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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Englische Litteratur (seit 1884: Roman, Ästhetik, Kritik, Litteraturgeschichte).

gen. * Haggard, dessen erste Bücher ziemlich unbeachtet vorübergingen, errichtete sich mit »King Solomon's mines« (mit der Fortsetzung »Allan Quatermain«), besonders aber mit dem genialen »She« auf dem mysteriösen Boden des dunkeln Kontinents, den er lange selbst bewohnt hat, ein bleibendes Denkmal (weiteres in der Biographie). Den vorübergehenden Erfolg, den ein Sensationsroman des Australiers Fergus M. Home: »The mystery of a hansom cab«, als Buch und Drama gefunden, verdankt derselbe hauptsächlich der ungeheuersten Reklame und wohl auch seiner Eigenschaft als litterarische Gabe aus Australien. Des Verfassers zweiter Versuch: »Madame Midas«, war indessen erfolglos. Dagegen hat sich eine Schriftstellerin deutscher Abkunft, Olive Schreiner, Tochter eines Missionärs, mit »An African farm« sogleich einen geachteten Namen gemacht. Als Verfasser einer langen Reihe anonymer Romane, in denen das Wunderbar-Unwahrscheinliche bis auf die Spitze getrieben ist, allerlei revolutionärer Einfälle und Strömungen nicht zu gedenken (»Mehalah«, »Court royal« u. a.), ergab sich zu allgemeinen: Erstaunen der würdige Landpfarrer Sabine Baring-Gould, der auch Reisebeschreibungen, 15 Bände »Lives of the Saints« und zwei wohlgemeinte, wenn auch nicht fehlerfreie Bücher über Deutschland herausgegeben hat. In seinem neuesten Buch: »Arminell«, erklingen die wunderlichsten Töne. Die immer lesenswerte, gedankenreiche Frau Lynn Linton brachte »Through the long night«; die erstaunlich produktive Frau Oliphant: »Queen Eleanor and Fair Rosamond«, »Madam«, »A house dividend against itself«, »Oliver's bride«, »Effie Ogilvie«, »The son of his father«, »The second son« und »Joyce«. Mit ihr darf nicht verwechselt werden der kürzlich verstorbene Laurence Oliphant, Diplomat, Satirist, Romanschreiber, Religionsschwärmer, Reisender und Weltmann, als Schriftsteller oft ebenso klar wie verworren. Sein letzter Roman war »Massolam«; es gesellt sich darin sein altes Erzählertalent mit interessanten Erinnerungen aus Syrien, wo er den Abend seines Lebens zubrachte, und haarsträubendem Mystizismus.

Auf der Seite geistiger Freiheit in Religionssachen steht Frau Humphry *Ward, die Gattin eines Geistlichen, mit ihrem Buch »Robert Elsmere«, welches seinen außerordentlichen Erfolg neben dem eignen Verdienst auch dem Angriff verdankt, dem es von seiten des frommen Herrn Gladstone ausgesetzt war. Während hier der Geistliche selbst es ist, den wachsende Überzeugung aus der Gemeinschaft der Kirche und damit aus dem Vertrauen der Gattin treibt, ist in »John Ward, preacher« von Fräul. Deland der Konflikt gerade umgekehrt. Beide Bücher sind für die neuere Geistesentwickelung in England höchst bezeichnend. Fräul. * Bayly hat unter dem Namen Edna Lyall ihrem beliebten Roman »Donovan« mehrere andre von gleich gesunder Richtung folgen lassen. Th. A. * Guthrie, unter dem Schriftstellernamen T. Anstey bekannt, der als einer der allerersten seit etwa acht Jahren in »Vice versa« das Phantastische wieder in die englische Novellistik einführte, wo es sich seither vielleicht übermäßig breit macht, brachte zwei ernste, aus dem wirklichen Leben gegriffene Romane: »The giant's robe« und »A fallen idol«; in letzterm gibt er sich wieder drolliger Laune hin. In humoristisch-phantastischer Weise behandelt er in »The tinted Venus« einen Gegenstand, den Heinrich Heine in die »Götter im Exil« eingeflochten. F. W. Robinson, der seit 1854 etwa 40 Romane veröffentlicht hat,

