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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Großbritannien und Irland (Geschichte 1714-1832)

konnte. Napoleons dauernde Eroberungsgelüste riefen schon 16. Mai 1803 Englands neue Kriegserklärung hervor, im Lager von Boulogne sammelte der Eroberer seine Truppen zu einer Landung in England; aber die überlegene Flotte des Gegners durchkreuzte das Vorhaben. Die drohende Gefahr rief Pitt wieder als den Retter zurück (1804). Sofort verhandelte er eine neue Koalition gegen den zum Kaiserthron gelangten Napoleon, 1805 wurde sie zwischen England, Rußland, Österreich und Schweden geschlossen, während Spanien zu Frankreich stand und Preußen in seiner Neutralität verharrte. Aber im Dezember schlug Napoleon die Russen und Österreicher bei Austerlitz, und nur Nelson hatte wieder 21. Okt. bei Trafalgar einen Seesieg über die vereinigte franz. und span. Flotte erfochten. Ungeheuer waren die Lasten, die der Krieg dem Reiche auferlegte. England mußte eine Seemacht von 907 größern Schiffen mit 165000 Mann Bemannung, dazu außer der Miliz eine Landmacht von 143000 Mann erhalten; die für 1806 vorausgeschätzten Ausgaben überstiegen die Einnahmen um 22 Mill. Pfd. St., dazu fiel Österreich im Preßburger Frieden (Dez. 1805) wieder von dem Bündnis ab, und noch war ein Ende des Krieges nicht abzusehen. Pitt erlag den überwältigenden Sorgen (1806), die Friedensverhandlungen, die sein Nachfolger Grenville anknüpfte, zerschlugen sich, Preußen brach bei Jena zusammen (1806), in Tilsit erzwang Napoleon den Frieden und schloß mit Rußland ein enges Bündnis (1807). Sein Plan war, das unangreifbare England in seinem Handel zu vernichten. Ein von Berlin aus 21. Nov. 1806 erlassenes Dekret verhängte die Kontinentalsperre gegen England, die brit. Inseln wurden in Blockadezustand erklärt und alle engl. Schiffe von den europ. Häfen ausgeschlossen. England säumte nicht, Gegenmaßregeln zu treffen, es verbot seinerseits allen Verkehr mit Frankreich, verhängte Blockade über alle Staaten, in denen die brit. Flagge vom Handel ausgeschlossen war, und suchte Dänemarks Beitritt zu dem Kontinentalsystem durch einen Gewaltakt zu verhindern. Canning, der Minister des Auswärtigen, ließ Kopenhagen bombardieren und die dän. Flotte hinwegführen (Sept. 1807). Der entscheidende Schritt Cannings war aber die Verbindung mit der aufständischen span. Junta (Jan. 1809) und die Entsendung von Hilfstruppen unter Arthur Wellesley, dem spätern Herzog von Wellington, die es den Spaniern ermöglichten, Napoleon erfolgreich Widerstand zu leisten (s. Französisch-Spanisch-Portugiesischer Krieg von 1807 bis 1814), dessen Hauptkräfte durch den Krieg mit Österreich in Anspruch genommen wurden. Gleichzeitig zeigte England zur See seine vollkommene Überlegenheit, eine Kolonie nach der andern wurde den Franzosen entrissen, dagegen erlagen die gegen Antwerpen geschickten engl. Streitkräfte auf der Insel Walcheren (1809).

Neue Übergriffe der Engländer gegen neutrale Handelsschiffe riefen ein Zerwürfnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika hervor. Währenddessen nötigte die unheilbare Geisteskrankheit Georgs III., Jan. 1811, zur Übertragung der Regentschaft an seinen Sohn, den spätern Georg IV. Wider Erwarten ließ dieser frühere Freund der Whigs die bestehende Toryregierung am Ruder, ja er ersetzte sie nach Percevals Ermordung durch eine gleiche unter Lord Liverpool mit Castlereagh (s. Londonderry) als Minister des Auswärtigen. All dieser Wechsel in den obersten Regierungskreisen beeinflußte aber in keiner Weise die auswärtige Haltung oder die von Wellington geleitete Kriegführung.

