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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Milch (Verunreinigungen, Sterilisieren, Konservieren, Verarbeitung)

wie Scharlach, Diphtherie, Pneumonie, Typhus, Cholera etc., gezeigt. Die Bakterien der beiden letztern Krankheiten gelangen wahrscheinlich durch Verdünnen mit verunreinigtem Wasser in die M. Bisweilen enthält M. durch Zersetzung ihrer Proteinkörper Toxine, welche Anlaß zu Vergiftungserscheinungen geben können. Relativ geringe Mengen dieser Substanzen können besonders in dem sehr leicht reizbaren Darme junger Kinder wirken und Veranlassung zu manchen Sommerdiarrhöen geben. Vor allem scheinen einige bei höherer Temperatur verlaufende Milch- oder Buttersäuregärungen in dieser Hinsicht bedenklich zu sein. Die Verunreinigungen der M. mit Bakterien mahnen dringend genug vor dem Genuß unaufgekochter M. Die pathogenen Bakterien werden durch anhaltendes Kochen getötet und auch der größte Teil der Gärungserreger wird vernichtet. Sicherer ist das Sterilisieren, welches die größte Garantie darbietet, wenn es ordnungsgemäß ausgeführt wird. Der bekannteste Sterilisierungsapparat ist der von Soxhlet in München. Die zu behandelnde M. füllt man in Flaschen, welche etwa 150 g fassen, bis etwa 1,5 cm unterhalb des Halses und verschließt die Flaschen mit einem durchlochten Gummipfropfen. Dann stellt man sie in einen flaschenkorbartigen Einsatz und mit diesem in einen Kochtopf, der so viel Wasser enthält, daß die Flaschen bis an den Hals in demselben stehen. Nachdem das Wasser 5 Minuten gekocht hat, verschließt man die Öffnungen in den Gummipropfen durch Einstecken von Glasstäbchen, die vorher in heißem Wasser gereinigt sind, und kocht noch 30-35 Minuten. Dann läßt man erkalten und bewahrt die Flaschen an einem kühlen Orte auf. Bei Verabreichung der M. an ein Kind erwärmt man sie bis zur Trinkwärme und vertauscht den Gummipfropfen mit dem sorgfältig gereinigten Saugpfropfen. Verschlossen gebliebene Flaschen können ohne Bedenken am zweiten Tage gegeben werden. Allergrößte Sauberkeit der Flaschen, Saughütchen und des Apparates ist zur Erzielung eines sichern Erfolges unbedingt geboten. Bei diesem Apparat werden die Flaschen bei geöffnetem Topfe verschlossen, bei dem Apparat von Gronwald u. Öhlmann aber unter Luftabschluß. Das Sterilisieren geschieht hier mit Dampf, welcher nicht allein die Luft im Apparat sterilisiert, sondern auch infolge seines Druckes das Aufsteigen und Überkochen der M. verhindert. Zum Verschluß benutzt man Korke oder den Fritznerschen Patentbügelverschluß. Im letztern Falle sterilisiert man bei lose aufgesetztem Verschlußpfropfen, erfaßt die Druckbügel mit einem von außen bewegbaren Druckstück und drückt sie in den geschlossenen Zustand herab. Korke müssen schlank zugespitzt und am untern Ende eingekerbt sein; man setzt sie ebenfalls lose in die Flaschenmündung und bringt ein Druckstück in solcher Höhe an, daß die im Dampfe quellenden Korke wohl gehoben werden, nicht aber aus den Flaschenhälsen herausfallen können. Die sterilisierte M. hat vor der nach dem Scherffschen Verfahren auf 120° erhitzten M. den großen Vorzug, daß sie in Geschmack und Farbe von frischer M. sich durchaus nicht unterscheidet. Die sterilisierte M. säuert viel weniger leicht als gewöhnliche und ist, solange der Flaschenverschluß luftdicht bleibt, für relativ lange Zeit unveränderlich.

