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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Italien (Geschichte 1870 bis zur Gegenwart)

polverpachtungen, welche böses Blut machten. Indessen ging die Kurie unter dem ihr von Napoleon gewährten Schutz wieder mit scharfen Maßregeln gegen nationale Aufwiegelungen in dem ihr gebliebenen Gebiete vor und an dieser Deckung Roms durch Frankreich scheiterte auch, obwohl I.s Beziehungen zu Preußen sich nach dem Kriege von 1866 alsbald sehr gelockert hatten, die Verwirklichung des geplanten Bundes zwischen Österreich, Frankreich und I. Das Kabinett Menabreas, ohnedem mißliebig geworden durch seine Unnachsichtigkeit republikanischen Umtrieben gegenüber, trat schließlich Ende März 1869 zurück, da Frankreich zu einer gutwilligen Entfernung seiner Truppen aus Rom nicht zu bewegen war. An seine Stelle kam der liberale Lanza, unter welchem sich Sella mit neuer Kraft an die Ebnung der finanziellen Lage machte, auf die auch jetzt das Hauptaugenmerk der Regierung gerichtet blieb. Da brach der Deutsch-Französische Krieg aus und eröffnete Victor Emanuel mit einem Male den Weg nach Rom (20. Sept. 1870). Nachdem die Volksabstimmung vom 2. Okt. auch hier mit ungeheurer Mehrheit für den Anschluß an Victor Emanuels Reich entschieden hatte, zog der König 31. Dez. 1870 in Rom ein und nahm dann daselbst 2. Juli 1871 gemäß dem Beschluß der Kammer dauernd seinen Sitz. Zuvor aber war die souveräne Stellung des Papstes und eine äußerst freie und günstige Stellung der Kirche im Staat, Cavours Vermächtnis entsprechend, durch das Garantiegesetz (s. d.) gewährleistet worden. Der Papst verharrte jedoch in seiner Unversöhnlichkeit (S. Historische Karten von Italien 4.)

12) Von der Einigung (1870) bis zur Gegenwart. Während die Beziehungen zu Frankreich alsbald nach dem Kriege erkalteten und die schroff ablehnende Haltung, in der Pius IX. verharrte, nur dazu beitragen konnte, ein von Jesuiten geleitetes Papsttum als den gefährlichsten Gegner der endlich errungenen Einigkeit ganz I.s immer wieder in Erinnerung zu bringen, begann sich die Anschauung Bahn zu brechen, daß man diesen beiden Mächten gegenüber an dem neuen Deutschen Reiche den natürlichen Bundesgenossen habe. Die Kammer, welche 27. Nov. 1871 zum erstenmal auf Montecitorio in Rom zu tagen begann, hatte denn auch bereits 22. Juni 1872 die von der Regierung vorgeschlagene Armeereform gebilligt, welche die allgemeine Wehrpflicht, wenn auch nur in abgeschwächter Form, einführte. Unmittelbar darauf bestätigte der Senat das Gesetz über die Gotthardbahn, zu welcher I. trotz der schwierigen Finanzlage 45 Mill. Frs. beizutragen übernahm. In Beantwortung der Feindseligkeit Pius' IX. wurde dann 1873 das Klostergesetz von Kammer und Senat genehmigt; Ende Oktober erfolgte die Aufhebung der Ordenshäuser in Rom. Dagegen wurde Mancinis Antrag auf Ausweisung der Jesuiten von der Kammer 20. Mai 1873 verworfen. Schwierigkeiten bot nun aber die Neuordnung des Unterrichtswesens; wegen Ablehnung seiner Anträge nahm 16. Mai 1872 Correnti, dann 4. Febr. 1874 Scialoja seine Entlassung. Die Bewegung für das allgemeine Stimmrecht, welche von der Linken schon 1872 in Fluß gebracht worden war, führte zunächst nur zu kleinern Störungen der Ordnung. Bedenklicher war, daß seit 1871 neben der übermäßigen Verfolgung nur örtlicher Interessen sich der Streit der Parteien in der Kammer zu einem Kampf der leitenden Persönlichkeiten um die Macht umzubilden begonnen hatte. Dieser zwang das verdiente Ministerium Lanza-Sella 25. Juni 1873 zum Rücktritt, da die Kammer ihm großen Aufwand für die Landesverteidigung zumutete, ohne ihm doch neue Einnahmen zu eröffnen. Minghetti trat an seine Stelle als Ministerpräsident. Ein Erfolg dieses Kabinetts war die Herstellung innigerer Beziehungen zu Österreich und Deutschland vermittelst eines Besuches, den Victor Emanuel in Wien und Berlin 17. bez. 22. Sept. 1873 machte, und der ihm von beiden Kaisern 5. April bez. 18. Okt. 1875 in Venedig und Mailand zurückgegeben wurde. Aber auch Minghettis Kabinett erfreute sich bei seinen Vorschlägen zur Herstellung der Finanzen und zur Einführung des Staatsbetriebes der Eisenbahnen nicht der vollen Unterstützung der Kammer, sodaß es einer parlamentarischen Koalition gelang, im März 1876 seinen Sturz herbeizuführen. Das Kabinett Depretis trat an seine Stelle. Bei den Wahlen im Nov. 1874 hatte die Rechte gesiegt; aber die Neuwahlen nach Auflösung der Kammer Ende Nov. 1876 verminderten dieselbe auf kaum 100 Mitglieder gegenüber mehr als 400 der Linken. Das Gesetz gegen staatsfeindliche Mißbräuche der Kultusbeamten in Ausübung ihres Amtes verwarf zwar der Senat 7. Mai 1877; dagegen kam im Juli ein Gesetz über die Volksschule zu stande, welches die Teilnahme am Religionsunterricht freigab, ebenso wurde die Unvereinbarkeit des Abgeordnetenmandats mit einer großen Zahl von Ämtern beschlossen und festgesetzt, daß nur 40 Abgeordnete Beamte statt der frühern 104 im aktiven Dienst sein könnten.

