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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Italien (Landwirtschaft, Industrie, Handel)

(25,603) und Kampanien (22,134). Allerdings ist der Geburtenüberschuß in I. (1888: 296,971) bedeutend größer als die Zahl derjenigen, welche dauernd ihre Heimat verlassen, u. daher ist trotz der starken Auswanderung die Bevölkerung Italiens in stetem Wachstum begriffen. Auch bietet die italienische Auswanderung, namentlich diejenige, welche sich in kompakter Masse nach bestimmten südamerikanischen Territorien wendet, manche wirtschaftlichen Vorteile für das Mutterland. Anderseits liegt aber doch in dem konstanten Abgang von so bedeutenden Menschenmassen, welche sich zum größten Teil aus rüstigen Ackerbautreibenden zusammensetzen, eine überwiegende Gefahr für die Landwirtschaft Italiens.

[Landwirtschaft, Industrie.] Über den gegenwärtigen Stand der Landwirtschaft, verglichen mit dem Anfang der 70er Jahre, gibt folgende Übersicht Auskunft:

Anbaufläche in Hektaren 1870-74 1879-83 Ernte 1870-74 durchschnittlich 1879-83 durchschnittlich 1887 1888

Mill. hl Mill. hl Mill. hl Mill. hl

Weizen 4736705 4433741 50,9 46,6 42,0 37,4

Mais 1716705 1893117 31,2 29,8 26,3 23,5

Hafer 380291 444960 6,7 6,6 5,9 4,7

Gerste } 346782 } {3,9 2,8 ?

} 477666 } 6,4 {

Roggen } 160086 } {1,8 1,5 ?

Reis 232091 201807 9,8 7,3 6,6 4,4

Hülsenfrüchte 651401 720619 5,9 6,2 4,4 ?

Mill. Ztr. Mill. Ztr. Mill. Ztr. Mill. Ztr.

Hanf 134871 82453 1,0 0,8 0,8 0,6

Flachs 119403 68262 0,23 0,2 0,15 ?

Kartoffeln 70120 150943 7,2 8,9 6,9 ?

Kastanien 448712 407118 5,8 3,9 3,1 ?

Mill. hl Mill. hl Mill. hl Mill. hl

Wein 1926832 3095293 27,5 35,5 33,0 30,2

Olivenöl 895134 908072 3,3 3,3 1,6 ?

Mill. Stück Mill. Stück Mill. Stück

Agrumen - - 2601 3747 3176 ?

Von den einzelnen Zweigen der Landwirtschaft erweist sich bekanntlich der Weinbau, von der Regierung auf jede Art gefördert, als sehr gewinnbringend, um so mehr als I. von der Phylloxera weit weniger gelitten hat als Frankreich u. Spanien. Allerdings ist das verheerende Insekt auch in I. an vielen Stellen und zwar zuerst in den an Frankreich angrenzenden Provinzen aufgetreten, allein es hat bisher verhältnismäßig geringen Schaden angerichtet, wahrscheinlich weil für dessen Ausbreitung der Boden in I. minder günstig ist, die Reben widerstandsfähiger sind und zugleich das Reblausgesetz mit großer Strenge gehandhabt wird. Die Weinausfuhr, die insbesondere nach Frankreich so große Dimensionen angenommen hatte (1887: 3,5 Mill. hl), ist durch den Zollkonflikt mit Frankreich stark getroffen worden, da es schwer sein dürfte, für dieses Hauptabsatzgebiet anderswo einen Ersatz zu finden. In letzter Zeit werden Versuche gemacht, die Kognakfabrikation auch in I. einzubürgern. Die Produktion Italiens an Seidenkokons hat im Mittel der letzten 10 Jahre 39 Mill. kg und im J. 1888 sogar die Höhe von 44 Mill. kg erreicht.