Der Norweger Dahl hat ein Verfahren empfohlen, welches zum Konservieren der M. in größerm Maßstab für die Bedürfnisse des Handels und zur Verproviantierung von Seedampfern etc. dienen soll. Es besteht im abwechselnden Erhitzen und Abkühlen der M. auf verschiedene, genau angegebene Temperaturen. Die Dauer der Operation beträgt 9 Stunden. Chemikalien sollten zur Konservierung der M. niemals angewandt werden. Reicht das Sterilisieren nicht aus, so muß die M. verdampft werden. Die erste kondensierte M. wurde in der Schweiz dargestellt, bald aber errichtete man ähnliche Fabriken in Deutschland, England, Norwegen, Italien und den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Das Fabrikat ist für viele Zwecke durchaus empfehlenswert, zur Ernährung kleiner Kinder aber eignet es sich nicht, weil es zu viel Zucker enthält. Dieser fördert bei den Kindern den Fettansatz auf Kosten der Muskeln und Knochen, und die Ärzte haben beobachtet, daß mit kondensierter M. ernährte Kinder nicht die nötige Widerstandskraft an den Tag legten und namentlich an Darmkatarrh leicht zu Grunde gingen. Soxhlet ist es nun gelungen, eine sterilisierte kondensierte M. ohne Zucker und ohne jeden Zusatz darzustellen. Dieselbe wird in der Fabrik Schüttendobel bei Harbatzhofen in den bayrischen Algäuer Alpen durch die Gesellschaft für diätetische Produkte Ed. Loeflund u. Komp. bereitet. Die ganz frische M. wird sofort mit der Zentrifugalmaschine gereinigt und im Vakuum auf einen Trockensubstanzgehalt von möglichst genau 37 Proz. gebracht. Die eingedickte M. wird mittels einer besondern Maß- und Füllvorrichtung auf 1-2 g genau in Blechbüchsen gefüllt, die man dann verlötet und unter Dampfdruck erhitzt, um sie völlig zu sterilisieren. Eine Büchse enthält genau 330-332 g kondensierte M., welche, mit Wasser zu 1 Lit. verdünnt, eine M. von normalem Gehalt an Trockensubstanz liefert. Die Konserve, welche durch das angewandte Reinigungsverfahren vor allen ähnlichen Präparaten sich auszeichnet, ist jahrelang haltbar, ohne sich in Geschmack, Farbe oder durch Rahmbildung zu verändern. Sie eignet sich ganz besonders für die Ernährung von Kindern und Kranken und zur Bereitung besonders nährkräftiger Speisen, welche eine möglichst große Menge von Milchsubstanz enthalten sollen, ebenso aber auch zur Verpflegung auf Schiffen, in den Tropen oder in Ländern, wo frische M. fehlt.

Bei der Verarbeitung der M. hat die zuerst von dem Bayer Prandtl 1864 versuchte Benutzung der Zentrifugalmaschine immer weitere Verbreitung gefunden. Nach Fleischmann geht die Entrahmung um so besser vor sich, je größer die Umfangsgeschwindigkeit der Trommel ist, je wärmer die einfließende M. und je geringer die in einer bestimmten Zeit zu entnehmende Milchmenge ist. In der Praxis hat sich gezeigt, daß eine Umfangsgeschwindigkeit der Trommel von 6-7000 m in der Minute und eine Milchtemperatur von 35° die besten Resultate gibt. Die Konstruktion der Maschine ist so vervollkommt, daß man den Grad der Entrahmung, also den Fettgehalt des Rahmes, beliebig regulieren kann. Die hohe Geschwindigkeit der Trommel ist nicht ohne Gefahr, und es ist ein Vorzug des Separators von Laval, daß er durch Zerlegung der Trommelwelle in zwei Teile diese Gefahr beseitigte. Zum Betrieb der Lavalschen Separatoren wird vorteilhaft Dampfkraft benutzt, und das Bergedorfer Eisenwerk baut einen Dampfseparator (Fig. 1, S. 616), der lediglich durch ein Rohr mit dem Kessel verbunden wird. Öffnet man dann ein Ventil, so setzt sich die Maschine in Bewegung und erreicht endlich ihre volle Geschwindigkeit mit 7000 Umdrehungen. Riemen, Schnur, Vorgelege fallen fort, der Betrieb wird durch nichts Derartiges gehindert oder gefährdet. Einen sehr großen Fortschritt im Entrahmungsverfahren durch Zentrifugen bezeichnet die Erfindung von v. Bechtholdsheim, wel-^[folgende Seite]