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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutschland und Deutsches Reich (Geschichte 1815-66)

die Krisis in Kurhessen noch mehr verwickelt. Schleswig-Holstein hatte, nachdem Preußen 2. Juli 1850 mit Dänemark Frieden geschlossen, sich selbst überlassen, den Krieg gegen Dänemark auf sich allein genommen. Die auswärtigen Mächte drangen endlich auf eine friedliche Lösung der Verwicklung und unterzeichneten (2. Aug.) zu Gunsten der dauernden Integrität der dän. Monarchie das Londoner Protokoll, dem sich Österreich anschloß. In Kurhessen hatten sich noch bedenklichere Verwicklungen ergeben. Das im Febr. 1850 an Stelle des liberalen Märzministeriums getretene Ministerium Hassenpflug ("der Hessen Fluch") hatte bei der Kammer den entschiedensten Widerstand gefunden und war deshalb (Juni 1850) zur Auflösung der Ständeversammlung geschritten. Die neue Versammlung, die 22. Aug. eröffnet ward, enthielt nicht einen Anhänger der Hassenpflugschen Politik; sie weigerte sich, mit Berufung auf die Verfassung, die Forterhebung der Steuern ohne Vorlage des Budgets zu genehmigen. Hassenpflug legte diesen Beschluß als eine Steuerverweigerung aus und löste (2. Sept.) auch diese Kammer auf. Eine Verordnung (4. Sept.) befahl die Forterhebung der Steuern ohne landständische Genehmigung, während Hassenpflug zugleich bei dem Bundestage in Frankfurt auf eine Intervention hinwirkte. Die hess. Beamten weigerten sich, die Maßregel zu vollziehen, und das Ministerium verhängte den Kriegszustand über das Land (7. Sept.). Als auch dessen Ausführung an den Bedenken der Beamten und höhern Offiziere scheiterte, verließ der Kurfürst mit dem Ministerium (13. Sept.) Cassel, indem er seine Residenz nach Wilhelmsbad verlegte. In Frankfurt erwirkte dann Hassenpflug den Beschluß vom 21. Sept., wonach "die Bundesversammlung sich vorbehielt, alle zur Sicherung und Wiederherstellung des gesetzlichen Zustandes erforderlichen Anordnungen zu treffen". Die vom Ministerium erlassenen Ordonnanzen fanden indessen fortgesetzt Widerstand in der richterlichen Unabhängigkeit, und die hess. Offiziere forderten in dem Konflikt zwischen ihrem Verfassungseid und den ihnen aufgegebenen Befehlen fast sämtlich ihren Abschied. Kurhessen ward nun das Schlachtfeld, wo der Konflikt zwischen Österreich und Preußen, zwischen Bundestag oder Bundesstaat ausgefochten werden mußte. Die offiziellen Noten des preuß. Ministeriums (Radowitz hatte 27. Sept. die auswärtigen Angelegenheiten übernommen) ließen erwarten, daß man die kurhess. Verfassung beschützen werde. Diese Meinung befestigte sich, als preuß. Truppen in Kurhessen einrückten. Aber nicht um die hess. Unterthanen zu schützen, deren Auflehnung gegen den Landesherrn ihm verwerflich erschien, sondern um die Ehre Preußens gegenüber dem nach seiner Meinung ungesetzlichen Bundestage zu wahren, hatte der König dem Drängen Radowitz' nachgegeben.

