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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Cholera

liche Auftreten der Epidemien auf den Inseln Malta und Gozzo im Mittelländischen Meere, welche seit 1835 bereits siebenmal von der C. heimgesucht waren. Die beiden Inseln liegen sich sehr nahe, haben ganz gleichen Boden und gleiches Klima und haben sich auch jedesmal gleich empfänglich für die Krankheit erwiesen, Gozzo verhältnismäßig sogar noch etwas mehr als Malta; sie unterscheiden sich nur dadurch, daß Malta infolge seiner ausgezeichneten Häfen einen großen direkten Verkehr mit allen Ländern hat, während Gozzo in Ermangelung jedes Hafens, ja selbst einer größern Bucht, mit der ganzen übrigen Welt nur über Malta verkehrt. So oft nun Malta eine Cholera-Epidemie hatte, kam sie auch nach Gozzo, aber jedesmal 3-4 Wochen später als nach Malta, was sich nur mit der Annahme verträgt, daß der Cholerakeim in Gozzo nicht schon etwa von vorausgegangenen Epidemien her schlummernd vorhanden war, sondern jederzeit erst aus Malta wiedergebracht werden mußte, denn sonst hätte die C. auf Gozzo hier und da gleichzeitig, manchmal sogar früher als in Malta auftreten müssen. Es ist beachtenswert, daß die asiatische C. schon seit Jahrtausenden in Indien vorkommt, jedenfalls so alt ist wie die ind. Kultur, daß sie aber doch erst im 19. Jahrh. so um sich zu greifen und zu wandern anfing. Diese Thatsache hängt ohne Zweifel mit der Steigerung und namentlich mit der Beschleunigung des Verkehrs in und außer Indien zusammen. Das Erscheinen des ersten Dampfschiffs in den ind. Gewässern fällt in das J. 1826, das Erscheinen der C. in Europa ins J. 1831.

Neben dem Verkehr macht sich sowohl in Indien als außerhalb Indiens auch der Einfluß des Bodens und der Jahreszeiten sehr deutlich bemerkbar. Es giebt Orte, welche sich bei jeder Gelegenheit als sehr empfänglich für die C. erweisen, und andere, welche ihr auffallend und andauernd Widerstand leisten, wenn die Krankheit aus benachbarten, epidemisch ergriffenen Orten auch mehrfach und wiederholt eingeschleppt wird. Unter den nichtempfänglichen (immunen) Orten in Europa ist eins der merkwürdigsten Beispiele die große Fabrik- und Handelsstadt Lyon in Südfrankreich, durch welche sich ununterbrochen der lebhafteste Verkehr zwischen zwei Hauptsitzen der C., zwischen Marseille und Paris, zieht.

Orte in Gebirgen und Gebirgsthälern werden viel weniger und seltener ergriffen als in der Ebene, aber auch da kommen ausgedehnte, oft von sehr armer Bevölkerung bewohnte Distrikte vor, welche verschont bleiben, so oft die C. in ihrer Umgebung herrscht, z. B. die Moor- und Malariadistrikte an der Donau in Bayern und zwischen Spree und Röder in Sachsen. Sehr häufig wird beobachtet, daß ein und derselbe Ort Teile hat, welche ebenso regelmäßig von C. stark zu leiden haben, als andere Teile des nämlichen Ortes ebenso regelmäßig verschont bleiben. Die örtliche Immunität kann zweierlei Ursachen haben: Bodenbeschaffenheit und Grundwasserverhältnisse. Orte oder Ortsteile, welche auf Alluvialboden, in Mulden oder an steilen Abhängen liegen, zeigen sich für Cholera-Epidemien viel empfänglicher als Orte, welche auf einem für Wasser und Luft undurchdringlichen Boden, z. B. auf kompakten Felsen oder auf der Höhe zwischen zwei Mulden, auf einem Kamme liegen, wenn dieser auch nicht aus Felsen, sondern aus porösem Boden besteht. Im erstern Falle ist die Bodenbeschaffenheit, im zweiten die Drainage entscheidend.

