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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Schlangendienst - Schlangengift
wahrscheinlicher den Bewegungen des Instruments) folgend, aus ihrem Korb erheben und mit funkelnden Augen den auf der Schwanzspirale gestützten Oberkörper hin und her bewegen, was man als Schlangentanz bezeichnet. Die Mythe hat sich dieser Eigentümlichkeit bemächtigt und danach auch Orpheus, Pythagoras und andre Urmusiker zu Schlangenbeschwörern erhoben. Gegen Bezahlung locken die S. auch diegefürchteten Reptiledurch eigentümliche Pfeiftöne aus einem bestimmten Bezirk zusammen, um das Gehöft von ihnen zu reinigen, lassen sich beißen, ohne sich um die Wunden zu kümmern, und die afrikanischen Giftdoktoren beschäftigten sich außerdem mit der Heilung gebissener Personen. In der Alten Welt sind es meist die Brillenschlange (^M tripu» diims) oder die ebenso giftige ägyptische Aspis (?^'a I-laiß), die zu den Schaustellungen gebraucht werden; doch benutzt man hier und da auch andre Arten.
Zur Erklärung der Macht, welche diese Gaukler über die Schlangen ausüben, sind hauptsächlich zwei Meinungen aufgestellt worden. Die einen nehmen an, die ganze Kunst der S. gründe sich auf eine genaue Kenntnis der Gewohnheiten dieser Reptile, Abrichtung derselben (sofern die aus einem Gehöft durch Musik herbeigelockten Schlangen gezähmte und vorher ausgesetzte seien) und auf gelegentliche Täuschung bezüglich des Veihenlassens, sofern sie nur Schlangen verwendeten, denen die Giftzähne vorher ausgebrochen seien, oder die ihres Gifts durch vorheriges Veißenlassen auf Filz völlig entleert würden. Dagegen glauben verschiedene andre Beobachter und Reisende einerseits an eine geheimnisvolle Wirkung der Musik und meinen überdem, der äußerliche und innerliche Gebrauch gewisser Pflanzenstoffe mache die Gaukler sowohl giftfest als von den Tieren gefürchtet.
Für die erstere schon von Galen angenommene Meinung spricht, daß die S. immer dieselben Künste zeigen, so z. B. die in der Bibel berichtete Verwandlung der ägyptischen Aspis in einen Stab. Diese Ari zeigt nämlich die Eigentümlichkeit, sich infolge einer Art von Starrkrampf steif wie ein Stock auszustrecken, sobald man ihre Nackenmuskeln dicht hinter dem Kopf stark zusammendrückt oder sie mit Wasser bespritzt.
Auch hinsichtlich des Tanzens hat 5). M. Phipson 1888 der Naturforschenden Gesellschaft in Bombay einen Bericht vorgelegt, wonach keine Abrichtung nötig sei. Diese Schlange habe die Eigentümlichkeit, ihren Blick, wenn man sie in einen gereizten Zustand versetzt, niemals von einem vor ihren Augen bewegten Gegenstand abzuwenden, sie könne daher ruhig angefaßt werden, und folge nur den Bewegungen des Instruments, ohne vielleicht die leise Musik überhaupt zu hören, da keine äußern Ohren vorhanden seien. Die einzige Vorsicht würde darin bestehen, ihren gelegentlichen Versuchen, in die vor ihre Augen gefallene Faust zu beißen, auszuweichen. Dagegen hat indessen Leydis bei unsrer Mauereidechse eine entschiedene Vorliebe für Pfeiftöne, die sie aus ihren Herstecken hervorlocken, konstatiert. Von den Pflanzenstoffen, mittels deren sich die S. giftfest machen sollen, stehen in Indien und auf den indischen Inseln namentlich die Schlangen- oder Mungowurzel ^Opliiorrkixg. Nmi Aas) sowie das Schlangenholz (OMox^lou 86rp6utinum) in hohem Ruf. Bruce und Forskäl beobachteten, daß sich die ägyptischen S. vor ihren Produktionen mit der Abkochung einer .Vi'igtoloekik-Art wuschen, und ebenso stehen in Amerika verschiedene Arten derselben Pflanzengattung (H.. ^orpentkria. in Nordamerika. ^.^. an^uwiä^ in Merlko und Westmdien, ^.^. (, ')w!>!lls,!'^ und sra^l^n ti^imH in Brasilien und Peru) in dem Ruf, ausgezeichnete Gegenmittel gegen Schlangenbiß zu sein.