Als 1812 das Zerwürfnis mit Amerika den offenen Krieg hervorrief, trat auf dem Festlande die entscheidende Wendung ein durch die Katastrophe, in der die große Armee Napoleons im russ. Feldzuge vernichtet wurde. Schon während dieses Feldzuges war Wellington siegreich in Spanien vorgedrungen und in Madrid eingezogen, jetzt folgte die Erhebung Deutschlands, der Anschluß Österreichs und der Siegeszug der Verbündeten bis Paris. (S. Russisch-Deutsch-Französischer Krieg von 1812 bis 1815.) Im Frieden von Paris (30. Mai 1814; s. Pariser Friede) gab England seine kolonialen Eroberungen, außer Tabago, St. Lucie und Isle-de-France, an Frankreich zurück und behielt außerdem Malta, Ceylon und das Kap der Guten Hoffnung. Auch der amerik. Krieg, der England zum erstenmal kleine Nachteile zur See gebracht hatte, wurde unter russ. Vermittelung im Frieden von Gent (24. Dez. 1814) beendet und der alte Zustand hergestellt. Auf dem zur Regelung der europ. Verhältnisse zusammentretenden Wiener Kongreß stellten sich Österreich und England in Verbindung mit Frankreich den sächs. und poln. Forderungen Preußens und Rußlands entgegen, und schon drohte ein Krieg zwischen den bisher Verbündeten, als Napoleons plötzliches Erscheinen in Frankreich (1. März 1815) die Gegner wieder vereinte. Dem glänzenden Tag von Waterloo (18. Juni 1815), wo Wellington nach heldenmütigem Widerstande durch das rechtzeitige Erscheinen der Preußen unter Blücher gerettet wurde, folgte die Verbannung Napoleons nach St. Helena und (20. Nov. 1815) der zweite Friede von Paris.

Großbritannien hatte sich in dem Riesenkampfe glänzend behauptet; trotz vieler Mißerfolge hatte es seinen Ruhm als erste Seemacht ungeschwächt erhalten können und ging mit vergrößertem Kolonialbesitz aus dem Kriege hervor. Aber ungeheuer waren die Opfer, die er gefordert hatte. Die Schuld war auf die schwindelnde Höhe von 861 Mill. Pfd. St. gestiegen; zu dem schweren Steuerdruck, der hauptsächlich die niedern Klassen traf, gesellte sich deren große wirtschaftliche Not. Die Kontinentalsperre hatte dem Handel und Gewerbefleiß trotz des ausgedehnten Schmuggelwesens den stärksten Abbruch gethan. Nachdem im Anfang des Krieges die Industrie über den Bedarf erzeugt hatte, stockte nun der Absatz, und überall lagerten unverkäufliche Waren. Zu der Arbeitsnot kam Teuerung durch Mißernten, ohne daß die im Parlament herrschenden Grundbesitzer sich veranlaßt gesehen hätten, die hohen Kornzölle zu ermäßigen; die Selbstsucht der Gesetzgeber vergrößerte vielmehr die herrschende Not, aus der Not entstanden Verbrechen, bei stürmischen Volksversammlungen kam es zu Gewaltthätigkeiten und Blutvergießen. Die herrschende Regierung engherziger Tories wußte von keiner andern Hilfe als gewaltsamen Zwangsmaßregeln; statt der Reform der Getreidezölle, des aberwitzigen Kriminalrechtes, das den kleinsten Diebstahl wie gemeinen Mord bestrafte, der widersinnigen Zusammensetzung des Unterhauses (s. Reformbill), verfügten sie die Aufhebung der Habeas-Corpus-Akte, das Verbot öffentlicher Versammlungen und die Beschränkung der Presse. Die Antwort waren verbrecherische Anschläge, wie die Cato-Street-Verschwörung unter Arthur Thistlewood, die auf die Ermordung des ganzen Ministeriums abzielte. In dieser Gärung