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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frankreich (Geschichte 1879-87)

versagte. Um sich aus der Verlegenheit zu helfen, legte sie 23. Nov. 1876 einen Gesetzentwurf vor, wonach die militär. Ehren nur den aktiven Militärs erwiesen werden sollten. Diese offenkundige Hinneigung zu klerikalen Tendenzen erregte einen solchen Sturm, daß das Kabinett Dufaure 2. Dez. den Gesetzentwurf zurückziehen und einer Tagesordnung zustimmen mußte, die bei der künftigen Anwendung des Bestattungsreglements die beiden Grundsätze der Gewissensfreiheit und der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz aufrecht erhalten wissen wollte. Da das Kabinett nunmehr weder im Senat, dem es zu liberal, noch in der Abgeordnetenkammer, der es zu klerikal war, eine Mehrheit hatte, so nahm es seine Entlassung. Nach langen Verhandlungen kam dann 12. Dez. ein neues Ministerium zu stande, in dem Jules Simon, Mitglied der gemäßigten Linken, die Präsidentschaft und das Portefeuille des Innern übernahm, Martel die der Justiz und des Kultus, alle andern Portefeuilles in den Händen ihrer bisherigen Inhaber blieben.

Auf die Agitation der Klerikalen, die von Mac-Mahon verlangten, er solle alle Mittel anwenden, um der Unabhängigkeit des Papstes Achtung zu verschaffen, kennzeichnete Simon 3. Mai 1877 angesichts der ital. Garantiegesetze die Reden von einer Gefangenschaft des Papstes als Übertreibungen. Darauf beklagte sich der Papst öffentlich darüber, daß der franz. Ministerpräsident ihn als einen Lügner bezeichnet habe. Dies hielten die Ratgeber Mac-Mahons für einen günstigen Anlaß, um mit der parlamentarischen Herrschaft aufzuräumen. Infolge eines Schreibens des Marschalls an Simon, worin jener seinen Zweifel ausdrückte, ob das Ministerium noch genug Einfluß in der Kammer habe, reichte das Kabinett 16. Mai seine Entlassung ein, worauf 17. Mai ein aus Legitimisten, klerikalen Orleanisten und Bonapartisten zusammengesetztes Ministerium gebildet wurde, worin der Herzog von Broglie das Präsidium und die Justiz, Fourtou das Innere übernahm. Am 23. Juni erteilte der Senat die von der Regierung verlangte Zustimmung zur Auflösung der Kammer, die 25. Juni erfolgte. Das Resultat der von Gambettas Agitation beeinflußten Neuwahlen vom 14. und 28. Okt. war, daß etwa 320 Republikaner und 210 Monarchisten, darunter 112 Bonapartisten, gewählt wurden. Da das Ministerium mit einer republikanischen Kammermehrheit von 110 Stimmen nicht verhandeln konnte und überdies am 4. Nov. auch die Generalrats- und Bezirkswahlen vorwiegend republikanisch ausfielen, so gab es 20. Nov. seine Entlassung ein, und 23. Nov. wurde ein reines Geschäftsministerium ernannt, an dessen Spitze der General de la Rochebouet stand. Aber die Kammer erklärte am Tage darauf, daß sie zu einem Ministerium, das die Verneinung der Volksrechte und der parlamentarischen Rechte sei, nicht in Beziehung treten könne, und die Budgetkommission weigerte sich, der Kammer die Bewilligung der direkten Steuern vorzuschlagen. Darauf wurde Dufaure vom Marschall mit Bildung eines neuen Kabinetts beauftragt, das 14. Dez. 1877 zu stande kam und worin er die Justiz, Waddington das Auswärtige, Say die Finanzen, Freycinet die öffentlichen Arbeiten übernahm. Sämtliche neue Minister gehörten der republikanischen Partei an, und fünf von ihnen waren Protestanten.

