Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Französische Litteratur

167

Französische Litteratur (Neufranzösische Periode 1660-90)

l'Hermite (1601-55), Rotrou (1609-50), du Ryer (1605-58) mit Erfolg als Trauerspieldichter thätig. Der Begründer der Charakterkomödie wurde Corneille durch seinen "Menteur" (1644), die Bearbeitung eines span. Stückes. Scarrons Lustspiele können nur als Possen gelten. Ein bemerkenswerter Versuch auf dem Gebiete des humoristisch-realistischen Romans ist desselben Verfassers "Roman comique" (1651-57). Wie Corneilles Genius eine poet. Sprache von dauernder Geltung geschaffen hat, so erhält auch in dieser Epoche der moderne franz. Prosastil seine feste Prägung durch zwei nicht schönwissenschaftliche Werke: Descartes' "Discours de la méthode" (1637) und Pascals "Lettres provinciales" (1656-57). Auch diese Schriften, in denen Fragen aus der Philosophie, der theol. Polemik und Sittenlehre in weltmännischer, allgemein verständlicher Weise erörtert werden, bezeugen den Einfluß, den nunmehr die gebildete Gesellschaft auf die Litteratur auszuüben begonnen hatte.

4) Die Zeit Ludwigs XIV. (etwa 1660-90). Bald nach Beginn der Selbstregierung Ludwigs XIV. erreichten Dichtung und Sprache Frankreichs, auf der durch die vorausgehenden hundert Jahre vorgezeichneten Bahn weiter schreitend, die Höhe der Vollendung. Denn jetzt erhält der franz. Klassicismus seine vollkommene Abrundung und in sich abgeschlossene Einheit. Seine Eigenart wird bestimmt durch das in einer glänzenden Persönlichkeit verkörperte monarchische Ansehen, durch eine vom Monarchen abhängige höfische Gesellschaft und durch die Anweisungen einer Ästhetik, welche auch das Schöne nach dem vor dem Richterstuhl einer geregelten Verstandesthätigkeit bestehenden Maßstab der Wahrheit mißt. Aber innerhalb dieser Grenzen gesellschaftlichen Anstandes und höfisch-monarchischen Brauches ("Convenance" und "Bienséance") und eingeschränkt von der rationalistischen Poetik, die die antiken Vorbilder, soweit sie sich in das System fügen, als Aushängeschild benutzt, entfalten sich die schönsten und edelsten Blüten franz. Geistes. In Übereinstimmung gebracht mit den in der Eigenart des franz. Volks tief begründeten Anlagen, ist der klassische Geschmack auch volkstümlich und sind die Hervorbringungen des franz. Klassicismus Gemeingut der nationalen Bildung geworden. Durch besondere Veranstaltungen sorgte die Regierung Ludwigs XIV. dafür, in monarchischer Weise die Pflege der Wissenschaften und Künste zu befördern. Der von Richelieu gestifteten Französischen Akademie wurde eine ansehnlichere Stellung verschafft, Ludwig selbst wurde ihr Protektor; 1663 wurde die Akademie der Inschriften gestiftet, 1664 die der Malerei und Skulptur, wozu 1666 die Akademie der exakten Wissenschaften gefügt wurde. 1667 entstand die Sternwarte, 1673 der Botanische Garten, das Chemische Laboratorium und 1665 das "Journal des Savants", das mit wenigen Unterbrechungen bis in die Gegenwart fortdauert. Die Zeit Ludwigs XIV. wurde alo die goldene Zeit der F. L., die Litteratur des Siècle de Louis XIV bald in England, Deutschland, Italien und Spanien als klassisch und tonangebend anerkannt.

Die dramatische Poesie, als die dichterischen Ruhm in allen Gesellschaftsschichten verheißende Gattung, gewann in dem Zeitalter hochentwickelten persönlichen Ehrgeizes das Übergewicht. Wie Corneille im Erhabenen und Heroischen, so zeichnete sich jetzt sein jüngerer Zeitgenosse Racine (1639-99), von dem Geiste der Meisterwerke der griech. Tragiker und gleich edeln Gesinnungen wie Corneille getragen, Kenner dabei des weiblichen Herzens, im Rührenden aus. Mehr als Corneille ist er der Sprache der Empfindung nahe gekommen, keiner seiner Rivalen hat ihn in Bezug auf Reinheit, Pathos und rhythmischen Wohllaut der Rede übertroffen. Jean Nic. Pradon (gest. 1698), der, von einer Koterie getragen, ihm gegenübergestellt wurde, ist vergessen. Von den übrigen Trauerspieldichtern dieser Zeit errangen Ehren, ohne die tragische Kunst zu heben, namentlich noch Thomas Corneille, der Bruder Pierres, Antoine de la Fosse (gest. 1708); ferner Campistron (gest. 1723) und La Grange-Chancel (gest. 1758), als Nachahmer Racines. Freier und glücklicher als in der Tragödie bewegten sich die Franzosen im Gebiete des Komischen. Hierin wurde Meister und Muster Jean Bapt. Poquelin, genannt Molière (1622-73), der sich durch das Studium röm., ital. und span. Komiker und als Darsteller zum Lustspieldichter bildete und die franz. Sitten- (Comédie de m?urs) und Charakterkomödie (Comédie de caractères, haute comédie) schuf, sowie die realistische Reaktion im Drama anbahnt, die im bürgerlichen Trauerspiel Diderots und in Beaumarchais' Lustspiel die Konventionen des Klassicismus überwindet. Boursault (1638-1701) versucht sich in der moralisierenden Komödie. Die neben den (seit Ende des 17. Jahrh. zum Théâtre français vereinigten) Pariser Bühnen bestehende "Académie royale de musique", das privilegierte Operntheater, bildete durch Lullys Musik und Quinaults (gest. 1688) Texte, durch Duché (gest. 1704) und Thomas Corneille die franz. Große Oper heran.

Begründer einer längstvergessenen und mißachteten Gattung der erzählend-didaktischen Dichtung, der Fabel, wurde Jean de Lafontaine (1621-95), durch den sie auch erst wieder Bürgerrecht in den übrigen Litteraturen erhält. Durch die wohlwollende Ironie und anheimelnde Vertraulichkeit, womit er seine Gegenstände behandelt, durch lebendige Charakterzeichnung und fein berechnete Naivetät in Ton und Darstellung hat er seinen Fabeln ein unnachahmbares individuelles Gepräge gegeben, das seinen freilich meist schlüpfrigen "Contes" in gleichem Grade zukommt. Seiner jedem Zwang abholden Individualität steht die Boileau-Despréaux' (1636-1711) gegenüber, des eifrigsten Verfechters des Klassicismus, den man den personifizierten Geschmack des Zeitalters Ludwigs XIV. genannt hat. Sein eigentümliches Verdienst als Dichter der Satiren, Episteln und der Art poétique besteht in einer, durch sorgfältiges Studium der von ihm in hohem Grade verehrten und zuweilen stark benutzten Alten gewonnenen Korrektheit und Männlichkeit in Sprache und Stil sowie im Gedankengehalt und Wohllaut seiner streng gebauten Verse, in der Selbständigkeit und Sicherheit seines lange für unanfechtbar angesehenen ästhetischen Urteils.

Die lyrische Poesie, das Idyll u. s. w., konnten in dem Zeitalter der Etikette unmöglich gedeihen; die fade Gesellschaftspoesie, der tour d'esprit in den poésies fugitives et galantes mit seinen versteckten, ausgeklügelten Artigkeiten und Spitzfindigkeiten war schon durch das Hôtel Rambouillet üblich geworden; etwas individueller und anmutender ist die Lyrik der aus Gassendis Schule hervorgegangenen Dichter des Genusses, deren mehrere in dem Hause der Ninon de Lenclos einen gesellschaftlichen