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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Strandpflanzen

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Strandpflanzen (Litoralformation).

trennung Englands vom Festland die Wasser der Nordsee immer weiter nach Süden und Osten vorgedrungen sind; die Dünenkette wurde vom Meere durchbrochen und der waldtragende Geestboden zerschlagen. Auf den Durchbruch der ehemaligen Landbrücke zwischen England und dem Festland scheint nach Knuth der regelmäßige Eintritt einer höhern Flutwelle und ein Überwiegen westlicher und nordwestlicher Stürme gefolgt zu sein, so daß die Baumvegetation zuletzt teils den Winden, teils dem landeinwärts wandernden Dünensand erliegen mußte; nur einzelne Bestände der oben genannten waldbewohnenden Stauden blieben erhalten. Als Waldreste erscheinen in Schleswig-Holstein auch Gebüsche verkrüppelter Eichen, die sogen. Kratts.

Die am meisten auffallende Vegetationsform unter den eigentlichen S. der Nord- und Ostsee bilden die Salzpflanzen (Halophyten), die sich durch fleischige Blätter und Stengel auszeichnen und neben einer Reihe sand- oder geröllbewohnender Gewächse (vorzugsweise Sedum-Arten) als die Vertreter der Sukkulenten (s. d.) in unsrer einheimischen Flora gelten können. Jedoch bewohnt nur die Minderzahl der Halophyten ausschließlich die Meeresküste, die meisten von ihnen treten auch an Salzstellen des Binnenlandes auf (s. Salzpflanzen). Neben diese Gruppe der Strandsukkulenten treten Bestände von Dünengräsern, die ebenfalls eine durch gemeinsame biologische Merkmale und übereinstimmende Tracht hervorragende Gewächsform bilden. Sie stellen teils polsterförmig wachsende, teils mit ihren Wurzelstöcken weit kriechende Formen mit starren, sehr biegungsfest gebauten Halmen und zusammengerollten, oft an der Spitze stechenden Blättern von grau- oder meergrüner Farbe dar und zeigen Anklänge an den Habitus der Steppen- und Wüstengräser; einige Arten, wie der Strandhafer (Ammophila arenaria, desgleichen Elymus arenarius), werden wegen ihrer langen Ausläufer zur Befestigung des Dünensandes und auch an Sandstellen des Binnenlandes mit Vorteil benutzt. Die Gruppe besteht außerdem aus Arten von Juncus (J. maritimus, J. balticus), Glyceria (G. maritima), Triticum (T. junceum, T. pungens) u. a. Der enge biologische Zusammenhang dieser Pflanzengenossenschaft teils mit den Halophyten, teils mit den sandbewohnenden Gräsern des Binnenlandes zeigt sich darin, daß litorale Grasformen, wie Glyceria maritima, entstanden sind, deren nächstverwandte Art (G. distans) eine charakteristische, auch im Binnenland verbreitete Salzpflanze ist, desgleichen in dem Auftreten von Zwischenspezies (z. B. Ammophila baltica), die als Bastarde von litoralen (Ammophila arenaria) und binnenländischen (Calamagrostis epigeios) Arten aufgefaßt werden. Die Existenz derartiger besonderer Litoralformen von sonst weitverbreiteten, halophytischen oder sandbewohnenden Gräsern ist der beste Beweis dafür, daß diese bereits seit einer sehr langen Zeitepoche von ihrem gegenwärtigen Standort Besitz ergriffen haben müssen und hier die ihm entsprechenden Formen erzeugten. Der stärkere Wind an der Seeküste bedingt eine größere Festigkeit des Halmes als im Binnenland, und die fortwährende Überschüttung mit Dünensand läßt lange Wurzelstöcke als das beste Mittel erscheinen, sich seiner erstickenden Wirkung zu entziehen, aber gleichzeitig denselben behufs besserer Ausnutzung für die Ernährung durch zahlreiche Nebenwurzeln zu befestigen. Die biologische Verwandtschaft der Litoralgräser mit ihren binnenländischen Vertretern auf Ufersand und an Seen zeigt sich darin, daß auch bei letztern die oben angegebenen Merkmale der Dünengräser, jedoch nicht in gleich ausgeprägter Weise, vorkommen. Anderseits treten einige andre strandbewohnende Gräser ohne strenge Litoraltracht auf dem Küstensand auf. Eine dritte eigentümliche Vegetationsform des Meeresufers bilden die Stranddisteln, deren Typus Eryngium maritimum (eine an den Küsten des gesamten Europa mit Ausnahme seiner nördlichsten Teile wachsende Umbellifere) ist. Durch ihre meergrüne Farbe, die stark geäderten, lederigen, am Rande tief gezahnten und lang bedornten Blätter sowie die rundlichen, breit behüllten Blütenköpfe mit blauen Blumen fällt sie den Strandbesuchern besonders auf; ihre nächsten Verwandten sind teils Flußuferbewohner (Eryngium campestre), teils Alpenpflanzen (E. alpinum, E. amethystinum) und bekunden damit eine gleiche Vorliebe für Luftfeuchtigkeit wie die am Seestrand ansässige Art. Die amerikanischen Spezies der Gattung zeichnen sich durch parallelnervige schmale Blätter aus und gleichen bisweilen im Habitus Steppengräsern. Als ein südliches Gegenstück unsrer Stranddistel ist das im österreichischen Litorale, im Mittelmeergebiet und auch in England auftretende Crithmum maritimum zu nennen, das die gleiche meergrüne Farbe, stachelspitzige, fleischige, aber doppeltgefiederte Blätter mit schmalen Abschnitten und halbkugelige, behüllte Dolden mit gelblichen Blumen besitzt.