Damals verständigte sich der Kaiser von Österreich in Bregenz mit den Königen von Bayern und Württemberg, im Notfall durch bewaffnetes Einschreiten in Kurhessen dem restaurierten Bundestage Geltung zu erkämpfen, und in der That setzten sich gleich nachher österr. und bayr. Streitkräfte in Bewegung. Preußen kam auf den Gedanken, den russ. Kaiser als Schiedsrichter anzurufen. Kaiser Franz Joseph nebst Fürst Schwarzenberg, der das Wort ausgesprochen hatte: "Il faut avilir la Prusse et après la démolir" ("Man muß Preußen erniedrigen und dann zerschmettern"), und der preuß. Ministerpräsident Graf Brandenburg kamen in Warschau mit Nikolaus zusammen und verhandelten 26. bis 28. Okt. über die deutsche Frage. Der Zar warnte die preuß. Politik sehr bestimmt, in Hessen und Holstein dem Bundestage entgegenzutreten. Entsprechend riet auch Graf Brandenburg nach seiner Rückkehr nach Berlin. Die österr. und bayr. Truppen rückten 1. Nov. 1850 in Hanau ein, eine preuß. Abteilung besetzte Cassel (2. Nov.); ein Konflikt schien unabwendbar. Aber das Programm des Widerstandes, welches Radowitz vorlegte, drang nicht durch, und dieser nahm als Minister seine Entlassung. Sein Nachfolger im Auswärtigen Amte, Freiherr Otto von Manteuffel, begann mit Konzessionen. Zwar führten weitere Nachrichten noch zu dem Beschluß der Mobilmachung, die im Lande mit Begeisterung aufgenommen wurde, und 8. Nov. kam es beim Vorrücken der Exekutionstruppen bei Bronnzell (s. d.) in der Nähe von Fulda zu einem unbedeutenden Zusammenstoß mit den Preußen; allein man wies die letztern von Berlin aus an, sich zurückzuziehen und nur die Etappenstraßen besetzt zu halten. Manteuffel suchte eine persönliche Besprechung mit dem Fürsten Schwarzenberg, die in Olmütz stattfand (29. Nov.) und den diplomat. Sieg der österr. Politik vollendete, der freilich durch den Umstand erleichtert war, daß der König in der hess. und holstein. Frage dasselbe wollte wie Österreich. Preußen ließ die Exekution in Hessen gewähren und versprach in Holstein durch einen Kommissar, nötigenfalls mit Waffengewalt, mitzuwirken. Ein Zugeständnis an Preußen sollte es sein, daß die Bundesreform nicht auf dem Bundestage, sondern auf freien Ministerialkonferenzen in Dresden beraten werden sollte.

In Hessen ward indessen die Exekution im Sinne des restaurierten Bundestags vollzogen. Das Land wurde mit Exekutionstruppen gefüllt, mißliebige Personen durch Zwangseinquartierung bestraft, der ständische Ausschuß aufgelöst. Die gesetzliche Justiz ward durch formlose Kriegsgerichte ersetzt und im ganzen ein Zustand begründet, wie er auch in den traurigsten Zeiten deutscher Geschichte kaum ein Seitenstück findet. Im übrigen Deutschland bildeten sich Unterstützungsvereine für die verfolgten hess. Beamten und Offiziere. Auch in Holstein nahm man die Bundesexekution vor, indem man eine neue provisorische Verwaltung einsetzte, das Land entwaffnete, das Heer auflöste.

Am 23. Dez. 1850 begannen die Dresdener Konferenzen, ohne daß man im Laufe dreier Monate zu einem Ergebnis kam. Von seiten Österreichs und der ihm verbündeten Staaten wurde versucht, eine Exekutive in der Bundesverfassung herzustellen, an der außer Österreich und Preußen auch die vier Königreiche teilnehmen sollten, während Preußen sie wieder nur von den beiden Großmächten gebildet wissen wollte. An der Weigerung Österreichs, die Gleichberechtigung Preußens im Bundespräsidium zuzugestehen, scheiterten sowohl diese Bemühungen wie der Plan, den Eintritt der österr. Gesamtmonarchie durchzusetzen; auch die handelspolit. Projekte führten zu keinem endgültigen Resultat. So blieb denn nichts übrig als die Rückkehr zum alten Bundestage, der seit Mai 1851 auch von Preußen und den Unionsstaaten wieder beschickt ward. Der Gesamteintritt Österreichs in den Deutschen Bund wurde zwar nicht ausgeführt, auch die beiden östl. Provinzen Preußens traten wieder aus dem Bunde; durch geheimen Vertrag verbanden sich