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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Christenverfolgungen

dung genossen zu haben. Die Hinrichtung des ältern Jakobus durch Herodes Antipas (44 n. Chr.) und die Steinigung Jakobus' des Gerechten durch den Hohenpriester Ananus (62) sind vereinzelte Fälle, deren nähere Veranlassung im Dunkeln liegt. Erst seit der Zerstörung Jerusalems (70), besonders aber seit dem Aufstande unter Bar-Cochba (133), steigerte sich der Haß der Juden gegen ihre der nationalen Sache entfremdeten Stammesgenossen zu einem leidenschaftlichen, aber mit dem Sturze Bar-Cochbas schnell vorübergehenden Terrorismus.

Die röm. Staatsgewalt nahm von den Christen anfangs wenig Notiz, da sie als jüd. Sekte gesetzliche Duldung genossen, aber auch die auf den Juden lastende Verachtung teilten. Die Christenschlächterei unter Nero (64) scheint sich nicht über Rom hinaus erstreckt zu haben, trägt auch noch nicht den Charakter einer eigentlichen Religionsverfolgung. Der Tyrann wollte nur für den ihm von der Volksmeinung zugeschobenen Brand der Stadt Rom diejenigen büßen lassen, welche, als von allen verachtet und gehaßt, zu jeder Schandthat für fähig galten. Noch unter Domitian (81-96), welchen die Sage die zweite Christenverfolgang verhängen läßt, kam es höchstens zu vereinzelten Todesurteilen in Rom, aus nicht ganz klaren Beweggründen, und zu Nachforschungen nach den Nachkommen der Davidschen Familie, von deren Unschädlichkeit sich der Kaiser bald überzeugte. Einem förmlichen strafgerichtlichen Verfahren gegen die Christen wegen staatsgefährlicher Verbindungen begegnet man erst unter Trajan (98-117), von dem der Statthalter Plinius von Bithynien sich Verhaltungsbefehle erbat. Nach der Weisung des Kaisers sollten die Christen nicht aufgesucht und anonyme Denunziationen nicht berücksichtigt, Überwiesene und Geständige aber auf Grund der Staatsgesetze als Rebellen mit dem Tode bestraft werden. Dies blieb auch für die folgenden Kaiserregierungen feststehende Regel. Seitdem die Zahl der Christen sich dermaßen vermehrt hatte, daß an manchen Orten schon die Tempel zu veröden begannen, mußte die Staatsgewalt auf diejenigen ein wachsames Auge richten, welche ungescheut den nahen Untergang des Römischen Reichs und die Errichtung einer neuen Ordnung der Dinge verkündigten, in welcher sie die Herrschenden sein und alle Heiden vertilgt werden sollten. Die weitverzweigte geheime Verbindung der Christen konnte jetzt nicht mehr als jüd. Sekte Duldung beanspruchen: sie erschien nicht bloß der herrschenden Staatsreligion, sondern der röm. Staatsordnung selbst gefährlich. Die angeblichen Edikte Hadrians (117-138) und des Antoninus Pius (138-160) zu Gunsten der Christen sind christl. Fiktionen; doch hatte man unter diesen beiden Kaisern sowie in der ersten Zeit Marc Aurels (160-180) verhältnismäßig Ruhe. Erst in den letzten Regierunasjahren dieses Kaisers kam es gleichzeitig in den verschiedensten Teilen des Reichs, in Gallien, Griechenland und im Orient, zu einem Verfolgungssturm, wie ihn die Christen bis dahin noch nicht erlebt batten. Trajans Grundsätze wurden jetzt, namentlich von seiten der Statthalter in den Provinzen, vielfach überschritten. Ausführliche Berichte aus jener Zeit haben wir namentlich über die C. zu Lyon und Vienne. Marc Aurels Nachfolger, Commodus (180-192), kehrte zu der mildern Praxis des trajanischen Anklageverfahrens zurück. Der anfangs duldsamere Kaiser Septimius Severus

