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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ägypten (alte Kultur. Religion)

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Ägypten (alte Geschichte)'

Religion in ihrem verworrenen Zustande zu belassen, jeden weitern Fortschritt zu hemmen und die Klärung der mannigfachen, im Laufe der Zeit zusammengeworfenen Anschauungen, die oft genug einander widersprachen, auszuschließen. Die hier gegebene kurze Darstellung der ägypt. Religion beruht namentlich auf den neuern Arbeiten, die Ed. Meyer in Bd. 1 seiner «Geschichte des Altertums» und in seiner «Geschichte des alten Ä.», sowie Maspero in mehrern, in der «Revue de l'historie des réligions» veröffentlichten Aufsätzen geliefert haben und die sich bemühen, in das Chaos der ägypt. Götterfiguren und Götterlegenden durch histor. Auffassung Ordnung zu bringen. – Vgl. Brugsch, Religion und Mythologie der alten Ägypter (Lpz. 1884–88; 2. Ausg. 1891); von Strauß und Torney, Der altägypt. Götterglaube (2 Bde., Heidelb. 1889–91); Wiedemann, Religion der alten Ägyvter (Münst. 1890).

Leben nach dem Tode. Daß der Mensch nach dem Tode fortlebe, ist ein Gedanke, den die Ägypter seit der ältesten Zeit mit besonderer Vorliebe gepflegt haben. Allerdings sind sie auch hier nicht zu einer einheitlichen Auffassung gekommen. Die einen glaubten, daß die Wohnstätte des Verstorbenen das Grab sei, in dem er von den Opfergaben, die ihm die Überlebenden an bestimmten Tagen darbrachten, oder die ihm durch Recitation magischer Formeln gesichert wurden, weiter lebe; er konnte hingehen wohin er wollte, mußte aber immer wieder am Abend in seine Wohnung, das Grab, zurückkehren. Nach andern wohnte der Tote auf der Insel der Seligen, die von einer Riesenschlange bewacht werde, oder in den Schluchten des westl. Gebirges, in denen die Schakale hausen. Noch andere meinen, daß der Tote sich mit den Sternen am Himmel bewege, oder mit dem Sonnengotte in seiner Barke einherfahre. Auch über die Beschaffenheit des Wesens, das den Menschen überlebte, war man sich nicht im Klaren. Nach dem gewöhnlichen Glauben der alten Ägypter bestand der Mensch aus verschiedenen Wesen, dem Körper, der Seele und dem Doppelwesen, das man mit dem Namen «Ka» bezeichnete. Der «Ka» ist ein Abbild des Menschen und giebt diesen Zug für Zug wieder. Er hat im Menschen seine Wohnung und entspricht ihm ganz und gar; ist der Mensch ein Kind, so ist auch der Ka ein Kind, handelt es sich um eine Frau, so ist der Ka eine Frau, handelt es sich um einen Mann, so ist der Ka ein Mann. Die Seele stellte man sich gewöhnlich unter dem Bilde eines Vogels vor. Keins dieser Wesen, aus denen der Mensch zusammengesetzt ist, war nun von Natur unvergänglich, sondern sie mußten, wenn sie sich selbst überlassen waren und für ihre Fortexistenz nicht Sorge getragen wurde, zu Grunde geben und für ewig ins Nichts versinken. Um dies zu verhindern, hatte man allerlei Mittel ersonnen. Der Körper wurde einbalsamiert und somit seine Zersetzung nach Möglichkeit hinausgeschoben. Das Weiterleben der Seele wurde durch Gebete gesichert. Als Wohnstätte des «Ka» setzte man Statuen des Verstorbenen ins Grab, die seine Persönlichkeit genau wiedergaben. Zu seinem Unterhalt brachte man Opfergaben dar und sorgte durch fromme Stiftungen dafür, daß er auch für die ferne Zukunft vor Hunger und Durst bewahrt bleibe. Und nicht genug hiermit: man bildete auf den Wänden des Grabes allerlei Opfergaben ab und wähnte, daß durch eine magische Kraft die dargestellten Gegenstände dem «Ka» die wirklichen Gegenstände, die sie wiedergaben, ↔ ersetzten. Von einer ähnlichen Voraussetzung ausgehend, stellte man Figuren von Dienern und Dienerinnen ins Grab, die für den «Ka» kochen und backen und wie im Leben für sein Wohlbefinden sorgen sollten. Außerdem pflegte man dem Toten, um ihn namentlich vor bösen Geistern und Schlangen zu bewahren, noch allerlei Zauberfiguren und Amulette mit ins Grab zu geben. Diese Anschauungen von der Fortexistenz des Menschen haben nun durch eine Lehre, die von Abydos ausging und an den dortigen Lokalgott Osiris anknüpft, eine besondere Ausbildung erfahren: Osiris war von seinem Bruder Set ermordet worden, aber in seinem Sohne Horus ist ihm ein Rächer erstanden; er hat den Feind niedergeworfen und seinen Vater durch Zauberformeln zu neuem Leben erweckt. Der Tod, den Osiris erlitten, wurde jedem Menschen zu teil, aber wie Osiris zu neuem Leben erwacht ist, so konnte auch der Mensch ein neues Leben beginnen, wenn für ihn nur dieselben Formeln von einem getreuen Sohne gesprochen wurden; er kam dann zu Osiris, ja er wurde sogar eins mit dem getöteten Gotte. Der Tote wird im mittlern Reiche geradezu Osiris genannt und er erhält das ständige Beiwort «mit wahrer Rede», weil man des Osiris Rede einst im Streite mit seinen Feinden als wahr befunden hatte. Durch die Verbreitung dieser Lehre war Osiris allmählich selbst zum Totengotte geworden, der als König im Jenseits über die Verklärten herrschte.