Nachdem 9. Jan. 1878, kurz vor Pius' IX. Tod, Victor Emanuel II. verschieden war und sein Sohn als Humbert I. den Thron bestiegen hatte, übernahm es der radikale Cairoli, Depretis' Nachfolger (März 1878), die Reformzusagen Humberts betreffs des Wahlrechts, der Ministerverantwortlichkeit, der Gewährung größerer Selbständigkeit der Gemeinden und Provinzen u. s. w. einzulösen. Nachdem der Handelsvertrag mit Frankreich an der Ablehnung der franz. Kammer gescheitert war, riefen die Beschlüsse des Berliner Kongresses (s. d.), die Österreich Bosnien und die Herzegowina, England Cypern überließen, während I. leer ausging, große Erbitterung hervor. Cairoli versäumte jedes feste Auftreten, womit er nur die gewaltthätigen Elemente und das republikanische Klubwesen ermunterte. Als sein Minister des Innern, Zanardelli, nach dem Mordversuch Passanantes auf den König (17. Nov. 1878) erklärte, er bleibe bei seiner Politik, brach sein Kabinett Dez. 1878 zusammen. An seine Stelle trat wieder Depretis. Auch dieses Ministerium erreichte aber das längst angekündigte Gleichgewicht im Staatshaushalt ebensowenig, als es die Steuer- und Wahlreform zu verwirklichen vermochte, da der persönliche Kampf der einzelnen Fraktionsführer der Linken einer gedeihlichen Arbeit im Wege stand. So führten auch die Verhandlungen über den Berliner Vertrag zu keinem Ergebnis; dagegen kamen die Handelsverträge mit Österreich, Deutschland, Frankreich, England, Belgien und Serbien zum Abschluß sowie die Gesetze über I.s weitern Beitrag von 10 Mill. zur Gotthardbahn und seine Beteiligung an der Monte-Cenerebahn. Während Depretis und Biancheri Frankreich durch unvorsichtige Äußerungen reizten, erschienen die "Italicae res" des österr. Militärattachés in I., Baron Haymerle, welche eine scharfe, wenn auch vom Kaiser-^[folgende Seite]