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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ortskrankenkassen
selben, kann aber unter Umständen auch durch die
höhere Verwaltungsbehörde angeordnet und indirekt
erzwungen werden. So ergreift die Ortskrankenkasse
auch regelmäßig nur die innerhalb des Gemeinde-
bezirks beschäftigten Personen; es können aber auch
mehrere Gemeinden zur Errichtung gemeinsamer O.
für ihre Bezirke (Bezirkskrankenkassen) sich
freiwillig vereinigen, oder durch Beschluß des sie
umfassenden weitern Kommunalverbandes (Kreis,
Provinz) oder auch durch Anordnung der höhern
Verwaltungsbehörde zwangsweise vereinigt werden.
Die Gemeinde errichtet auch durch ihre Behörde,
nach Anhörung der Beteiligten oder von Vertretern
derselben, das Kassenstatut, welches über eine
Reihe von Punkten Bestimmung treffen muh, eine
Unzahl anderer regeln kann, aber nichts enthalten
darf, was mit dem Kassenzweck in keiner Verbindung
steht oder gesetzlichen Vorschriften zuwiderläuft. Das
Statut bedarf der Genehmigung der höhern Ver-
waltungsbehörde, deren Verfagung nur aus be-
stimmten Gründen zulässig ist und im Verwaltungs-
streitverfahren oder im Rekurswege angefochten
werden kann; gleiches gilt von Abänderungen des
Statuts. Entsteht fonack die Ortskrankenkasse nur
durch einen behördlichen Akt, so führt sie doch, sobald
sie ins Leben gerufen, als jurift. Person ein selb-
ständiges Dasein; sie kann unter ihrem Namen
Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen,
vor Gericht klagen und verklagt werden; sie ver-
waltet sich selbst durch ihre Organe und besitzt eige-
nes Zweckvermögen, mit dem sie, und zwar sie allein,
den Kassengläubigern verhaftet ist. Andererseits ist
sie nicht im stände, sich selbst aufzulösen, vielmehr
kann ihre Schließung oder Auflöfung nur wiederum
durch einen Rechtsakt der höhern Verwaltungsbe-
hörde unter gewissen gesetzlichen Voraussetzungen
erfolgen. Die Mitgliedschaft bei der Orts-
trankenkasse ist entweder eine gesetzliche (Zwangs-
oder Pflichtmitgliedschaft) oder eine freiwillige (s.
Krankenversicherungsgesetz). Nach den bestehenden
Grundsätzen kann niemand gleichzeitig mehrern O.
oder überhaupt einer Ortskrankenkasse und einer
sonstigen Zwangskasse angehören; hingegen ist Dop-
pelversicherung durch gleichzeitige Mitgliedschaft bei
einer Ortskrankenkasse und einer (oder mehrern) freien
Hilfskassen (s. d.) zulässig.
Für die Leistungen der O. hat das Gesetz ein
Minimum und ein Marimum festgesetzt; innerhalb
dieses Rahmens hat die freie Selbstbestimmung der
Kasse Spielraum. Die O. gewähren: Krankenunter-
stützung, Wöchnerinnenunterstützung und Sterbegeld.
Für die Krankenunterstützung sind obliga-
torisch: freie ärztliche Behandlung, Arznei, Brillen,
Bruchbänder und ähnliche (d. h. gleich wohlfeile)
Heilmittel; zulässig auch die Gewährung anderer
kostspieligerer Heilmittel; ferner im Fall der Er-
werbsunfähigkeit ein Krankengeld, und zwar min-
destens in Höhe der Hälfte des durchschnittlichen
Tagelohns derjenigen Klassen von Versicherten, für
welche die Ortskrankenkasse errichtet ist, soweit er
3 M. für den Arbeitstag nicht überschreitet; zu-
lässig ist Erhöhung bis auf drei Viertel dieses
Tagelohns, sowie Zugrundelegung des Individual-
lohns des einzelnen Versicherten, soweit er 4 M.
für den Arbeitstag nicht überschreitet. Die Dauer
der Krankenunterstützung kann auf einen lungern
Zeitraum als 13 Wochen bis zu 1 Jahre ausge-
dehnt werden; auch ist auf die gleiche Dauer von
Beendigung der Krankenunterstützung ab Fürsorge
für Rekonvalescenten, insbesondere Unterbringung
in einer dazu dienenden Anstalt, statthaft. Die Be-
handlung ist der Regel nach durch einen staatlich
approbierten Arzt zu leisten. Es steht im Belieben
der Ortskrankenkasse, ihren Mitgliedern freie Arzt-
wahl zu gestatten oder bestimmte Kassenärzte anzu-
stellen; in diesem Fall kann die Erstattung der durch
Zuziehung anderer Arzte entstandenen Kosten, von
dringenden Fällen abgesehen, verweigert werden.
