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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Jerusalem (Stadt)

den heiligen "Felsen" (es-Sachra) überwölbt. Dieser ist eine um etwa 1-2 m aus dem Boden des Baues hervorragende, 17,7 m lange und 13,5 m breite, ziemlich unebene Felsplatte, an die sich eine große Anzahl heiliger Sagen knüpft. Das Innere des Gebäudes zieren prächtige Glasmosaiken, das Äußere schöne Fayence- und Marmorplatten. Aus dem Alten Testament ist er nicht bekannt, sondern erst aus der jüd. Tradition (Targum und Talmud); es ist daher ungewiß, auf welche Stelle des jüd. Tempels man ihn beziehen soll, ob auf den Brandopferaltar oder auf die Stätte der Bundeslade. Am Südrande des Haram esch-Scherif erhebt sich die Moschee el-Aksa, d. h. der entfernteste Betort (von Mekka-Medina aus gerechnet, als die Araber Damaskus noch nicht besaßen), ein siebenschiffiger Hallenbau, ebenfalls von Abdulmelik erbaut. Unter den arab. Bauten sind noch der Gerichtshof, el-Mehkeme, an der westl. Außenseite des Haram, aus der Türkenzeit das Armenhaus (et-Tekje) zu erwähnen, von den Christen gewöhnlich Helenaspital genannt. Über das Grab Christi und die Auferstehungskirche s. Heiliges Grab. Die Via dolorosa, "der Schmerzensweg" (Christi), beginnt in der türk. Kaserne an der Nordwestecke des Haram esch-Scherif, die an Stelle der Antonia des Herodes (s. S. 902 b) sich erhebt und fälschlich für das "Richthaus" oder das Prätorium (s. S. 902 b) gehalten wird, und zählt bis zum Heiligen Grabe 14 Stationen. Die St. Annakirche nördlich vom Haram esch-Scherif, 1856 vom Sultan Abd ul-Medschid an Napoleon III. geschenkt und von den Franzosen erneuert, ist als wohlerhaltenes Bauwerk aus der Kreuzfahrerzeit bemerkenswert. Die drei christl. Hauptkonfessionen in J., die griechisch-orthodoxe, die armenische und die römisch-katholische, haben große Klöster, Patriarchate, Hospitäler und Hospize. Die Russen haben von 1860 bis 1864 stattliche Bauten (Kathedrale, Konsulat, Hospital, Hospiz) an der Jaffastraße aufgeführt, und seitdem sind entstanden ein Aussichtsturm auf dem Ölberge, eine neue Kirche bei Gethsemane, ein Hospiz für Reisende besserer Stände in der Stadt gegenüber dem Muristan und ein anderes außerhalb der Stadt gegenüber der deutschen evang. Schule. Die Casa-Nova der Franziskaner, das österr. Hospiz und das vom Verein der Katholiken Deutschlands neu erbaute große deutsche kath. Hospiz (mit Kapelle und Schule), das deutsche Johanniterhospiz werden viel von Fremden benutzt. Die prot. Kirche ist vertreten durch drei Gemeinden, durch die deutsche mit einem Pastor und einem Hilfsgeistlichen, durch die anglikanische mit einem Bischof und einem Geistlichen und durch die arabische mit engl. Geistlichen und arab. Hilfsgeistlichen. An prot. Anstalten verdienen in erster Linie genannt zu werden: Talithakumi, ein Erziehungshaus für Mädchen (Kaiserswerth) und das syr. Waisenhaus für Knaben (1860 von Schneller begründet); ein deutsches (Kaiserswerth) Hospital, ein engl. Hospital für Israeliten, das Aussätzigenhaus Jesuhilf (Brüdergemeine) und das Kinderhospital (Marienstift) des Dr. Sandreczki. Am 31. Okt. 1893 wurde unter der Protektion des Deutschen Kaisers der Grundstein zu einer deutschen evang. Kirche gelegt.