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(193-211) gab durch sein 202 erlassenes Verbot des Übertritts zum Judentum oder Christentum das Signal zu einer, wie es scheint, über verschiedene Teile des Reichs ausgedehnten Verfolgung. Doch war die Todesstrafe auch damals nicht die Regel, häufiger scheinen Verbannungen und Deportationen zur Zwangsarbeit in den kaiserl. Bergwerken vorgekommen zu sein. Schon unter Severus bereitete sich indes ein Umschwung in der Stellung des röm. Staates zum Christentume vor. Der religiöse Synkretismus, dem die ausländischen Kaiser, namentlich Heliogabalus (218-222) und Alexander Severus (222-235), ergeben waren, gewährte auch dem Christengotte eine Stelle in dem heidnischen Pantheon. Der Christenhaß des Kaisers Maximinus (235-238), mehr noch die durch öffentliche Unglücksfälle gesteigerte Volksleidenschaft gab den Anstoß zu vorübergehenden, aber harten Drangsalen der Christen in einigen Provinzen. Dagegen trat unter seinen Nachfolgern, von denen einer, Philippus (244-249), der Sage nach sogar Christ geworden sein soll, eine längere Ruhe ein.

Die Periode der allgemeinen C. beginnt erst unter Kaiser Decius (249-251). Um die alte röm. Staatsreligion, auf welcher ihm auch die polit. Wohlfahrt zu ruhen schien, aufs neue zu befestigen, begann er gegen das Christentum einen Kampf auf Leben und Tod. Decius leitete die Verfolgungen selbst; kaiserl. Edikte bedrohten die säumigen Statthalter mit harten Strafen. Die gegen die Christen angewendeten Zwangsmittel schritten stufenweise bis zum sichersten fort. In Rom, Alexandria, Karthago, Pontus scheint die Verfolgung am ärgsten getobt zu haben; vornehmlich war es auf die Bischöfe abgesehen, denn die inzwischen ausgebildete festgegliederte kirchliche Verfassung erschien als ein fremdartiger Staat im Staate ganz besonders gefährlich. Die Zahl der Opfer war diesmal weit bedeutender als in den frühern Verfolgungen. Nach dem Tode des Decius ließen die Verfolgungen nach, wurden aber von dem anfangs günstiger gestimmten Valerian (253-260) noch einmal erneuert. Doch bestrafte man fast nur Bischöfe und Priester mit dem Tode. Der hierauf folgenden langjährigen, nur durch Kaiser Aurelian (274) vorübergehend unterbrochenen Ruhe wurde durch die Edikte Diocletians (284-305) ein Ende gemacht. Nachdem dieser Kaiser neun Jahre hindurch den Christen unbedenklich den Zutritt zu den höchsten Ehrenstellen bei Hofe und im Heere gestattet hatte, begann 303 die letzte, aber furchtbarste Verfolgung. Den Anlaß gab der Fanatismus seines Mitkaisers Galerius, der nur von der Ausrottung der Christen die erneute Gunst der zürnenden Götter und den Sieg der röm. Waffen erwartete. Drei Edikte gegen die christl. Religion und die Vorsteher christl. Gemeinden folgten 303 rasch aufeinander; ein viertes ward 304 gegen die Christen überhaupt erlassen. Im ganzen Römischen Reich wurden die christl. Kirchen zerstört, die heiligen Bücher weggenommen und verbrannt, die gottesdienstlichen Versammlungen verboten: Verlust aller Ehrenämter, Beraubung des Vermögens, Gefängnis und zuletzt der Tod drohte allen, die sich nicht bequemen wollten, den Göttern zu opfern. Die Zahl der Opfer war wenigstens in der ersten Zeit an manchen Orten äußerst bedeutend. Dennoch erwiesen sich alle Versuche, das Christentum auszurotten, als vergeblich. Noch zu Ende des J. 304 hob Diocletian die Todesstrafe

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