Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

256

Cholera

schwitzung von Wasser aus den Blutgefäßen in die Höhle des Darmkanals zu sein, durch welche das Epithel der Darmschleimhaut ganz ebenso abgehoben und schließlich abgestoßen wird, wie bei einer Verbrennung der äußern Haut die Oberhaut durch die aus dem Blute ausgeschwitzte Flüssigkeit abgelöst und zu einer Blase emporgehoben wird. Durch den raschen und übermäßigen Wasserverlust wird das Blut dickflüssig, bewegt sich langsamer und vermag nicht mehr die feinen Haargefäße zu durchdringen. Daher stockt der Atmungsprozeß in der Lunge, es tritt Atemnot und Beängstigung wie beim Ersticken ein. Das Gehirn wird infolge der mangelhaften Blutcirkulation nicht gehörig ernährt, daher die Hirnsymptome. Da das eingedickte Blut an Masse sehr beträchtlich abgenommen hat, so fehlt allen Teilen der Haut ihre sonstige Fülle. Die blaue Farbe des Blutes erklärt sich aus der mangelhaften Atmung, denn nur der beim Atmen aufgenommene Sauerstoff färbt das Blut hellrot.

Gleichwie die gesamte Symptomengruppe der C. durch gewisse mineralische und organische Stoffe (z. B. weißen Arsenik und giftige Schwämme) hervorgerufen wird, so nahm man schon seit längerer Zeit an, daß auch die asiatische C. durch einen specifischen Infektionsstoff (wahrscheinlich einen niedrigen Organismus, Spaltpilz u. dgl.) hervorgerufen würde. Die sichere Entdeckung des gesuchten Choleragiftes gelang aber erst Rob. Koch, dem Führer der 1883 vom Deutschen Reich zur Erforschung der C. nach Ägypten und Indien gesandten wissenschaftlichen Expedition. Koch fand in dem Darminhalt der Cholerakranken, in der Darmwand der Choleraleichen, in der Wäsche sowie in dem Boden der durchseuchten Ortschaften ganz regelmäßig massenhafte eigenartige Spaltpilze, welche sich als die eigentlichen Erreger der asiatischen C. erwiesen haben. Die Cholerabacillen sind kleine gebogene, sehr lebhaft bewegliche Stäbchen von der Form eines Komma (Kommabacillen), die sich gern in Form eines S oder auch längerer, spirillenförmiger Fäden aneinanderlegen, sodaß sie hiernach sogar zu den Spirillen gerechnet werden können; eine sichere Sporenbildung ist noch nicht bekannt. (S. Tafel: Bakterien, Fig. 5.) Die eigentümliche Form der Reinkulturen auf Gelatine beweist die Specificität der Kommabacillen gegenüber zahlreichen ähnlichen Formen, die fälschlich für identisch mit ihnen erklärt worden sind (namentlich der von Finkler und Prior gefundene Bacillus bei Sommerdiarrhöe der Kinder). In Gelatinekulturen entsteht bei Zusatz von Mineralsäuren früher als bei andern Mikroorganismenkulturen eine Rotfärbung (sog. Cholerarot) als Reaktion auf das darin gebildete Zersetzungsprodukt Indol.

