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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Großbritannien und Irland (Geschichte 1070-1307)

der 950-978 mit geringen Unterbrechungen Ratgeber seiner Könige war. Der westsächs. König gebot in dem neuen brit. Gesamtreich über Briten, Angelsachsen und die ansässigen Dänen. Unter schwachen Königen geriet das Reich in neue Bedrängnis vor dän. Anfällen, und als Ethelred der Unberatene (979-1016) sich ihrer zu entledigen suchte, indem er 1002 alle unter den Westsachsen wohnenden Dänen ermorden ließ, erweckte er nur die Rache des Dänenkönigs Svend. Dieser eroberte 1013 das Reich und vertrieb Ethelred. Svends Sohn, Knut d. Gr., hatte 20 Jahre hindurch (1010-35) den Thron der westsächs. Könige inne; er wahrte dem Lande den Frieden, und Handel, Verkehr und Wohlstand hoben sich unter seinem kraftvollen Regiment. Die angelsächs. Landesverfassung ließ er unangetastet. Aber die dän. Herrschaft überdauerte sein Leben nur kurze Zeit, noch einmal bestieg nach dem Ausgang seiner Söhne Harald und Harthaknut der gesetzmäßige Erbe, Eduard der Bekenner, der Sohn Ethelreds (1042-66), den Thron. Er war ein Schwächling, für den Graf Godwin (s. d.) sich die Herrschaft anmaßte, der sie sogar nach Eduards Tode auf seinen Sohn Harald übertragen konnte, den die Großen zum König wählten.

Gestützt auf Zusagen, die ihm sowohl Eduard wie Harald vor seiner Thronbesteigung gegeben, forderte der Herzog Wilhelm von der Normandie die engl. Krone als sein ihm zustehendes Erbe und landete, als Harald einen norweg. Einfall im N. Englands zurückwies, mit großer Flotte und einem aus der Normandie und den Nachbarländern zusammengebrachten Heer an der Südküste in Sussex, 28. Sept. 1066. Am 14. Okt. wurde die Entscheidungsschlacht bei Senlac, nicht fern von Hastings, geschlagen, die Harald Thron und Leben kostete. Den weitern Widerstand leicht überwindend ließ Wilhelm sich am folgenden Weihnachtstage zu Westminster krönen. Nur der Südosten war damals in seiner Hand, er benutzte jedoch weitere Erhebungen und Anfeindungen, seine Macht auszubreiten, und als er 1070 zuletzt Chester unterworfen hatte, war das gesamte Angelsachsenreich unter seiner Herrschaft geeint. Mit diesem Jahre war somit die normänn. Eroberung und zugleich jener lange Nationalitätenkampf um Herrschaft und Besitz in England zum Ende gekommen. Von den Völkerschaften, die in diesem Zeitraum miteinander gerungen hatten, waren die Römer völlig verschwunden, die kelt. Briten in selbständigen Resten erhalten, in den Angelsachsen aufgegangen waren die dän. Eindringlinge; die Angelsachsen waren die damalige engl. Nation. Sie wurden jetzt durch franz.-normänn. Eroberer aus der Herrschaft gedrängt. Diese, an Zahl die geringern, rissen den meisten Besitz an sich, sie brachten franz. Sprache und franz. Sitten ins Land. Zwei Nationalitäten standen somit, zunächst in feindseliger Abgeschlossenheit, in den Siegern und Besiegten auf demselben Boden einander gegenüber, über beiden das starke, beide beherrschende Königtum des Eroberers. Die Aufgabe der folgenden Zeit war es, aus der Verschmelzung dieser nationalen Elemente eine einzige Nation und einen geschlossenen engl. Nationalstaat herauszubilden.