Wenn man das gruppenweise Auftreten von Ortsepidemien in einem größern Umkreise, in einem ganzen Lande verfolgt, so findet man, daß sich dieselben nicht nach Landstraßen, Eisenbahn- und Schiffahrtslinien aneinander reihen, sondern daß sie sich nach den natürlichen Drainagegebieten, nach Flußgebieten hauptsächlich gruppieren. Da man gegen den Einfluß des porösen Bodens und seiner wechselnden Durchfeuchtung (des Grundwassers) immer das Vorkommen von Cholera-Epidemien auf Malta und auf dem Felsen von Gibraltar geltend machen wollte, reiste Pettenkofer (1868) eigens dahin und fand, daß die Stadt Gibraltar nicht auf einem kompakten Felsen, sondern auf einer Böschung von roter Erde liegt, welche sich an den sehr zerklüfteten steilen Felsen lehnt und sehr viel Wasser schluckt und zurückhält, sodaß in der Stadt mehr als 100 gegrabene Brunnen sind, deren Spiegel viel höher als der Meeresspiegel ist. Der Felsen von Malta saugt wie ein Schwamm Flüssigkeit an, ist so weich, daß er mit der Säge und dem Messer geschnitten wird, und so porös, wie der Sand von Berlin.

Die Cholera-Epidemien kommen und gehen in ihrer Heimat sowohl als auch außerhalb derselben sehr regelmäßig mit den Jahreszeiten. Unter den verschiedenen Einflüssen der Jahreszeit macht sich aber nicht Warme und Kälte als das Entscheidende geltend, denn sonst könnte die C. nicht vom Indischen bis zum Eismeer, von Kalkutta bis Archangel vorkommen, sondern es sind die Regen- und die davon abhängenden Grundwasserverhältnisse. In Niederbengalen (Kalkutta), wo während der Regenzeit vom Mai bis Oktober etwa 150 cm Regen fallen, trifft das Maximum der C. regelmäßig auf den April, das Minimum auf den August. Beide Monate haben gleiche mittlere Temperatur, aber der April ist der Gipfel der heißen trocknen und der August der heißen nassen Jahreszeit. Im Nordwesten Indiens, im Pandschab (Lahaur), herrscht fast dieselbe Hitze wie in Bengalen, da fallen aber in der gleichen Regenzeit nur etwa 50 cm Regen. Während in Niederbengalen die C. immer zugegen ist, bleibt das Pandschab oft viele Jahre hintereinander von Cholera-Epidemien frei, und wenn sie auftreten, zeigen sie sich da hauptsächlich während der Regenzeit. Es scheint daher gerade ein gewisser Wassergehalt des Bodens und eine gewisse Schwankung erforderlich zu sein. Auch bei den Epidemien in Europa tritt der Einfluß gewisser Monate und Zeiten sehr deutlich hervor: da sind Sommer- und Herbstepidemien die Regel. Winterepidemien die Ausnahme und der Frühling (März, April und Mai) bleibt immer fast ganz frei.

Eine fernere Eigentümlichkeit der C., welche sie jedoch mit allen epidemischen Krankheiten teilt, ist die ungleiche Empfänglichkeit der Individuen (individuelle Disposition) dafür, sodaß bei gleicher Infektionsgelegenheit die einen schwer, die andern leicht, die Mehrzahl gar nicht erkranken. Schwächliche und schlecht genährte Personen, deren Organe sehr wasserhaltig sind, haben die größte Disposition, an C. zu erkranken. Ebenso wird die Disposition durch alle Umstände gesteigert, welche auch sonst einem Individuum Diarrhöe verursachen. Sehr konstant verschieden ist die Disposition in verschiedenen Altersklassen. Das Alter von 6 bis 20 Jahren wird am wenigsten ergriffen; bei jeder Epidemie überrascht die verhältnismäßig geringe Zahl von Todesfällen unter der schulpflichtigen Jugend. Vom