Specifische Choleragifte sind aus den Kulturen noch nicht gewonnen worden, wenn auch einzelne Forscher gewisse Toxalbumine und Toxoglobuline aus den Cholerakulturen dargestellt und als das specifische Gift bezeichnet haben. Bei geeigneter Temperatur (17-40°, auf Kartoffeln nur über 24° C.) wachsen die Kommabacillen auf allen denkbaren Nährböden (Reiswasser, Sagowasser, feuchter Wäsche, feuchter Erde), wenn dieselben feucht, nicht sauer und dem Zutritt von Sauerstoff günstig sind. Eintrocknung, Erhitzung u. a. tötet die Bacillen sehr rasch; ebenso verschwinden sie bald in Wasser, in welchem die gewöhnlichen Wasserbakterien vegetieren. Säuren (Carbol-, Salzsäure) sind höchst verderblich für die Bacillen, worauf die Widerstandsfähigkeit von Menschen mit normal salzsaurem Magensaft gegen die Cholerainfektion beruht. Im alkalischen Darminhalt der Cholerakranken (den "Reiswasserstühlen") finden sich die Kommabacillen in ungeheurer Menge. Die Erzeugung eines der C. gleichenden Krankheitsbildes bei Tieren durch die Bacillen gelingt bei gesunden Tieren bei einfacher Verfütterung nicht; werden die Bacillen direkt in den Darm, oder durch den Magen nach vorheriger Alkalisierung desselben eingebracht, so entsteht zwar eine etwas choleraähnliche Darmentzündung, doch kann das gleiche Krankheitsbild bei diesem Verfahren auch durch andere Bakterien erzielt werden. Das negative Impfergebnis stimmt mit der Erfahrung überein, daß die C. eine eben nur bei Menschen vorkommende Krankheit ist. Eine Infektion durch Cholerareinkulturen an einem damit arbeitenden Arzt ist einmal in unzweifelhafter Weise bekannt geworden.

Sichere Schutzimpfungsmethoden (durch künstliche Abschwächung der Virulenz der Bacillen) sind bisher nicht bekannt; die von Ferran versuchten sind wirkungslos. Neuerdings gelang es zwar Brieger, Kitasato und Klemperer, Tiere teils durch abgeschwächte Cholerakulturen, teils durch Blutserum von Cholerakranken immun gegen eine Choleravergiftung zu machen; jedoch fehlt es noch an Erfahrunq, inwieweit diese Versuche an Tieren sich auf den Menschen mit Erfolg übertragen lassen. Der Cholerabacillus ist ursprünglich ein Produkt des Bodens und des Klimas von Indien; aber obschon vom Boden Indiens stammend, ist er doch auch in andere Länder und Weltteile durch den menschlichen Verkehr verbreitbar (verschleppbar), wo er sich so lange erhalten und vermehren kann, als er gewisse örtliche Bedingungen vorfindet, deren er auch in seiner ursprünglichen Heimat bedarf. Die Eigenschaft der C., in ihrer Verbreitung zugleich vom Verkehr und von örtlichen Ursachen (vom Boden und Drainageverhältnissen) abhängig zu sein, hat lange zu keinen richtigen Anschauungen über die Verbreitungsart derselben gelangen lassen. Anfangs faßte man die doppelte Abhängigkeit vom Verkehr und von der Örtlichkeit den herrschenden Schulansichten entsprechend als etwas Gegensätzliches auf und dachte, daß die C. entweder vom Menschen, namentlich von Cholerakranken verbreitet werde, und dann sei sie eine ansteckende, kontagiöse Krankheit, oder daß sie vom Boden stamme, und dann sei sie eine miasmatische Krankheit. Erst die Untersuchungen Pettenkofers haben 1854 darauf hingewiesen, daß beides notwendig zusammengehören könnte und sich nicht zu widersprechen brauchte. Auf diesem Grundgedanken, Cholerakeim und Choleralokalität beide zusammen als wesentlich zu betrachten und gesondert zu behandeln, ist die neuere Lehre von der Verbreitungsart der C. entstanden.

Selbst in Indien sind es nur wenige Bezirke, wo die C. ständig, endemisch vorkommt, und auch dort giebt es Zeiten, wo sie schlummert. Außerhalb der endemischen Bezirke scheint der Keim nach einiger Zeit, in 1-2 Jahren, immer wieder abzusterben, und die epidemische C. bedarf zu ihrem Wiedererscheinen neuer Einschleppung. Daß das wenigstens in Europa der Fall ist, spricht sich jedesmal sehr deutlich im Fortschreiten der Epidemien von Osten nach Westen oder von Meeresküsten ins Innere aus. Ein schlagender Beweis für das Absterben des Keims nach einer abgelaufenen Epidemie und für die Notwendigkeit einer neuen Einschleppung ist das zeit- ^[folgende Seite]

^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]