2) Von der Gründung des autokratischen anglo-normannischen Königtums durch Wilhelm den Eroberer bis zur Schaffung des nationalen Verfassungsstaates mit nationalem Königtum unter Eduard I. (1070-1307). Die Arbeit des Eroberers war für Wilhelm abgeschlossen und die des Staatsgründers hatte zu beginnen, denn der Staat, den er erbaute, war ein völlig neuer; den Untergrund bildete allerdings das angelsächs. Rechts- und Verwaltungsleben, von dessen Bestand er vieles mit aufnahm. Fast alle angelsächs. Thans wurden als Rebellen gegen ihn, den rechtmäßigen König, ihrer ganzen Habe oder eines Teils derselben beraubt, und mit dieser gewaltigen frei werdenden Gütermasse belehnte er seine franz.-normänn. Gefolgsleute. Diese, wie die neubelehnten Angelsachsen und ferner die von diesen Kronvasallen unterbelehnten Aftervasallen standen durch Treuschwur in unmittelbar abhängigem Lehnsverhältnis zum König. Verwaltung und Rechtspflege, die übernommenen alten wie die neuen Einrichtungen, alles wurde in gleicher Weise auf die Ausbildung einer centralistischen Autokratie zugeschnitten und die Krone durch Güter, Gefälle und Bußen finanziell selbständig gemacht. Die Kirche schloß Wilhelm in Satzung und Ritual enger an Rom an, ohne aber im mindesten die eigene Hoheit schmälern zu lassen. Der Druck dieser Königsgewalt behagte ebensowenig den unterworfenen Angelsachsen wie den unruhigen Abenteurern, die Wilhelm für jene Fahrt zusammengeworben hatte. Aber mit Strenge wurde jede Erhebung unterdrückt, einmal mußte Wilhelm gegen seinen eigenen Erstgeborenen Robert das Schwert ziehen, glücklich focht er außer-, dem gegen den schott. Nachbar Englands wie den französischen der Normandie. Dies engl.-normänn. Doppelreich wurde nach seinem Tode geteilt, der älteste Sohn Robert folgte nach väterlicher Erbfolgeordnung in der Normandie, König von England wurde der zweite Sohn, Wilhelm II., zubenannt Rufus, der Rotkopf (1087-1100). Gestützt aus die Angelsachsen, hielt er sich gegenüber den anglo-normänn. Baronen, die sein Königtum anfochten, und sicherte die Grenzen gegen Schottland und Wales; aber seine Thatkraft artete in Tyrannei aus, bei einer Jagd fand man den allgemein verhaßten König von unbekannter Hand getötet (2. Aug. 1100). Gegen die neuen Versuche Roberts, die engl. Krone zu erwerben, sicherte sie sich der jüngste Sohn des Eroberers, Heinrich I. (1100-1135); er warf den wieder von den engl. Baronen unterstützten Bruder nieder, vertrieb ihn sogar aus seinem eigenen Reiche und verband die Normandie wieder mit England (1105). In der Charte, die er beim Antritt als Dank für die Unterstützung durch die angelsächs. Bevölkerung erließ, versprach er, sich von den tyrannischen Ausschreitungen seines Vorgängers fern zu halten, sie ist die Grundlage des großen Freibriefs von 1215 geworden. Er wußte die Großen niederzuhalten und dem Reich eine geordnete Verwaltung zu geben. Gegen seine Erbordnung, die die Nachfolge seiner einzigen Tochter Mathilde und ihrem Gemahl Geoffrey von Anjou zusprach, erhob sich sein Schwestersohn Stephan von Blois, der den Thron in dauernden Kämpfen für die Zeit seines Lebens zu behaupten wußte (1135-54). Einen glänzenden Sieg erfocht er 1138 über die mit seinen aufständischen Baronen verbündeten Schotten. Die unaufhörlichen, mit wechselndem Glück geführten Kämpfe gegen Mathilde und ihren Anhang endeten im Vertrag von Wallingford (1153) mit der Abmachung, daß Stephan die Krone behalten, Mathildens Sohn Heinrich aber als Nachfolger annehmen sollte. Schon im folgenden Jahre machte