Reste aus den alten Zeiten J.s liegen in großer Anzahl nicht zu Tage. Starke Schuttlagen von 20 bis 30 m Tiefe verdecken am Kidron- und Tyropöonthal die Grundlagen der alten Bauten. Ausgrabungen sind bereits von dem English Palestine Exploration Fund und von dem Deutschen Verein zur Erforschung Palästinas unternommen worden; sie sind jedoch wegen des schweren Steinschutts sehr mühsam und können in umfassender und gründlicher Weise nur außerhalb des jetzigen Stadtgebietes ausgeführt werden. Die berühmten Ringmauern des Haram esch-Scherif rühren in ihren untern Lagen in der Hauptsache vom Bau des Herodes her, so z. B. das durch die wöchentliche Klage der Juden über den Fall J.s bekannt gewordene Stück unweit der Südwestecke (Klagemauer) und das sog. Doppelthor mit dem unterirdischen Aufgang zum Haram unter der Aksamoschee. Die Wasserleitung, die in die Stadt und zum Haram aus der Gegend südlich von Bethlehem noch jetzt Wasser bringen könnte, wenn sie von den Einwohnern Bethlehems nicht immer zerstört würde, um das Wasser in Bethlehem zu behalten, geht auf ein hohes Altertum, zum Teil vielleicht auf die Zeiten Salomos zurück. Das Goldene Thor in der östl. Harammauer (vermauert) pflegt als ein Bauwerk Justinians angesehen zu werden. Die jetzige Citadelle (el-Kala) bezeichnet den nördlichsten Teil des Herodespalastes; zwei ihrer Türme ruhen auf den alten Grundlagen des Hippikus und Phasael ("Davidsturm"). Mehrere Stellen des alten Mauerlaufs sind wieder gefunden worden. Eine große Anzahl von geräumigen Cisternen (auf dem Haram allein 35) und Teichen sind wegen der Wasserarmut der Stadt (s. Gihon) schon im Altertum in den Felsboden gehauen worden. Clermont-Ganneau fand 1870 eine der von Josephus erwähnten Tafeln, die in zweisprachiger Inschrift die Nichtjuden vor dem Betreten des äußern Tempelvorhofes warnten. Die 1880 zufällig entdeckte Siloahinschrift berichtet über die Herstellung des in Felsen gehauenen Siloahkanals (s. Siloah).

Die Geschichte J.s reicht ins hohe Altertum hinauf. Briefe eines Königs von Ursalimmu (Urusalim, d. i. Jerusalem) an Amenophis III. von Ägypten (14. bis 15. Jahrh. v. Chr.), unter den Tafeln von El-Amarna (s. d.), bieten, soviel bisher bekannt, die ältesten Nachrichten über J., das danach Sitz eines Königs unter ägypt. Schutze war. In das Licht der Geschichte tritt aber J. auf die Dauer erst seit der Eroberung durch David im 11. Jahrh. v. Chr. Das Gebiet der Jebusiter, dessen Hauptstadt J. damals war, trennte die nördl. Stämme Israels vom Stamme Juda. Seine Unterwerfung ermöglichte sodann die Vereinigung beider Teile, wie sie durch das Volkskönigtum Davids beabsichtigt und für die Dauer einiger Generationen auch erreicht wurde.

Die Lage der ältesten Stadt unterscheidet sich von der heutigen so, daß sich jene, wenn auch auf denselben Höhen im O. der Wasserscheide zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer, doch weiter südlich erhob und einen viel geringern Raum einnahm. Sie bestand aus zwei Teilen, der eigentlichen, wohl offenen Stadt J. und der Bergfeste Zion (s. d.). Jene lag auf einem 768 m hohen ziemlich breiten Rücken, der durch einen schmalen Sattel im NO. mit dem Plateau der Wasserscheide zusammenhängt, auf allen andern Seiten aber durch Thäler abgeschlossen ist: im W. und S. durch das Hinnomthal, im O. durch das jetzt stark verschüttete Tyropöonthal, im N. durch ein Seitenthal des letztern. Die Zionsfeste lag, entgegen der heute noch in weiten Kreisen verbreiteten Annahme, östlich der Stadt gegenüber, auf einer niedrigern und schma-^[folgende Seite]