Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Innere Medizin

444

Innere Medizin (9. Kongreß, Wien 1890).

an, daß die materielle Wirkung der im Gebiet der Rückenmarkshäute stattfindenden Wucherungen und Ablagerungen der Pachymeningitis darauf beruht, daß dieselben das Rückenmark komprimieren und so Anämie, Entzündung, Myelitis, Nekrose und sekundäre Degeneration erzeugt wird. Was die Erklärung der klinischen Erscheinungen der Pachymeningitis betrifft, so schreibt Charcot dieselben, zumal die Lähmung der untern Extremitäten, dem Untergang der Pyramidenbahnen zu, nach Leyden dagegen erzeugen die von den Wucherungen der pachymeningitischen Schwarte im Rückenmark direkt angeregten Veränderungen die Funktionsstörungen des Rückenmarks. Nach den Untersuchungen von Adamkiewicz ist nun aber die Kompression des Rückenmarks seitens der Wucherungen nicht die Grundlage der schweren Veränderung desselben, vielmehr ist diese Kompression als ein in der Regel und im Prinzip ganz indifferenter Vorgang anzusehen. Myelitis und Erweichung stehen zu ihr in gar keiner kausalen Beziehung und sind der Pachymeningitis als Folge der Infektion vollkommen koordiniert. Dagegen sind es die direkten und wichtigsten Veränderungen, welche die Pachymeningitis im kranken Rückenmark hervorrufen, der chronische Infarkt, der die weiße und graue Substanz mit ihren Vorderhornzellen und mit diesen das System der Pyramidenbahnen zu Grunde richtet.

Frey (Leipzig) behandelte die Beziehungen zwischen Pulsform und Klappenschluß, Romberg (Leipzig) gab Beiträge zur Herzinnervation. Nach seinen mit His unternommenen Studien über die Entwickelungsgeschichte des menschlichen Herznervensystems sind die Herzganglien vorgeschobene Teile der Sympathikusganglien. Letztere gehören aber zum sensibeln System, und das Gleiche muß man für die Herzganglien annehmen, die also sensibel sind und keine motorischen Funktionen besitzen. Sie sind also weder automatische Herzzentren noch aktive Vermittler der Hemmung oder Beschleunigung des Herzschlags. Mit dieser Annahme lassen sich die bekannten physiologischen Eigenschaften des Herzens sehr gut vereinigen. Das Herz des Embryo vollführt rhythmische Kontraktionen, lange bevor es Nerven oder Ganglien besitzt. Über die Funktion der Herzganglien ist nichts bekannt. Vielleicht vermitteln sie dem Zentralnervensystem die unbewußten Empfindungen, welche reflektorisch den Herzschlag durch den Vagus und Accelerans regulieren und die Weite des Gefäßsystems beherrschen. Da man die Annahme eines automatischen Herznervenzentrums aufgeben muß, so bleibt zur Erklärung der rhythmischen Herzthätigkeit vorläufig nur übrig, eine Automatie des Herzmuskels selber anzunehmen, die durch die anatomischen und physiologischen Eigentümlichkeiten des Herzmuskels leichter verstanden wird. Der Herzmuskel ist der anatomische Motor der Blutzirkulation, ohne zu seinen Bewegungen von nervösen Elementen angeregt zu sein. Der Herzmuskel erscheint nach dieser Auffassung auch für die Pathologie sehr viel wichtiger als bisher. Während Veränderungen der Herzganglien wegen der Kompliziertheit ihrer Funktion und der Unklarheit derselben im einzelnen keinen Rückschluß auf pathologische Abweichungen der Herzthätigkeit gestatten, während die Wirkung der Herzgifte nicht mehr ohne weiteres auf die Reizung oder Schädigung der Herzganglien zu beziehen ist, wird die genaue Untersuchung des Herzmuskels häufiger, als man jetzt annimmt, die Ursache des pathologischen Verhaltens des Herzens aufdecken. - Krehl (Leipzig) sprach über die Veränderung der Herzmuskulatur bei Klappenfehlern. Er fand bei systematischer Durchforschung von sieben Klappenfehlerherzen Zeichen progredierender Entzündungen und zwar am verbreitetsten bei den Herzen, deren Träger unter Erscheinungen der Herzinsuffizienz gestorben sind. Sie sind geeignet, die Leistungsfähigkeit des Herzens herabzusetzen, und man wird also bei Beurteilung eines Klappenfehlerkranken versuchen müssen, sich ein Urteil über Vorhandensein und Verbreitung progredierender Entzündungen im Herzmuskel zu verschaffen.

