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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Analogiebildung; Analogon; Analphabeten

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Analogiebildung - Analphabeten

dient sie in zahllosen Fällen dazu, auf ein allgemeines, gesetzmäßiges Verhalten, auf das man bisher nicht achtete, aufmerksam zu machen. In allen nicht streng begründeten Wissenschaften (z. B. Grammatik, philol. Kritik und Hermeneutik, praktische Heilkunde), vollends im gemeinen Leben ist sie die geläufigste Schlußart. Ihr Gebiet erweitert sich, je mehr man sich dem in der Erfahrung gegebenen Einzelnen nähert, wobei zugleich ihre Unsicherheit eine Schranke findet an der beständig wiederholten Berichtigung durch weitere Erfahrung.

A. der Empfindung nennt man die Verwandtschaft, die zwischen Empfindungen verschiedener Sinne zu bestehen scheint, z. B. zwischen tiefen Tönen und dunkeln Farben, zwischen Kälte und Wärme einerseits und gewissen Farbentönen andererseits.

Über A. im zoologisch-morphologischen Sinne s. Ähnlichkeit.

In der evangelischen Theologie bezeichnet A. der Schrift den Grundsatz, daß undeutliche Aussprüche der Schrift nach deutlichen zu erklären sind. Während die kath. Kirche die Erklärung der Schrift nach der kirchlichen Tradition fordert, behauptet die evang. Kirche, daß die Schrift aus sich selbst zu erklären sei. Dabei wird vorausgesetzt, daß ein wirklicher Widerspruch in der Bibel nicht vorkommen könne; es handle sich nur um scheinbare Widersprüche, die stets aus der Betrachtung des Gesamtinhalts ihre Lösung fänden. Die ältern Protestanten stellten einen nach ihrer Meinung aus der Schrift geschöpften kurzen Inbegriff der christl. Lehre unter dem Namen der A. des Glaubens auf, als Maßstab für die Erklärung dunkler Stellen.

In der Rechtswissenschaft dient die A. dazu, Lücken der Gesetzgebung auszufüllen. Die Auslegung sucht bei Unklarheit oder bei Inkorrektheit des Ausdrucks eines Gesetzes den richtigen Sinn, also das zu ermitteln, was der Gesetzgeber hat sagen wollen. Die A. geht über den Inhalt des Gesetzes hinaus. Enthalten die Gesetze für einen gegebenen Fall keine Bestimmung, so wendet der Richter oder die zur Entscheidung berufene Behörde die für einen ähnlichen Fall getroffene Bestimmung an, wenn der Grund dieser letztern Bestimmung auch für den nicht entschiedenen Fall zutrifft. Das ist die Gesetzesanalogie. Ihre Berechtigung beruht darin, daß keine menschliche Gesetzgebung alle Kombinationen möglicher Rechtsfälle im voraus übersehen kann, und daß das Rechtsleben immer wieder neue Verhältnisse erzeugt, welche der Urheber des frühern Gesetzes nicht kannte. Bestimmungen zum Schutze von Telegraphenleitungen werden angewendet auf die später erfundenen Telephonleitungen; Bestimmungen über die Klagen wegen Verletzung des Eigentums an Sachen werden, wenn sie dem Grunde nach passen, auf Klagen wegen Verletzungen des geistigen Eigentums angewendet, soweit für diese ausreichende Bestimmungen nicht getroffen sind. Die analoge Anwendung ist ausgeschlossen, wenn das Gesetz eine klare Bestimmung dahin getroffen hat, daß es über seinen Sinn hinaus nicht angewendet werden soll. Diese Bestimmung wird vielfach in dem §. 2 des Deutschen Strafgesetzbuchs gefunden, daß eine Handlung nur dann mit Strafe belegt werden kann, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde (nulla poena sine lege). Doch würde dadurch nur ausgeschlossen, daß Handlungen nach einem Gesetz bestraft werden dürfen, wenn sie den von diesem aufgestellten Thatbestand nicht erfüllen. Es wird aber nicht ausgeschlossen, daß Strafmilderungs- oder Strafschärfungsgründe, welche das Gesetz für ein Vergehen oder Verbrechen aufgestellt hat, analog bei einem ähnlichen Vergehen und Verbrechen innerhalb des hier geordneten Strafmaßes angewendet werden. Die A. gilt für das gesamte Rechtsgebiet des öffentlichen wie des Privatrechts, für das materielle Recht wie für die das Verfahren betreffenden Rechtsgebiete. Sie ist auch grundsätzlich nicht ausgeschlossen bei Gesetzen, welche die Natur von Ausnahmebestimmungen haben. Nur darf die Anwendung nicht über den Grund der Ausnahmebestimmungen hinausgehen. Findet sich eine ähnliche gesetzliche Bestimmung nicht, so hat der Richter oder die Behörde das, was dem Fall am angemessensten ist, zu suchen. Sie werden sich hier von dem durch die Praxis geübten und durch die Kenntnis des ganzen Rechtssystems geleiteten Rechts- und Billigkeitsgefühl bestimmen lassen. Diese Entscheidung aus der Natur der Sache hat man auch Rechtsanalogie genannt. Auf ihr beruht die Weiterbildung des gesetzlichen Rechts durch die Praxis. Der Deutsche Entwurf sagt für analog rechtsähnlich.

