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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Junges Deutschland; Junges England; Junges Europa; Junges Irland; Junges Italien

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Junges Deutschland – Junges Italien

Junges Deutschland, der Kreis junger Schriftsteller, der mit Beginn der dreißiger Jahre gegen die polit. Reaktion in Deutschland, die herrschende Richtung der Litteratur und die kirchlichen Verhältnisse des Landes litterar. Opposition machte. Die Teilnahme des Volks an der Politik war bis zum Ausgang der zwanziger Jahre sehr gering gewesen. Die Litteratur hatte sich, von den beiden Schlegel, Novalis und Tieck geleitet, zur Romantischen Schule entwickelt und war mit deren Streben, das rein Geistige durch das Sinnliche zu veranschaulichen, in der Erkenntnis eines unheilbaren Zwiespaltes zwischen Ideal und Wirklichkeit, auf Kosten aller Wahrheit der poet. Lebensanschauung zu ungesunder Überreizung der Phantasie gelangt. Die Kirche stand zum Teil unter der Herrschaft des Jesuitismus, zum Teil unter der der prot. Orthodoxie. Diese Lage der Dinge veranlaßte eine Anzahl talentvoller junger Männer oppositionell mit liberalen Tendenzen hervorzutreten, welche sie dem durch die Julirevolution von 1830 frei gewordenen Socialismus der franz. Belletristik verdankten. Das Streben der jungen Richtung bestand zunächst darin, den Staat und die Kirche vermittelst der «ästhetischen Bildung» neu zu beleben und beide einer freiern Anschauung zugängig zu machen. Bald wurde die freie Entwicklung des Individuums das höchste Ziel. Staat und Kirche betrachtete man nur noch als Fessel dieser Entwicklung; man nahm, nach Goethes Weltlitteratur, an Stelle des nationalen Gedankens eine reine Humanität an und forderte Emancipation der Juden und der Frauen sowie das Recht der freien Selbstbestimmung des Weibes.

In der Aufnahme dieses socialen Princips unterscheidet sich die jungdeutsche Richtung von der romantischen, die auf dem religiösen fußte, und man schrieb nun über die Aufhebung von Staat und Kirche, von Ehe und Vaterland in Romanen und Tendenznovellen, Flugblättern und namentlich ästhetisch-kritischen Raisonnements. Die jungdeutsche Richtung ist bei ihrer Abhängigkeit von franz. Ideen nicht originell, hat aber das Verdienst, einer neuen polit. Meinung in Deutschland zuerst litterar. Ausdruck verliehen und hierfür eine leichtfaßliche, allgemein verständliche Sprache eingeführt zu haben. Ihre Anhänger, die mit Andersdenkenden namentlich durch ihre sittlichen und religiösen Extravaganzen bald in Differenzen gerieten, wurden streng verfolgt. So erklärte der Bundestag zu Frankfurt 1835 infolge eines warnenden Artikels Wolfgang Menzels die Schriften von fünf deutschen Schriftstellern: Heine, Laube, Gutzkow, Mundt und Wienbarg, für staatsgefährlich und verbot sie, wie auch sogar die künftigen Werke dieser Männer; er charakterisierte die gesamte Richtung, der die Genannten angehörten, als eine «litterar. Schule» und nannte dieselbe infolge falscher Auffassung eines von Wienbarg in dessen «Ästhetischen Feldzügen» gebrauchten Ausdrucks Jungdeutschland, hierfür sogar das Bestehen eines revolutionären Vereins annehmend. Die jungdeutsche Richtung erhielt durch dieses Vorgehen des Bundestags ein Ansehen im Volke, das in keinem Verhältnis zu ihrer geistigen und künstlerischen Bedeutung steht. Die Erbschaft der Jungdeutschen, zu denen sich noch H. Marggraff, E. Willkomm, G. Kühne und A. Jung gesellt hatten, übernahmen auf strengern Principien 1838 die Junghegelianer unter Führung von Rüge und Echtermeyer. ↔

Vgl. Wehl, Das J. D. (Hamb. 1886); Brandes, Die Litteratur des 19. Jahrh., Bd. 6: Das J. D. (Lpz. 1891); Proelß, Das J. D. (Stuttg. 1892).