In der Sitzung vom 17. April sprach Senator über die Behandlung der Brightschen Nierenkrankheit. Er unterscheidet chronische parenchymatöse Nephritis und Schrumpfniere. Die chronische Nephritis geht aus der akuten hervor, auch gelten Erkältung, Gicht, Syphilis, Malaria, Alkohol- und Tabakmißbrauch, Blei- und andre Metallvergiftungen, chronische Entzündungen der Harnwege, namentlich des Nierenbeckens, Diabetes, Schwangerschaft und langdauernde venöse Stauung der Nieren als verursachende Momente. Disponierend wirken klimatische Verhältnisse, Heredität, psychische Einflüsse. Wo ein therapeutischer Eingriff in die kausalen Momente möglich ist, soll er nicht unterlassen werden. Die chronische Nephritis kann in jedem Stadium einen Stillstand machen, und um dies zu erreichen, sind zwei Grundsätze zu beobachten: 1) Schonung und Entlastung der erkrankten Niere, also Vermeidung aller scharfen, reizenden Mittel, und Beschränkung der Eiweißzersetzung auf das notwendigste Maß. In der Nahrung müssen Fette und Kohlehydrate vorherrschen. Vorwiegende oder ausschließliche Milchdiät entspricht am besten den Bedürfnissen und genügt auch der zweiten Hauptindikation: Durchspülung der Niere. Die Getränke dürfen die Niere nicht reizen, von den alkoholischen sind die leichten Obstweine noch am besten zu ertragen. Wenn Milch nicht vertragen wird, gibt man stärkemehlreiche Nahrung, allenfalls etwas weißes Fleisch; körperliche Bewegung und Muskelarbeit sind möglichst einzuschränken; in schweren Fällen ist absolute Ruhe angezeigt. Erkältungen sind zu vermeiden; durch warme Bäder, Abreibungen ist eine gewisse Entlastung der Niere herbeizuführen. Wenn die Harnmenge stark herabgesetzt, der Harn trübe und reich an Formelementen ist, sucht man durch reichliches Getränk und durch Erhöhung des Blutdruckes (Digitalis etc.) die Harnsekretion zu steigern. Für die Behandlung der Schrumpfniere kommen besonders Schonung des Herzens und hygienische Maßregeln in Betracht: Mäßigkeit, Minderung der Eiweißzufuhr und der Getränke, besonders alkoholischer, Vermeidung des Rauchens, körperlicher Ermüdung, Schutz vor Erkältung, nicht zu warme Bäder, Aufenthalt im Süden während des Winters.

Stadelmann (Dorpat) sprach über den Einfluß der Alkalien auf den menschlichen Stoffwechsel. Große Dosen von kohlensaurem, doppeltkohlensaurem und zitronensaurem Natron wurden längere Zeit an Menschen im Stickstoffgleichgewicht verabreicht. Harnsäure und Ammoniak zeigten sich vermindert, die Harnstoffausscheidung erlitt sehr große Schwankungen, doch zeigte die Mittelzahl nur geringe Abweichung. Die Konsistenz der Fäces war vermindert, und die Stickstoffausscheidung durch dieselben stieg gelegentlich fast auf das Doppelte der normalen. Die Alkalien wirken diuretisch, vermehrte Oxydation des Fettes und Verbrauch des angesetzten Körperfettes ist sehr wahrscheinlich. Die Ausscheidung von Kalk, Magnesia, Phosphorsäure und Schwefelsäure durch den Harn wird durch die Salze nicht beein-^[folgende Seite]