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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Erastianismus; Erastus; Eratō; Eratosthĕnes

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Erastianismus - Eratosthenes

und ein vollendeter Weltmann. Ein überlegener Verstand, den er gern in Sarkasmen zeigte, leitete ihn; von Leidenschaften kannte er nur die Eitelkeit. Man hat ihn treffend mit Voltaire verglichen. Kaum gab es ein Gebiet der damaligen Wissenschaft, auf dem er nicht thätig war. Seine "Adagiorum chiliades" (Vened. 1508 u. ö.) sind eine Sprichwörtersammlung mit schönen Erläuterungen. E. verfaßte treffliche pädagogische Schriften. Mit gesundem Gefühl bekämpfte E. die Alleinherrschaft des ciceronianischen Stils in der Satire "Ciceronianus" (1528). Die Zahl seiner Ausgaben klassischer und patristischer Schriftsteller (z. B. Cicero, Seneca, Aristoteles, Hieronymus, Augustinus) ist unabsehbar. Sein Herz hing an der griech. Litteratur, während ihm das Hebräische fern lag. Lucian war sein Liebling. Die noch heute gültige Aussprache des klassischen Griechischen geht auf E. zurück ("De recta latini graecique sermonis pronunciatione dialogus", 1528). Seine dem Papst gewidmete und mit einer lat. Übersetzung versehene Ausgabe des Neuen Testaments (Bas. 1516), der bald eine wertvolle Paraphrase folgte, trug ihm lebhafte Anfeindungen von der Kirche ein, weil sie an der Vulgata Kritik übte, wurde dagegen von Luther seiner Bibelübersetzung zu Grunde gelegt. Auch in andern Schriften äußerte E. reformatorische Gedanken, so in dem ausgezeichneten Erbauungsbuch "Enchiridion militis christiani", in den vielbenutzten "Familiaria colloquia" (1524), Meisterstücken der lat. Umgangssprache, und in der eleganten, geistreichen Satire auf alle Stände "Encomium moriae" ("Lob der Narrheit", Par. 1509). Sie gehörte, durch Holbeins Federzeichnungen geschmückt, zu den gelesensten Büchern des Jahrhunderts. Trotz mancher Übereinstimmung stieß den geistigen Aristokraten E. das Auftreten des Volksmannes Luther ebenso ab, wie die Leidenschaft Ulrichs von Hutten, mit dem er in eine wenig ehrenvolle Fehde geriet. Gegen Luther richtete E. u. a. seine "Diatribe de libero arbitrio" (1526). Trotzdem hat ihn auch die kath. Partei nicht als einen der Ihrigen angesehen, sondern seine Schriften auf den Index gesetzt. Die vollständigste und beste Ausgabe seiner Werke besorgte Leclerc (10 Bde., Leid. 1703-6). - Vgl. Stichart, Erasmus (Lpz. 1870); Drummond, Erasme (2 Bde., Lond. 1873); F. C. Hoffmann, Essai d’une liste d’ouvrages et dissertations concernant la vie et les écrits d’Erasme (Brüss. 1866); Kan, Erasmiana (Rotterd. 1881); de Nolhac, E. en Italie (mit ungedruckten Briefen, Par. 1888); Amiel, Un libre-penseur du XVIme^[XVI<sup>me</sup>] siècle: E. (ebd. 1889); Glöckner, Das Ideal der Bildung und Erziehung bei E. (Lpz. 1890); A. Richter, Erasmus-Studien (ebd. 1891); Hartfelder, Desiderius E. von Rotterdam und die Päpste seiner Zeit (im "Histor. Taschenbuch", 6. Folge, Jahrg. 12, ebd. 1892).

Erastianismus, s. Erastus.