Gräber. Die Sitte, den Verstorbenen große Grabbauten zu errichten, beruht auf den dargelegten Anschauungen. Das Grab gilt ihnen als eine Wohnung, deren Einrichtung die Wohlfahrt des Toten begünstigen und seine Fortdauer sichern soll. Die ältesten, bis jetzt bekannten Gräber liegen in der Totenstadt von Memphis (von Abu Roasch bis Dahschur) und gehören der obersten Bevölkerungsschicht, dem Könige und dem Adel, an. Sie zerfallen nach ihrer Form in Pyramiden und Mastabas. Die Gräber in Pyramidenform sind im alten Reiche fast nur für Könige gebräuchlich (über ihre Anlage s. Pyramiden); die Mastabas sind die Gräber der Vornehmen und gewöhnlich in Straßen um die Grabpyramide des Königs gruppiert. Die Mastaba (d. i. Bank) ist ein viereckiger Bau, der von weitem wie eine abgestumpfte Pyramide aussieht. Die Seitenflächen sind gleichmäßig geneigt und meistens glatt. Das zu ihrem Bau verwendete Material ist Haustein oder Ziegel. Die Größe der Mastabas ist sehr verschieden; neben Riesenbauten von mehr als 1100 qm Grundfläche stehen kleinere von nicht mehr als 20 qm. Die Mastaba besteht gewöhnlich aus drei Teilen: einer Kapelle, dem Zimmer für die Statue und einer Kammer, in der der Sarg stand. Die Kapelle war der Raum, in dem dem «Ka» des Toten die Opfer dargebracht wurden; man legte sie auf einer Tischplatte an der Stelle nieder, an der man sich den Eingang zum Totenreiche dachte und die durch eine schmale Scheinthür gekennzeichnet war. Bei einfachern Bauten fehlte die Kapelle und wurde durch die an der Außenwand der Mastaba angebrachte Scheinthür ersetzt, so daß die Opfer auf der Straße dargebracht werden mußten. Die Wände der Kapelle waren mit Bildern und Inschriften bedeckt, die sich vor allem auf das Totenopfer beziehen und den Zweck haben, die dargestellten Gegenstände dem «Ka» in natura zu sichern (s. oben). Die Statue stand in einem schmalen und hohen Raume, dem sog. Serdâb

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 244.