Marchantĭa
Raddi, Lebermoosgattung aus der Familie der Marchantiaceen mit gegen 25 fast über
die ganze Erde verbreiteten Arten. Sie gehören zu den frondosen Lebermoosen, ihr blattartiger und unregelmäßig gerandeter
Thallus trägt auf der Unterseite eigentümlich zackenartig verdickte sowie einfach schlauchförmige Rhizoiden
(c der unten citierten Figur sowie e ein Stück
vergrößert) und auf der Oberseite zahlreiche kleine, von mehrern wurstförmigen Zellen umgebene Öffnungen, die sog.
Atemhöhlen oder Spaltöffnungen (s. Moose). In Deutschland findet sich nur eine Art,
M. polymorpha L. (s. Tafel: Moose I, Fig. 1), vor;
sie wächst an feuchten Stellen, an überrieselten Felsen, Mauern, Flußufern u. dgl. und überzieht mit ihren Thalluslappen
(a männlich, b weiblich,
c, d und e
Teile vergrößert) oft große Strecken. Die Antheridien wie die Archegonien stehen in besondern, aus dem Thallus sich
erhebenden gestielten Fruchtständen, von denen die weiblichen eine strahlig gelappte, die männlichen eine schildförmig
entwickelte Scheibe besitzen. Außerdem finden sich zahlreiche becherförmige, dem Thallus direkt aufsitzende Gebilde vor,
die sog. Brutbecher, in denen kleine grüne
Brutkörner, ungeschlechtliche Fortpflanzungsorgane, erzeugt werden. Die Pflanze war
früher als Leberkraut (herba hepaticae fontinalis)
offizinell.
Märchen, Volkserzählungen, die, im Gegensatz zum Volksepos und der Sage, ausgesprochenermaßen
unwirkliche, nicht an histor. Personen und Örtlichkeiten geknüpfte Begebenheiten schildern, in denen das Wunderbare,
Phantastische vorwiegt, die Naturgesetze durch Feen, Zauberer, Tiere, ja unbelebte Gegenstände zu Gunsten oder zum Schaden
der auftretenden Personen aufgehoben werden, und die mit dem Siege des Helden oder der Heldin über Widerwärtigkeiten und
Hindernisse enden. Zu diesen Feen- und Zaubermärchen
treten hinzu die bei allen Völkern mehr oder weniger zahlreich vorhandenen Tiermärchen,
in denen fast ausschließlich Tiere eine (meist humoristische) Rolle spielen. Im weitern Sinne werden, wie die Sammlungen
zeigen, zu den M. gerechnet: Schwänke, Volkslegenden,
Anekdoten, Gespenster- und
Totengeschichten.
Die einseitiger Betrachtung der M. eines einzelnen Volks entspringende Ansicht, daß die M. die ↔ letzten
Reste der Helden- oder Göttersage des Volks, bei dem sie sich vorfinden, seien, ist durch die vergleichende Märchenforschung
widerlegt, mögen auch in einzelnen Fällen die Niederschläge mytholog. Anschauungen im M. enthalten sein. Ebensowenig hat die
Grimmsche Hypothese durchweg Stich gehalten, daß die M. die letzte Entwicklungsstufe arischer Naturmythen seien, die, als
specielles Eigentum der Indogermanen, von diesen aus der gemeinsamen Urheimat mitgebracht worden wären. Dagegen hat sich seit
Th. Benfeys Forschungen (Hauptwerk: Einleitung zu seiner Übersetzung der «Pantschatantra»
Lpz. 1859) und mit dem Bekanntwerden eines immer wachsenden Materials von M. und anderer volkstümlicher
Unterhaltungslitteratur herausgestellt, daß ein großer Teil der M. sich in ursprünglicherer Form in der ind.
Erzählungslitteratur wiederfindet. Es darf sonach als feststehend gelten, daß außer altem Erbgut sich unter den M. zahllose
sog. «wandernde» Erzählungsstoffe fanden, die sich von Indien her seit früher Zeit teils durch mündliche, teils durch
litterar. Überlieferung nach allen Richtungen verbreiteten, als M., Schwänke, Legenden, Anekdoten u. s. w. im Volke
kursierten, sich in die nationale Epik, in die mittelalterliche Predigt und die didaktische Litteratur einschlichen und durch
mittelalterliche und neuere Dichter (Boccaccio, Shakespeare) künstlerische Bearbeitung erfuhren.
Die Aufzeichnung von Volksmärchen in der Form, wie sie das Volk erzählt, beginnt erst in unserm Jahrhundert. Ältere
Aufzeichnungen, wie die in Straparolas «Tredeci piacevolissime notti» (1551 u. ö.;
deutsch: "Die Märchen des Straparola", aus dem Italienischen, mit Anmerkungen von Fr. Wilh. Val. Schmidt, Berl. 1817),
Basiles «Il pentamerone» (1637; deutsch von Felix Liebrecht, Bresl. 1846), zeigen
litterar. Überarbeitung. Volkstümlichen Eindruck machen dagegen, trotz der (lose) angefügten
moralité, Charles Perraults berühmte
«Contes de ma mère l’Oye» (1697). Durch sie und Gallands franz. Übersetzung der arab.
«Tausend und eine Nacht» (1704–8) drang der Geschmack am M. in die Kunstlitteratur und erzeugte eine wahre Überschwemmung
von Kunstmärchen. Zu ihnen gehören z. B. auch die viel gelesenen «Volksmärchen der Deutschen» von Musäus (Gotha 1782 fg.),
der durch seine Ironie den naiven Ton vollständig verwischt. Den Anstoß zur Aufzeichnung direkt aus dem Volksmund gab die
klassische Sammlung der Brüder Grimm: «Kinder- und Hausmärchen» (1812), die über Deutschlands Grenzen hinaus (in
Übersetzung) weite Verbreitung fanden. Als dritter Band erschienen 1822 (3. Aufl. 1850) vergleichende Anmerkungen zu den
einzelnen M.: die erste umfassende Leistung auf dem Gebiete der vergleichenden Märchenforschung, eine Arbeit, die
grundlegende Bedeutung für das gesamte Studium der Volksüberlieferungen (die Folkloristik) hatte. An die Grimmschen M.
schlossen sich die populären Sammlungen von L. Bechstein («Deutsches Märchenbuch», Lpz. 1846;
«Neues deutsches Märchenbuch», ebd. 1856), R. Bechstein («Altdeutsche M., Sagen und Legenden», ebd. 1863), Gräffe,
Simrock, Pröhle, Fr. Hoffmann, Ferd. Schmidt, Colshorn, Lausch, Löhr, Otto, Lohmeyer, Scholk u. s. w.; für die Schweiz
sammelte Märchen Sutermeister (1869), für Lothringen Cosquin («Contes populaires de Lorraine,
comparé avec les contes des autres provinces, de France et de pays étrangers», 2 Bde., Par.
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 579.