In der Session von 1878 bewilligte die Kammer das Amnestiegesetz für alle Preßvergehen des J. 1877 und für alle Vergehen gegen das Vereinsgesetz. Durch das Dekret des Präsidenten vom 26. Juni wurden etwa 1300 Teilnehmer am Communeaufstand begnadigt, nachdem schon vorher 890 amnestiert worden waren. Die Weltausstellung in Paris wurde 1. Mai eröffnet, die Enthüllung der Statue der Republik auf dem Marsfeld 30. Juni als nationaler Festtag gefeiert. Bei den 5. Jan. 1879 vorgenommenen Senatorenwahlen wurden 60 Republikaner und 15 Monarchisten gewählt, während 56 Monarchisten und 19 Republikaner ausgetreten waren. Dadurch erhielten die Republikaner, und zwar die gemäßigten, auch im Senat eine Mehrheit von 58 Stimmen. Freilich war damit auch Mac-Mahons Stellung wankend geworden. Die Republikaner verlangten die Absetzung der bonapartistisch gesinnten Generale und ihre Ersetzung durch jüngere, von Gambetta begünstigte. Da Mac-Mahon die Unterzeichnung der hierauf bezüglichen Dekrete verweigerte, bot das Ministerium seine Entlassung an. Aber ein Ministerium, das ihm nicht die nämlichen Dekrete vorgelegt hätte, zusammenzubringen war ihm unmöglich, daher er selbst 30. Jan. 1879 Dufaure die Niederlegung seines Amtes ankündigte.

17) Unter der Präsidentschaft Grévys (1879-87). Sofort traten Senat und Kammer zum Kongreß zusammen und wählten den Präsidenten der Kammer, Jules Grévy, mit 563 von 713 Stimmen zum Präsidenten von F., worauf die Kammer 31. Jan. mit 314 gegen 91 Stimmen Gambetta zu ihrem Vorsitzenden wählte. Nun konnte sich aber auch das Ministerium Dufaure nicht mehr halten, und 4. Febr. bildete Waddington ein neues Kabinett, in dem er neben dem Präsidium das Auswärtige, Ferry das Unterrichtsministerium übernahm, Say und Freycinet ihre Posten behielten. Das linke Centrum, die gemäßigte Linke und die sog. republikanische Union waren in diesem Kabinett vertreten. Die Veränderungen in den Militärkommandos erfolgten jetzt ohne Widerstand. Ein radikaler Antrag auf Erlassung einer allgemeinen Amnestie wurde zwar von beiden Kammern abgelehnt, dagegen aber ein von der Regierung vorgelegtes Amnestiegesetz angenommen, das die wegen Verbrechens gegen das gemeine Recht Verurteilten ausschloß und den Amnestierten nicht zugleich auch die bürgerlichen Rechte zurückgab. Im Sinne der vorwaltenden liberalen Strömung wurde auch die Zurückverlegung der beiden Kammern von Versailles nach Paris beschlossen und als Termin hierfür der 1. Nov. festgesetzt. Die von dem Unterrichtsminister Ferry vorgelegten Gesetzentwürfe, von denen der eine den Kongregationen das Recht, höhere Schulen und Pensionate zu unterhalten, entziehen, der andere den übermächtigen Einfluß der Geistlichkeit auf das Unterrichtswesen beseitigen und einen aus Laien zusammengesetzten obersten Unterrichtsrat dem Minister zur Seite stellen wollte, wurden von der Kammer 9. und 18. Juli genehmigt. Bald war den Republikanern auch das Ministerium Waddington nicht mehr genehm, da es ihnen nicht energisch genug gegen bonapartistische Beamte verfuhr. Von den vier Fraktionen der Republikaner: linkes Centrum, republikanische Linke, republikanische Union, äußerste Linke (Radikale), arbeiteten hauptsächlich die zwei mittlern an dem Sturz des Kabinetts, und da dieses unter solchen Umständen die Kammermehrheit nicht für sich hatte, so gab es seine Entlassung ein, worauf 29. Dez. 1879 der Bautenminister Freycinet ein