Erastus, Thomas, gräcisiert aus Lieber oder Liebler, Theolog, geb. in Auggen bei Badenweiler 1524, studierte in Basel Theologie, in Bologna und Padua Philosophie und Medizin, ward Leibarzt des Grafen von Henneberg, 1558 des Kurfürsten Otto Heinrich von der Pfalz und Professor der Medizin zu Heidelberg, 1580 Professor der Medizin und der Moral in Basel, wo er 1. Jan. 1583 starb. Als Naturforscher trat er den alchimist. und den naturphilos. Anschauungen des Paracelsus entgegen, verteidigte aber selbst die Verbrennung der Hexen; als Theolog vertrat er Zwinglis Auffassung des Abendmahls gegen den Calvinismus und völlige Unterordnung der Kirche unter den Staat. Nach seinem Tode erschien die "Explicatio gravissimae quaestionis, utrum excommunicatio mandato nitatur divino, an excogitata sit ab hominibus", worin er die selbständige Kirchengewalt bekämpft. Dadurch wurde E. auch in Großbritannien bekannt, wo noch jetzt Erastianismus jede Unterstellung des Kirchenregiments unter die Staatsautorität heißt.

Eratō, eine der Musen (s. d.). - E. ist auch der Name des 62. Planetoiden.

Eratosthĕnes, griech. Gelehrter der Alexandrinischen Schule, der sich selbst den Beinamen des Philologen gab, nicht im jetzigen Sinne, sondern in dem des Freundes der Wissenschaft überhaupt, geb. 275 v. Chr. zu Kyrene in Afrika, wurde um 235 von Ptolemäus Euergetes aus Athen nach Alexandria, wo er früher, namentlich unter Kallimachus studiert hatte, zurückgerufen und war dort viele Jahre Vorsteher der großen Bibliothek. Er starb 194 v. Chr., wie es heißt den freiwilligen Hungertod aus Gram über seine Erblindung. E. war ein feinsinniger Dichter und ausgezeichneter Grammatiker, wobei übrigens seine Thätigkeit mehr den realen Disciplinen als der sprachlichen Seite zugewandt war, zugleich aber auch einer der größten Forscher im Gebiete der sog. exakten Wissenschaften. Er erfand namentlich eine Lösung des Problems der Verdoppelung des Würfels (vgl. den Brief des E. hierüber, übersetzt von Dreßler, Wiesb. 1828) und eine Methode, die Primzahlen zu finden (das sog. Sieb des E., grch. koskinon, lat. cribrum Eratosthenis genannt, nach dem Titel der Schrift des E. darüber). Auch bestimmte er um 220 v. Chr. an großen Armillen, die unter dem Portikus des Akademiegebäudes in Alexandria aufgestellt waren, die Schiefe der Ekliptik mit ziemlicher Genauigkeit. Große Berühmtheit erlangte aber besonders seine Gradmessung, die erste wirkliche Erdmessung. Er bestimmte zu diesem Zwecke die Zenithdistanz der Sonne zur Zeit des Sonnensolstitiums im Mittag zu einem Fünfzigstel des Kreises, während sie in Syene Null war; die Entfernung zwischen beiden Orten nahm er zu 5000 Stadien an und fand daher für den Erdumfang 250000 Stadien. Ferner hat E. in drei Büchern "Geographika" das erste wissenschaftliche System der Geographie aufgestellt, das nach dem Verluste aller Werke des E. besonders durch die Anführungen bei Strabo verhältnismäßig gut bekannt ist. Vgl. Wilberg, Die Konstruktion der allgemeinen Karten des E. (Essen 1834); ders., Das Netz der allgemeinen Karten des E. und Ptolemäus (ebd. 1835); Schäfer, Die astron. Geographie der Griechen bis auf E. (Flensb. 1873); Berger, Die geogr. Fragmente des E. (Lpz. 1880). - Wie E. durch jenes Werk der Schöpfer der wissenschaftlichen Geographie ward, so ist er durch seine "Chronographiai" der Begründer der wissenschaftlichen Chronologie geworden. Von seinem Werke über die Sternbilder sind die erhaltenen, namentlich von Schaubach (Gött. 1795) und Robert (Berl. 1878) herausgegebenen "Catasterismi" ein Auszug. Vgl. Maaß, Analecta Eratosthenica (in den "Philolog. Untersuchungen", Heft 6, Berl. 1883). In einem vierten großen Werke behandelte E. die alte griech. Komödie. Von diesem Werke sind nur Bruchstücke erhalten. Von den Dichtungen des E. enthielt ein Epos "Hermes" (Merkur) die Kind-^[folgende Seite]