Analogiebildung, eine Sprachform, die nicht durch eine rein lautmechanische (lautgesetzliche) Fortbildung, sondern dadurch zu stande gekommen ist, daß eine andere Sprachform, die im Bewußtsein mit ihr verbunden (associiert) ist, auf sie eingewirkt hat. Dieser Vorgang heißt auch Formübertragung, Formassociation. So ist z. B. "wir sangen" statt "sungen" (mhd. sungen) nach dem Singular "sang" gebildet, "Geburtsjahr" statt "Geburtjahr" nach "Lebensjahr" u. dgl. - Vgl. Osthoff, Das physiol. und psychol. Moment in der sprachlichen Formenbildung (in der "Sammlung gemeinverständlicher Vortrage", hg. von Virchow und Holtzendorff, Heft 327, Berl. 1879); F. Masing, Lautgesetz und Analogie in der Methode der vergleichenden Sprachwissenschaft (Petersb. 1883); Wheeler, Analogy and the scope of its application in language (Ithaka, N.-Y., 1887). Eine besondere Art der Analogiewirkung ist die Volksetymologie (s. d.).

Analogon (grch.), etwas Analoges, Ähnliches.

Analphabeten (grch.), Menschen, die des Lesens und Schreibens unkundig sind. Statist. Erhebungen über die Zahl der A. sind von hervorragender Bedeutung für die Beurteilung des Bildungszustandes eines Volks und werden in den meisten Kulturstaaten veranstaltet. Auf Grund ihrer bisherigen Ergebnisse läßt sich die größere oder geringere Verbreitung der elementaren Kenntnisse des Lesens und Schreibens in den einzelnen Ländern mit einiger Sicherheit beurteilen. Schwierigkeiten verursacht die Begriffsbestimmung insofern, als die Anforderungen an diejenigen, welche nicht unter die Klasse der A. zu rechnen sind, örtlich verschieden bemessen werden. Zur Feststellung der Zahl der A. hat man drei Methoden eingeschlagen, die direkte Zählung, die Ermittelung gelegentlich der Rekrutenaushebungen und die gelegentlich der Eheschließungen.

a. Die Ergebnisse der Volkszählungen leiden hinsichtlich der A. ganz besonders unter dem Mangel an Einheitlichkeit und Genauigkeit des Erhebungsverfahrens, weshalb die folgenden Zahlen mit Vorsicht aufzunehmen sind. Es gestaltete sich das Prozentverhältnis der A. im Alter von über 6 und 10 Jahren für die gleichalterige männliche und weibliche Bevölkerung: