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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Freie Gemeinden - Freie Herren
kein Berliner Theatergebäude sie zu fassen geräumig
genug war. Man teilte die Mitglieder daher in zwei,
später in fünf Gruppen, und jeder Gruppe wird das
gleiche Stück an Sonntagsnachmittagen in zwei
Theatern abwechselnd vorgespielt. Der Verein ver-
mischt dramat.-litterar, und socialistische Interessen
llnd zählt über 4000 Mitglieder; der Spielplan brachte
Aufführungen von Ibsens "Stützen der Gesell-
schaft", "Bund der Jugend", "Nora", "Gespenster",
"Volksfeind", Hebbels "Maria Magdalena", Go-
gols "Revisor", Zolas "Therese Raquin", Suder-
manns "Ehre", Schillers "Kabale und Liebe",
Goethes "Egmont" u. s. w. Vereinsorgan ist seit
Anfang 1893 "Die Volksbühne". Im Herbst 1892
wurden die zu den unabhängigen Socialisten ge-
hörigen Wille, Wildberger u. a. von den sog. Frak-
tionellen aus dem Vorstande gedrängt und begrün-
deten mit Fritz Mauthncr, E. von Wolzogen u. a. die
Neue Freie Volksbühne, die aber bald ein-
ging. Seitdem liegt die Leitung der Freien Volks-
bühne in den .Händen von Mehring und Türk. Ende
1894 wurde von Wille uoch die Versuchsbühne
gegründet, die solche Stücke bringen will, zu deren
Aufführung sich die ständigen Theater nicht ent-
schließen können, die sich aber andererseits für eine
Volksbühne nicht eignen. In München entstand
1894 als F. B. der Akademisch-Dramatische
Verein. Ähnliche Unternehmungen sind in Kopen-
hagen und London ins Leben getreten.
Freie Gemeinden, religiöse Gemeinschaften
in Deutschland, die, durch den Druck der pietistisch-
orthodoxen Parteiherrschaft aus der prot. Kirche
hinausgedrängt, eine auf Vernunft und individuelle
Freiheit begründete Kirchenbildung versucht haben.
Als die neuerstarkte Orthodoxie unter König Fried-
rich Wilhelm IV. von Preußen zum Vernichtungs-
kampf gegen den seit einem Jahrhundert in der
Theologie und in den Gemeinden eingewurzelten
Vernunftglauben vorging, vereinigten sich zunächst
1841 in der Provinz Sachsen die entschieden ratio-
nalistisch gesinnten Geistlichen und Laien als Pro-
testantische Freunde oder Lichtfreunde zum
Schutz der freien Lehre in der Kirche und der freien
Forschung. Den Anstoß dazu gab das amtliche
Einschreiten gegen Pfarrer Sintenis in Magdeburg,
der sich gegen die Anbetung Christi ausgesprochen
hatte. Unter Führung des Pfarrers Uhlich (s. d.)
erhoben die Freunde auf ihren sehr zahlreich besuch-
ten jährlich zweimaligen Versammlungen zu Cöthen
die Forderungen: Fortführung der Reformation
auf Grund des Evangeliums und im Geist des
Protestantismus, deshalb Beseitigung des Symbol-
zwangs und vernunftgemäßeAuslegung derHeiligen
Schrift. Nach dem Veitritt einer Anzahl.Hegelianer
erhob der Pfarrer Wislicenus (s. d.) in einem Vor-
trag in Cöthen (1844) "Ob Schrift, ob Geist" (Lpz.
1845) die weitergehende Forderung, daß nicht mehr
die Heilige Schrift als Norm des Glaubens an-
gesehen werde, sondern nur der Geist der Wahrheit
und der Liebe, der die Schrift erst hervorgebracht
habe. Wislicenus wurde hierauf wegen feiner Ver-
leugnung der Schriftautorität, des obersten Grund-
satzes der evang. Kirche, abgesetzt. Der Berliner
Magistrat wandte sich zum Schutz der Gewissensfrei-
heit an den König. Die Antwort war das Verbot
aller öffentlichen und geheimen Versammlungen
der Lichtfrennde (10. Aug. 1845). In Königsberg
wurde 1845 der Divisionspfarrer Nupp (s. d.) wegen
Verwerfung des Athanasianischen Symbols abge-
setzt. ^>eine Gesinnungsgenossen standen treu zu
ihm und so trat 1846 die erste Freie Gemeinde ins
Leben. In Halle geschah dasselbe durch G. A. Wis-
licenus; es folgte Nordhaufen, wo Baltzer, Halber-
stadt, wo Wislicenus, Marburg, wo Bayrhoffer
an die Spitze trat u. s. w. In Magdeburg, wo
Uhlich wegen vorschriftswidriger Anwendung des
Apostolicum seines Amtes entsetzt wurde, entstand
gleichfalls eine Freie Gemeinde. Auf einer Kon-
ferenz in Nordhausen (Sept. 1847) einigten sich
die Dissidenten, wie man die Anhänger der F. G.
nannte, zu einem gemeinsamen Bekenntnis des In-
halts : "Ich glaube an Gott und sein ewiges Reich,
wie es von Jesus Christus in die Welt eingeführt
wurde." Den Einzelgemeinden gab man volle Selb-
ständigkeit. Das königl.Toleranzpatent vom 30.März
1847, wodurch ausgesprochenermaßen die Rationa-
listen zum Austritt aus der Kirche veranlaßt werden
sollten, verlieh den Dissidenten das Recht zur Ge-
meindebildung und freien Religionsübung.
Die folgenden Revolutionsstürme förderten zwar
die religiösen Freiheitsbestredungen, ergossen aber
auch über die F. G. die Ströme des Radikalismus
und Socialismus, zumal die Häupter derselben in
die polit. Bewegung verflochten waren. So kam es,
daß während der Reaktionszeit die F. G. als Herde
der Revolution überwacht und eingeengt wurden.
Seit 1850 mit den Deutschkatholiken (f. o.) ver-
einigt zur "Religionsgefellfchaft freier Gemeinden",
verloren sie bald das Recht, öffentliche Vorträge
zuhalten; man wollte ihre Anhänger nicht mehr
als Christen ansehen und entzog ihnen die bürger-
liche Gleichberechtigung, endlich erfolgte in Sachsen
und Hessen ihr Verbot. Viele Gemeinden gingen
ein. Die 54 übrigbleibenden bildeten im Juni 1859
zu Gotha unter Uhlichs Führung einen "Bund frei-
religiöferGemeinden Deutschlands" mit freierSelbst-
bestimmung in allen religiösen Angelegenheiten;
später wollte man nicht einmal mehr das Bekenntnis
zum persönlichen Gott als bindend anerkennen. Das
Christentum war ausgegeben und an seine Stelle trat
mehr und mehr derMaterialismus uudSocialismus.
So setzt sich die über 4000 Mitglieder zählende Ber-
liner Freireligiöse Gemeinde zumeist aus
socialdemokratischen Elementen zusammen, hat aber
dadurch den Widerspruch der andern Gemeinden
hervorgerufen. Im 1.1891 gab es 55 freireligiöse
Gemeinden mit 18771 Mitgliedern, in Rheinhessen
24 freiprot. Gemeinden mit etwa 4000 Mitgliedern.
(S. Freikirche.) - Vgl. Kämpe, Geschichte der reli-
giösen Bewegung der neueren Zeit (4 Bde., Lpz.
1852-60); Freireligiöser Kalender, hg. von Specht
(Gotha 1871 fg.).
Freie Hand bedeutet: nicht gebunden. Politik
der F. H. treibt ein Staat, welcher sich nicht durch
Bündnisse oder Verabredungen mit andern Staaten
verpflichtet hat. Aus F.H. (sreihän'dig)Deria^en
ist der Gegensatz der Versteigerung, bei welcher der
Verkäufer sich an den durch das Meistgebot erzielten
Preis und die damit gegebene Person des Käufers
bindet. Der Kommissionär bedingt sich F. H. bei
einem ^pekulationsgesckäft aus, wenn sein eigenes
Ermessen, nicht die Instruktion des Auftraggebers
darüber entscheidet, wann und wie er das Geschäft
am besten im Interesse des Auftraggebers abschließt.
Freie Hemmung, s. Uhren.
Freie Herren oder edle Herren, im Mittel-
alter der erste ^tand des Adels nach den Fürsten (in
der frank. Zeit capitanoi, während damals dieF.H.