Indogermanen, gegenwärtig in Deutschland der fast allgemein angenommene Gesamtname für den großen Sprachstamm, dessen Vertreter einen Teil
Asiens (namentlich Vorderindien und Persien) und fast ganz Europa bevölkern, seit einigen Jahrhunderten sich auch nach Amerika, Australien und einzelnen Gebieten des nördl.
und östl. Asiens, Afrikas und Polynesiens verpflanzt haben. Die Verwandtschaft seiner einzelnen Glieder zeigt sich zwar auch in der Ähnlichkeit des physischen Typus und in
Charakterzügen, wie sie sich in den geistigen, sittlichen und religiösen Schöpfungen der einzelnen Nationen widerspiegeln; das sichere Kennzeichen der Zusammengehörigkeit
dieser Völker ist aber die Sprachverwandtschaft, und erst durch die Entdeckung dieser wurde es klar, daß, wie die indogerman. Sprachen auf
eine Ursprache, so auch die indogerman. Völker auf ein Urvolk zurückgehen, das freilich im Laufe der
Geschichte eine Menge stammfremder Bestandteile in sich aufgenommen hat. Diese Sprachverwandtschaft, im 18. Jahrh. entdeckt, ist von deutschen Sprachforschern
wissenschaftlich begründet worden, nach einigen Vorläufern, zu denen Friedrich Schlegel (s. d.) gehört, namentlich von
Franz Bopp, der als der eigentliche Begründer der indogerman. Sprachwissenschaft (s. d.) zu gelten hat. Neben der
Bezeichnung indogermanisch finden sich auch die Namen indoeuropäisch (bei Bopp und engl., franz. und skandinav. Gelehrten, weniger in
Deutschland gebräuchlich) und arisch (namentlich bei franz. Gelehrten); sanskritisch (W. von Humboldt),
japhetisch (Hupfeld, Görres) und mittelländisch (Ewald) haben sich keine allgemeinere Geltung
verschaffen können.
Nach den neuesten Forschungen lassen sich sämtliche lebende und ausgestorbene Glieder (soweit sie bekannt sind) des
indogermanischen Sprachstammes in acht Unterabteilungen (Familien) anordnen, deren jede aus Einzelsprachen besteht, die, wie die
entsprechenden Völker, wieder in engerer Verwandtschaft untereinander als mit denen anderer Familien stehen.
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1) Die Arische Gruppe (s. Arier) umfaßt a. die Indischen Sprachen
(s. d.), an deren Spitze das Sanskrit (s. d.) steht, in seiner ältern Form in vielen Beziehungen die altertümlichste und daher für die Feststellung der
urindogerman. Verhältnisse wichtigste Sprache des gesamten Sprachstammes; b. die
Iranischen Sprachen (s. d.), nach der Hauptsprache auch pers. Sprachen genannt, als
deren beide älteste Glieder das Altpersische der achämenidischen Keilschriften und das sog. Altbaktrische oder Zend (s. d.) zu betrachten sind.
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2) Das Armenische, früher für eine iranische Sprache gehalten, jetzt aber als ein selbständiges Glied der indogerman. Familie erwiesen.
(S. Armenische Sprache und Schrift.)
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3) Die griechische Familie. (S. Griechische Sprache.)
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4) Das Albanesische, früher mit Unrecht zum Griechischen gerechnet. (S. Albanesische Sprache und Litteratur.)
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5) Die Italischen Sprachen, als deren wichtigste Vertreterin das Lateinische, die Mutter der ↔
Romanischen Sprachen (s. d.), gelten muß. (S. Italische Völker und Sprachen.)
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6) Die Keltischen Sprachen (s. d.).
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7) Die Germanischen Sprachen (s. d.).
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8) Der baltisch-slawische Zweig, zerfallend in a. Baltisch (Litauisch, Lettisch und Altpreußisch, s.
Litauische Sprache); b. Slawische Sprachen (s. d.).
Über die Art, wie man sich die Verzweigungen des ganzen Sprachstammes in die einzelnen Familien zu denken habe, gingen die Meinungen früher weit auseinander. Nach der
Ansicht Schleichers löste sich vom Urvolk zuerst ein Hauptast los, der sich wieder in die Germanen, Litauer und Slawen verzweigte. Der zweite Hauptast, der sich von den Ursitzen
trennte, begriff die spätern Familien der Kelten, Griechen (mit den thraz.-illyr. Stämmen) und Italer in sich. Die letzte Gruppe, die von den gemeinschaftlichen Ursitzen auswanderte,
war die arische: Inder und Iranier. Schleicher versinnlichte diesen Vorgang durch das Bild eines Stammbaumes, daher seine Theorie kurz
Stammbaumtheorie genannt wird. Er nahm demnach drei Gruppen, die nordöstlich-europäische, die südwestlich-europäische und die
asiatische, an. Um das J. 1870 waren die meisten Sprachforscher der Ansicht, daß der Sprachstamm sich zunächst in zwei Gruppen, die asiatische (Inder und Iranier) und die
europäische (Griechen, Italiker u. s. w.), gespalten habe, letztere sich dann erst weiter auflöste. (Vgl. A. Fick, Die ehemalige Spracheinheit der I. Europas, Gött. 1875.) Beide
Ansichten gehen von der Voraussetzung aus, daß die einzelnen Gruppen und Familien durch Auswanderung und wirkliche Trennung vom Urvolk oder einem Teil desselben
entstanden seien. Eine ganz andere Ansicht (begründet von Joh. Schmidt, «Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogerman. Sprachen», Weim. 1872), nach der zwischen den
einzelnen indogerman. Familien keine scharfen Trennungen, sondern nur allmähliche Übergänge anzunehmen sind, gewann Verbreitung, doch keine allgemeine Anerkennung.
Heuzutage verzichten die meisten Forscher darauf, innerhalb jener acht Sprachzweige wieder kleinere oder größere Gruppen, wie eine griechisch-italische,
germanisch-baltisch-slawische u. s. w., aufzustellen. Vgl. Brugmann in Techmers «Internationaler Zeitschrift für allgemeine Sprachwissenschaft», I, 226 fg.; von Bradke, Beiträge
zur Kenntnis der vorhistor. Entwicklung unsers Sprachstammes (Gieß. 1888).
Die erste Durchforschung des gesamten Sprachstammes gab Bopp, «Vergleichende Grammatik» (6 Tle., Berl. 1833–52; 3. Aufl., 3 Bde., ebd. 1868–71), dann Schleicher,
«Kompendium der vergleichenden Grammatik» (4. Aufl., Weim. 1876), auf Grundlage der neuern Fortschrite der Sprachwissenschaft Brugmann, «Grundriß der vergleichenden
Grammatik der indogerman. Sprachen» (2 Bde. und Register, Straßb. 1886–93). Seit 1850 gab Kühn eine «Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiete der
deutschen, griech. und lat. Sprachen» und 1858–76 (mit Schleicher) «Beiträge zur vergleichenden Sprachforschung auf dem Gebiete der arischen, kelt. und slaw. Sprachen» zu
Berlin heraus, beide seit 1876 zur «Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiete der indogerman. Sprachen» vereinigt (bis jetzt 32 Bände); Bezzenberger giebt
seit 1876 zu Göttingen «Beiträge zur Kunde der indogerman. Sprachen» heraus (bis jetzt 19 Bände). Brugmann und Streitberg geben
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 577.