Am sichersten festgestellt scheint in dieser Beziehung die Wirkung der zuerst von Humboldt und Bonpland abgebildeten Guacopflanze (Mobilia, (^ukco), durch deren regelmäßigen innerlichen Gebrauch und Einimpfung des Saftes sich die amerikanischen S. giftfest machen sollen. Mehrere englische und spanische Arzte, wie Hill, wollen die Wirksamkeit dieses Präservativs an sich selbst erprobt haben, und H^m boldt überzeugte sich von dem Widerwillen der Giftschlangen vor dem Geruch dieser Pflanze selbst. Eine ähnliche Wirksamkeit soll nach v. Martins die nahe verwandte Nupawrig. ^xja.MU6 besitzen.
Schlaugendienft. Diegroße Anzahlgiftiger Schlangen in Ostindien, deren gefährlichen Angriffen alljährlich nach der englischen Statistik Tausende erliegen, legt dem abergläubischen Landvolk den Gedanken nahe, durch Opfer und Verehrung diese mörderischen Feinde zu begütigen. Diesen Kultus der Schlangen, den Fergussön in seinem geistreichen Werk über >>^1'66 NUli 86i'P6iit ^0l8kip« eingehend darstellte, hat man früher für eine der Sanskrit redenden Bevölkerung Indiens fremde, von den barbarischen Ureinwohnern herrührende Sitte gehalten, bis M. Winternitz in seiner Schrift »Der Sarpabali« (Wien 1888) nachwies, daß ein ausgebildeter Schlangenkult sich schon in den »Grihyasütras« findet, welche als die ältesten Handbücher für die religiösen Zeremonien der Brahmanen zu betrachten sind.
Schlangengift. In das bisher sehr dunkle Kapitel von der chemischen Natur des Schlangengifts hat eine im physiologischen Laboratorium der Londoner Universität 1886 von Norris Wolfender an dem Gifte der Cobra di Capello (5^.ja. tiipuäi Hu») angestellte Untersuchung einiges Licht verbreitet. Es konnten darin weder giftige Älkaloide, noch Säuren, noch Fermentorganismen nachgewiesen werden, dagegen wurden drei giftige Proteide: Globulin, Syntonin und ein flüssiges Albumin, gefunden. Wenn diese Stoffe, wie fich aus der verschiedenen Wirkungsweise schließen läßt, auch bei andern Schlangen von abweichender Art sein mögen, so würde sich bei Annahme einer chemischen Ähnlichkeit doch die von P. de Lacerda und andern Beobachtern gerühmte Gegenwirkung des übermangansauren Kalis erklären, welches diese Eiweihstoffö nach Brücke und Maly in Oxyprotosulfonin und ähnliche Säuren verwandelt. Es kann aber natürlich nur bei äußerlicher Anwendung von Wirkung sein, da es im Magen alsbald zersetzt wird.
Die in neuerer Zeit von zahlreichen Beobachtern bestätigte gute Wirkung wiederholter innerlicher Gaben von Alkohol und Ammoniak, welche Fayrer bestritten hatte, weil mit Ammoniak gemischtes Cobragift ebenso wirksam bleibt wie vorher, erklärt sich nach Pros.
Binz in Bonn durch ihre anregende Wirkung aus die Herzthätigkeit, da die meisten Schlangengifte durch Herzlähmung töten, doch müssen die Gaben oft wiederholt werden. Sehr merkwürdig ist die 1889 von Sidney Martin in London gemachte Entdeckung, daß die Samen von ^drus preeatolinZ (s. d., Bd. 17 > dem Schlangengift ganz analog wirkende Eiweißstoffe enthalten. Als Gegengifte stehen übrigens fast überall Pflanzen aus der Familie der Aristolochiaceen beim Volk in Ansehen (vgl.Schlangenbeschwörer, Bd. 17). Fayrer hat die merkwürdige Thatsache festgestellt, daß eine Giftschlange weder sich selbst noch ein andres Individuum seiner Art durch sein Gift töten kann; auch bei andern Arten derselben Gattung erweist es sich meist als unwirksam, tötet