.-24. Stunde bis zum völligen Versiegen. Ein weiterer Verdauungssaft des Darms, die Galle, wird kontinuierlich in der Leber erzeugt, teilweise zunächst in der Gallenblase aufgespeichert und wäh-^[folgende Seite]