Der Name Jungdeutschland ist seit 1834 auch auf rein polit. Gebiet gebräuchlich geworden und bezeichnet hier, ebenso wie die analogen Benennungen Junges Polen, Junges Italien u. s. w., jede polit. Verbindung mit revolutionärer Tendenz als Verzweigung des sog. Jungen Europas (s. d.).

Junges England, Bezeichnung einer kleinen toryistisch-demokratischen Partei, die sich 1843–45 im engl. Unterhause um Disraeli (s. Beaconsfield), Lord John Manners und Smythe sammelte und für eine volksfreundlichere Politik eintrat, als sie die Torypartei verfolgte. Bei Gelegenheit der Maynoothbill (s. Großbritannien und Irland, Bd. 8, S. 440b) kam es zu einer Spaltung innerhalb der Partei, die dann wieder in den Tories aufging.

Junges Europa, Bezeichnung für eine 1834–35 bestehende Vereinigung mehrerer republikanischer Verbindungen, deren Vorläufer das Junge Italien (s. d.) war. Nach dem Fehlschlagen eines Putsches in Savoyen Febr. 1834, schlug Mazzini geheime Verbindungen unter den Gleichgesinnten verschiedener Nationen vor, die miteinander im Zusammenhange stehen und einen gemeinsamen Centralausschuß haben sollten. So entstand im Frühjahr 1834 neben dem Jungen Italien ein Junges Polen und ein Neues Deutschland, das sich später Junges Deutschland nannte. Diese drei republikanischen Verbindungen vereinigten sich durch Abgeordnete 15. April 1834 zum J. E. mit dem Wahlspruche «Freiheit, Gleichheit, Humanität». Jede dieser Verbindungen sollte frei und unabhängig bestehen. Die Vereinigung der drei Nationalausschüsse oder ihrer Bevollmächtigten sollte den Centralausschuß bilden. Am 10. April 1835 und 24. Jan. 1830 kamen zu Lausanne Verbrüderungsverträge zwischen dem J. E. mit den Abgeordneten der damals in Ste.-Pélagie zu Paris verhafteten Republikaner sowie mit den ehemaligen Carbonari des Dikasteriums von Ajaccio zu stande. Dieser neue Zweigverein hieß das Junge Frankreich. Neben dem Jungen Italien gewann das Junge Deutschland (meist aus Handwerkern und polit. Flüchtlingen bestehend) einige Ausdehnung, doch nur für kurze Zeit und nur in der Schweiz nebst einigen franz. Städten. Die Verbindung schrieb sich eine Gerichtsbarkeit gegen ihre strafbaren und zumal gegen die eines Verrats schuldigen Mitglieder zu. Einige Vorgänge in der Schweiz, wie der an Ludwig Lessing 4. Nov. 1835 bei Zürich verübte Mord und die Versammlung deutscher Handwerker im Steinhölzle bei Bern, veranlaßten die schweiz. Regierungen zu einer kursorischen Untersuchung über die geheimen polit. Verbindungen. Es erfolgten hierauf Ausweisungen von Mitgliedern des J. E., insbesondere des Jungen Deutschlands, womit die Verbindung in ihrem formalen Verbände zerfiel. In Irland gründeten 1844 Smith O'Brien, Meagher u. a., denen die Agitation O'Connells zu zahm war, eine neue radikalere Partei, das Junge Irland, auf kosmopolitisch-demokratischer Grundlage. Eine ähnliche Partei entstand in England (s. Junges England).

Junges Irland, irische Partei, s. Junges Europa.

Junges Italien (Giovine Italia), der von Mazzini (s. d.) 1831 errichtete Bund, welcher durch seine Thaten schließlich nichts erreichte als die Stär-

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 1000.