Entsprechendes gilt von Apotheken und Kranken-
häusern. Genügt die Zahl der Kassenärzte, Kassen-
apotheken u. s. w. den berechtigten Ansprüchen der
Mitglieder nicht, so kann eine Vermehrung derselben
durch die höhere Verwaltungsbehörde, eventuell
zwangsweise herbeigeführt werden. Für den Bezug
des Krankengeldes ist eine 3tägige Wartezeit (s. d.)
vorgeschrieben; auch ist dasselbe nur für die Arbeits-
tage zu gewähren; unter gewissen, die Leistungs-
fähigkeit der Ortskrankenkasse sichernden Kautelen
können diese Beschränkungen wegfallen. An Stelle
sämtlicher andern Leistungen ist die Ortskrankenkasse
berechtigt (nicht verpflichtet), freie Kur und Ver-
pflegung in einem Krankenhause zu gewähren. Die
Zustimmung des Mitglieds ist nur in bestimmten
Fällen erforderlich; wer, von diesen Fällen abgesehen,
von der ihm dargebotenen Hospitalpflege keinen Ge-
brauch macht, verliert damit feine Unterstützungs-
ansprüche. Hat das im Krankenhaus untergebrachte
Mitglied Angehörige, deren Unterhalt es bisber
aus feinem Arbeitsverdienst bestritt, so erhalten
diese noch die Hälfte des Krankengeldes; solcben
Mitgliedern, die ihre Angehörigen nicht unterhal-
ten, darf neben der Hospitalpflege ein Krankengeld
bis zur Höhe von ein Achtel ihres durchschnittlichen
Tagelohns bewilligt werden. Auch für Familien-
angehörige eines Mitglieds ist die Gewährung
freier ärztlicher Behandlung, freier Arznei und son-
stiger Heilmittel, jedoch nicht von Krankengeld, zu-
lässig. Die Krankenunterstützung ist für jeden neuen
Unterstützungsfall von neuem zu gewähren. Unter
gewissen Voraussetzungen darf das Krankengeld ganz
oder teilweise entzogen werden, z. B. bei Krankheiten,
die sich ein Mitglied vorsätzlich oder durch schuldhaftc
Beteiligung an Schlägereien oder Raufhändeln,
durch Trunkfälligkeit oder geschlechtliche Ausschwei-
fungen zugezogen hat. Ferner dürfen Kontrollvor-
schnften über die Krankmeldung, das Verhalten der
Kranken und die Krankenaufsicht erlassen und ihre
Übertretung zwar nicht mit Verlust des Kranken-
geldes, wohl aber mit Ordnungsstrafen bis zu 20 M.
bedroht werden, welche von dem Krankengeld in
Abzug gebracht werden dürfen. Gegen die Straf-
festsetzung ist Beschwerde an die Aufsichtsbehörde
zulässig. In Krankheitsfällen, welche durch einen
nach denUnfallversicherungsgefetzen entschädigungs-
pflichtigen Betriebsunfall veranlaßt sind, ist das
Krankengeld auf mindestens zwei Drittel des seiner
Berechnung zu Grunde gelegten Arbeitslohnes zu
bemessen und soweit es hinter diesem Betrage zurück-
bleibt, auf denselben zu erhöhen. Die Differenz ist
der beteiligten Kasse von dem Unternehmer des Be-
triebes zu erstatten, in dem sich der Unfall ereignete.
Die Wöchnerinnenunterstützung erfolgt in
Höhe des Krankengeldes an solche Mitglieder, die
in dem letzten Jahre vor der Entbindung mindestens
6 Monate einer Zwangskasse angehörten, und zwar
auf die Dauer von mindestens 4 Wochen- sie kann
auf 6 Wochen erstreckt werden, und dies muß ge-
schehen, soweit nach der Reichsgewerbeordnung die