Schließlich nehmen auch einige Holzpflanzen, die Sandsträucher, an der Zusammensetzung der Küstenflora teil. Als ihr Vertreter kann der Sanddorn (Hippophaë rhamnoides) gelten, eine dornentragende Eläagnacee mit silbern-schelferigen Blättern und orangefarbenen Steinfrüchten. Dieser auch im Binnenland oft auf Sandstellen angepflanzte Strauch hat eine ziemlich weite Verbreitung bis nach Asien, kommt aber in Deutschland, seinem Luftfeuchtigkeitsbedürfnis entsprechend, nur an der Küste und in den Alpenländern vor, von denen er längs der Flüsse abwärts gewandert ist. Andre in der Nähe der Nordseeküste auftretende Gesträuche von Empetrum, Myrica Gale, Erica Tetralix, Genista anglica etc. gehören der Heideformation an, deren charakteristische Glieder ihr Hauptverbreitungsgebiet längs der Küsten des Atlantischen Ozeans gesunden haben, und denen sich eine Anzahl krautiger Pflanzen, wie Lathyrus maritimus, Convolvulus Soldanella (nur auf Borkum), Cochlearia danica u. a., anschließt.

Vom pflanzengeographischen Gesichtspunkt aus besteht demnach die Flora des Nordseestrandes aus einer Mischung atlantisch-westlicher, boreal-alpiner (wie Empetrum u. a.) und rein litoraler Elemente mit allgemein verbreiteten Pflanzen des europäischen Waldgebiets. Im ganzen gilt diese Mischung auch für das baltische Gebiet, nur verschwindet in östlicher Richtung die Pflanzengenossenschaft des Atlantischen Ozeans mehr und mehr, während eine Zahl östlicher Arten hinzutritt. Sehr verschieden verhalten sich die baltischen Küstenwälder, die bisweilen in geschlossenem Zustand dicht an die Steilufer (so z. B. der Buchenwald auf den Kreideklippen Stubbenkammers oder am Heiligen Damm in Mecklenburg) herantreten; an letzterer Stelle brechen die Wellen von Zeit zu Zeit Teile des Landes mit einzelnen Bäumen ab. In den meisten Fällen sind dagegen die seewärts stehenden Bäume des Küstenwaldes verkrüppelt und niedrig; nach dem Lande zu folgen dann immer höhere Stämme, bis