Die Industrie hat in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte aufzuweisen. Namentlich ist dies in der metallurgischen und Textilbranche der Fall. Die Eisen- und Stahlindustrie hat von 1881 bis 1886 um das Doppelte zugenommen, indem die Eisenproduktion von 91,000 auf 161,000 Ton., jene von Stahl von 3000 auf 23,000 T. gestiegen ist. Die Silber- und Bleigewinnung hat sich seit 1878 in noch höherm Grad vermehrt, und zwar stieg Blei von 8000 auf 19,000 T. Silber von 7000 auf 33,800 kg. Die Maschinenfabrikation repräsentiert derzeit einen Jahreswert von 100 Mill. Lire, während sie vor 10 Jahren einen Durchschnittswert von 78 Mill. Lire ergab. In der Baumwollindustrie hat sich die Zahl der Spindeln seit dem Jahr 1870, wo sie erst 500,000 betrug, im J. 1887 bis auf 1,800,000 gehoben. Einen günstigen Stand zeigt auch die Seidenindustrie, welche für den Ausfall des französischen Absatzgebiets in der Schweiz, England und Österreich Ersatz gewonnen hat und nur in den unbefriedigenden Verhältnissen der Färberei ein Hindernis ihrer größern Entwickelung findet. Bedeutende Fortschritte hat während der letzten Jahre ferner die Schafwollindustrie gemacht, welche den heimischen Bedarf an gewöhnlicher und mittelfeiner Ware vollständig deckt und 1887: 313,000 Spindeln und 9600 Webstühle in Thätigkeit erhielt. Im Dienste der Flachs- und Hanfindustrie standen in demselben Jahr 50,000 Spindeln u. 5000 Webstühle. Jute begann man erst nach 1876 in I. zu bearbeiten; der jährliche Konsum beträgt derzeit 50,000 metr. Ztr. Rohjute. Auch die Papierfabrikation hat neuerlich einigen Aufschwung genommen; es gibt dermalen in I. 220 Papierfabriken, zumeist mit Maschinenbetrieb. Dagegen ist in der Glasfabrikation, mit Ausnahme von Venedig und Murano, wo ungefähr 56 Etablissements mit 4600 Arbeitern jährlich 44,000 metr. Ztr. Waren im Wert von 6 Mill. Lire exportieren, eine auffallende Stagnation wahrzunehmen. Eine beträchtliche Ausdehnung des Betriebs hat endlich in der Zuckerraffinerie stattgefunden, für welche fünf große Unternehmungen in Rivarolo, Sampierdarena, San Martino, Ancona und Sinigaglia bestehen.

[Handel und Verkehr.] Auf dem Gebiet der Handelspolitik, bisher im wesentlichen eine freihändlerische, hat I. in den letzten Jahren weittragende Schritte gethan. Im Jahr 1887 wurde nämlich ein neuer Generalzolltarif beschlossen, welcher einen ausgesprochen schutzzöllnerischen Charakter hat und hauptsächlich mit dem Hinweis auf die vermehrten Ansprüche der Staatsfinanzen, denen man durch Erhöhung der Zolleinnahmen aufhelfen zu können glaubt, anderseits mit der Notwendigkeit, der daniederliegenden Landwirtschaft rasche Hilfe zu bringen, begründet wurde. Die Handelsverträge mit den fremden Staaten wurden gekündigt und teilweise, reich stark getroffen worden, da es schwer sein dürfte, in einschränkendem Sinn, erneuert (so mit Österreich-Ungarn, der Schweiz, Griechenland, Spanien). Mit Frankreich wurden die Handelsvertrags-Verhandlungen gänzlich abgebrochen, so daß vom März 1888 an der vertragslose Zustand zwischen I. und Frankreich mit Anwendung des allgemeinen Zolltarifs gegenüber dem letztern Staat eintrat. Die Zukunft wird lehren, ob diese Richtung den wirtschaftlichen Interessen Italiens, welches mit seinen reichen Bodenprodukten auf den Absatz im Ausland angewiesen ist, entspricht. Schon in den Ergebnissen des Außenhandels des Jahrs 1888 zeigen sich in vielsagender Weise die Konsequenzen des neuen handelspolitischen Systems. Der Wert der Waren-Ein- und Ausfuhr Italiens bezifferte sich nämlich im J. 1888 im Vergleich zu den drei vorausgegangenen Jahren folgendermaßen (in Millionen Lire):