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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Cholera

40. Jahre an steigt die Disposition. Genauere Untersuchungen haben ergeben, daß diese Unterschiede weniger in einer absoluten Unempfänglichkeit, als in den höhern und niedern Graden der Erkrankung bestehen. Dem epidemischen Einflüsse ausgesetzt erkranken ziemlich gleich viel, etwa die Hälfte, aber die einen nur an leichten Diarrhöen, welche in der Regel keine weitere Beachtung finden und nicht gezählt werden, die andern an den schweren Formen, welche so häufig zum Tode führen.

Als Hauptfaktoren der Choleraverbreitung kann man demnach drei betrachten: 1) den Verkehr mit Cholera-Orten, welcher den specifischen Infektionsstoff (Cholerakeim) verbreitet, 2) die individuelle Disposition, 3) die lokale (örtliche und zeitliche) Disposition, und man kann in diesen drei Richtungen auf Mittel denken, der Ausbreitung der Krankheit entgegenzuarbeiten. Hinsichtlich der Schutzmaßregeln, welche zur Abwehr der verderblichen Seuche zu ergreifen sind, differieren die Anschauungen Pettenkofers und seiner Schüler in wesentlichen Punkten von denjenigen der Anhänger der Kochschen Lehre, welcher sich neuerdings die ganz überwiegende Zahl der Ärzte und Hygieiniker zugewendet hat. Pettenkofer, welcher den Cholerakeim als einen ektogenen, d. h. nicht vom Kranken produzierten, sondern außerhalb des menschlichen Körpers sich entwickelnden ansieht und in den Darmentleerungen der Cholerakranken kein fertiges pathogenes Gift annimmt, hält es für überflüssig, den Verkehr durch Absperrungsversuche, Quarantäne u. dgl. einzuschränken sowie die Entleerungen, die Effekten und Wäsche der Kranken zu desinfizieren, fordert dagegen in erster Linie die allgemeine Assanierung des Bodens durch Trockenlegung sowie durch prompte Beseitigung aller unreinen Äbfälle des menschlichen Haushalts. Regelrechte Kanalisation und reichliche Versorgung mit reinem Wasser, Entfernung aller Senk- oder Versitzgruben, überhaupt aller Gelegenheiten, welche den Boden unserer Wohnstätten bisher allgemein mit allzu reichlicher Nahrung für das organische Leben in ihm versehen haben, Beseitigung der Stauungen für den Abfluß des Wassers auf der Oberfläche und unter derselben, wodurch zeitweise so große Schwankungen im Feuchtigkeitsgehalte des Bodens eintreten: das sind nach Pettenkofer die sichersten Mittel gegen die Cholera-Epidemien. Daß dieselben wirklich gegen Cholera-Epidemien helfen, davon liegt der Beweis in den Städten vor, welche in neuerer Zeit viel in dieser Richtung gethan haben, und in ihrem Verhalten zu Cholerazeiten jetzt im Vergleich gegen früher. Die geringe Ausdehnung und die geringe Intensität der C. in England 1866, die Nichtbeteiligung Englands an den spätern Cholera-Epidemien des benachbarten Kontinents gegenüber den zahlreichen und heftigen Epidemien, welche England in den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren hatte, sind ein Beweis, daß man praktisch auf dem rechten Wege ist. Auch deutsche Städte können bereits zum Beweise herangezogen werden. So oft im Regierungsbezirke Danzig überhaupt die Bedingungen zu Cholera-Epidemien gegeben waren, war die Stadt Danzig ein Hauptsitz der Krankheit, und 1873 war die C. im Regierungsbezirke so heftig wie sonst, ja sie rückte bis vor die Thore der Stadt in die Dörfer Heubude und Strohteich, aber in der Stadt Danzig selbst ging es diesmal mit etwa 100 Fällen ab, von denen die Mehrzahl, namentlich