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Kriminalgeschichten und andres, brachte »The youngest Miss Green«, der jüngere, fruchtbare Christie Murray eine höchst originale Landgeschichte: »Aunt Rachel«, dem er »Old Blazer's hero« und »The weaker vessel« folgen ließ. Clark Russel setzt die Reihe seiner beliebten Seegeschichten fort mit »The frozen pirate«, »The golden hope« und »The death ship«, Mabel Robinson fand ihren Stoff in Irland mit »The plan of campaigne«; Frau Cashel Hoey schrieb: »All or nothing«, Hamilton Aide: »Passages in the lige of a lady«; W. E. Norris: »Chris« und »The rogue«; Hall Caine: »A son of Hagar und »The deemster«; Mathilde Blind: »Tarantella«; Justin Mc Carthy, der Vater: »Roland Oliver« Frau Riddle: »Miss Gascoigne« u. a. Der Politiker Wemyß Reid: »Gladys Fane: a tale of two lives«. Der tüchtige Naturforscher Grant * Allen fühlt sich gedrungen, Sensationsromane zu schreiben: »Babylon«, »The devil's die«, »This mortal coil«; der inzwischen verstorbene alte Soldatenfreund James Grant verherrlichte seine Bergschotten in »The master of Aberfeldie«, in dem er den Stoff dem ägyptischen Feldzug von 1882 entnahm; sein letzter Roman war »Love's labour won«. Die unverwüstliche Frau Braddon mag mit »Like and unlike« und »The fatal three« ihre Verehrer befriedigt haben. In diesem Sinn ist auch das Buch »Wanda« von Ouida zu erwähnen, welcher auf dem Kontinent merkwürdigerweise immer noch eine höhere Bedeutung zugeschrieben wird als in England. Als Zolaist oder Naturalist erwies sich George Moore, dessen skandalöses Buch »Confessions of a young man« die größte Entrüstung hervorrief.

Ästhetik, Kritik, Litteraturgeschichte.

Hier tritt dem deutschen Leser zunächst ein mit großer Sachkenntnis gearbeitetes Buch entgegen, in welchemi Charles Harold Herford frühe litterarische Beziehungen zwischen England und Deutschland behandelt: »Studies in the literary relations of England and Germany in the sixteenth century«. Ebenso erfreulich ist uns »The spirit of Faust« von Dr. Coupland, ein umfassender Kommentar zu Goethes Wert, und »The early letters of Goethe« (Übersetzung und Einleitung) von Eduard Bell. Die drei eben genannten Schriftsteller sind Mitglieder der englischen Goethe-Gesellschaft, die, 1886 gegründet, eine wichtige Vermittlerrolle zwischen den beiden Nationen bildet, wie in Deutschland die Shakespeare-Gesellschaft. An die Stelle ihres ersten Präsidenten Max Müller trat Eduard Dowden, der sich vielfach mit Goethe beschäftigt hat und seinem wertvollen Buch über Southey eine größere Biographie des Dichters Shelley folgen ließ. Hieran schließe sich die Veröffentlichung des hochwichtigen Briefwechsels zwischen Goethe und Carlyle (1887, beinahe gleichzeitig in London, Berlin und Boston erschienen). Auch sonst ist die Carlyle-Litteratur beträchtlich gewachsen, zunächst durch die »Early letters« (2 Bde., 1886) und weitere »Letters« (abermals 2 Bde., 1888), von C. E. Norton herausgegeben, neuerdings durch Briefe der Gattin, welche Ritchie veröffentlicht hat, und das meisterliche Buch von Garnett: »Carlyle«. Ein Deutscher, Professor Aloys Brandt, hat in seinem von Lady Eastlake ins Englische übersetzten Werk über Samuel Taylor Coleridge zur englischen Litteraturgeschichte und Kritik einen sehr wohl aufgenommenen Beitrag geliefert; deutsche Gelehrte beteiligten sich auch mit Furnivall und der Early English Society an der Herausgabe altenglischer Texte. Der bekannte Litterarhistoriker Henry Morley eröff-