lokal gehäuftere Erkrankungen, fast ausschließlich auf Häuser trafen, welche ihr altes Senkgrubensystem noch beibehalten hatten. Die Anhänger der Kochschen Lehre, welche den Erreger und Weiterverbreiter der C. in dem Kommabacillus erblicken, sind weit davon entfernt, die Wichtigkeit einer allgemeinen Assanierung des Bodens als eines wirksamen Mittels zur Bekämpfung der C. zu leugnen; aber sie legen das Hauptgewicht des ganzen Schutzverfahrens auf die richtige Handhabung der Prophylaxis beim Auftreten der ersten Cholerafälle durch sofortige Isolierung der Erkrankten und durch die denkbar peinlichste Desinfektion ihrer Entleerungen und Effekten, eine Anschauung, welche in neuerer Zeit, als die C. 1884 von Frankreich her die Grenzen des Deutschen Reichs bedrohte, in dem Erlaß des preuß. Kultusministers zur Abwehr der C. auch offiziell acceptiert wurde. Da eine vollständige Absperrung gegen durchseuchte Länder bei den heutigen Verkehrsverhältnissen nicht möglich ist, so kommt es vor allen Dingen darauf an, die ersten Cholerafälle sofort als solche zu erkennen, was bei dem heutigen Stand der Wissenschaft (bakterioskopische Untersuchung der Darmentleerungen durch Mikroskop und Reinkulturen) nicht schwer hält, um sofort durch strenge Isolierung der Erkrankten und energische Desinfektionsmaßregeln die weitere Verbreitung des Krankheitsgiftes zu verhüten. Zu diesem Behufe sind an allen Grenzstationen, welche den Hauptverkehr mit dem verseuchten Lande vermitteln, Sanitätsämter zu errichten, welchen die Revision der ankommenden Reisenden, die sofortige Isolierung der Cholerakranken, selbst der Choleraverdächtigen, in bereits vorhandenen oder improvisierten Choleraspitälern sowie die Fürsorge für die peinlichste Desinfektion der Darmentleerungen, der Effekten, Wäsche u. dgl. obliegt. Auch die sanitätspolizeiliche Überwachung der Flußschiffahrt ist von größter Wichtigkeit, da durch cholerakranke Schiffer die Seuche leicht über weite Stromstrecken verschleppt wird. Ebenso haben die Sanitätsbehörden die Sauberhaltung der Straßen, Plätze und öffentlichen Brunnen, die fleißige Reinigung der Rinnsteine, der Aborte und Dünggruben zu überwachen sowie die Logierhäuser, Herbergen und die Mietskasernen der Arbeiterbevölkerung hinsichtlich aller hygieinischen Verhältnisse gehörig zu kontrollieren. Da ferner bei Massenansammlungen die Anwesenheit eines an Choleradiarrhöe leidenden Menschen zur Infektion vieler Veranlassung geben kann, wie dies unzähligemale bei dem Zusammenströmen der Pilger in Mekka und anderwärts beobachtet wurde, so ist zu Cholerazeiten der Zusammenfluß größerer Menschenmassen bei Volksfesten, Jahrmärkten und Messen, Wallfahrten, Prozessionen u. dgl. nach Kräften zu verhindern; ebenso müssen größere Truppenbewegungen, wenn nicht taktische Gründe im Kriege dazu zwingen, ganz unterbleiben. Da der Krankheitskeim auch durch Obst, frisches Gemüse, Butter, Weichkäse, Leib- und Bettwäsche, gebrauchte Kleider, Hadern und Lumpen importiert werden kann, so ist die Einfuhr derselben aus Choleraländern sowie auch aus Choleraorten des eigenen Landes mit allen Mitteln zu verhindern. Die Leichen sollen mit Sublimatlösung gewaschen und in besondere Räume gebracht, jede Ausstellung derselben streng verboten und das Leichengefolge möglichst beschränkt werden. Alle minder wertvollen verbrennbaren Effekten der Erkrankten und Verstorbenen müssen, wenn sie auch nur der Infektion verdächtig

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