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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Persien (Geschichte)

Rescht und Astrabad am Kaspischen Meere als Stationshäfen für seine Kriegsschiffe zur Benutzung, ferner das Recht, Bergwerke in P. anzulegen und zu ihrer Ausbeutung von jenen beiden Häfen aus befestigte Etappen zu errichten. Auch mußte P. fortan alle russ. Überläufer ausliefern. So wurde es immer abhängiger von Rußland.

Nachdem 1847 der erste Minister des Schah, Hadschi Mirza Aghasi, der die innere Verwaltung mit unumschränkter Gewalt geleitet hatte, und der Schah selbst Sept. 1848 gestorben war, trat Nâßir ed-din (s. d.) die Regierung an. Der junge Regent ernannte Mirza Taghi Chan, den Sohn eines Kochs, zum Wesir unter dem Titel Amir Nisâm. Die neue Regierung führte rasch durchgreifende Reformen ein; sie erleichterte den Steuerdruck, zügelte die Willkür der Gouverneure und ordnete die verlotterten Finanzen. Mit fester Hand unterdrückte der Amir den vom Gouverneur unterstützten Aufstand des Rebellenführers Sâlâr in Chorassan und den blutigen Priesteraufruhr in Ispahan. Allein sein rücksichtsloser Eifer gegen Günstlinge und Erpresser und seine Strenge gegen die losen Sitten am Hofe machten ihm viele Feinde. Er trachtete ein vom europ. Einfluß freies Reich herzustellen und zog sich dadurch unangenehme Verwicklungen zu. So unterlag er bald den Hofkabalen. Schon 1851 wurde er auf Befehl des Schahs ermordet.

P. hatte schon lange Ansprüche auf Herat, wobei es auch von den Russen eifrig unterstützt wurde. Als nun Jâr Mehmed Chan, der Usurpator von Herat, 1851 starb und hierauf Dost-Muhammad, der Chan von Kandahar, und dessen Halbbruder Kuhendil-Chan sich um Herat stritten, rückten die Perser im März 1852 ein und nahmen die Stadt weg, worauf das Sultanat Herat dem Persischen Reiche einverleibt wurde. Doch suchte jetzt England die Freigebung und Selbständigkeit Herats durchzusetzen, weshalb 30. Sept. 1852 eine engl. Flotte bei Abuschehr am Persischen Meerbusen landete und 9000 Mann ausschiffte. Ein Mordanfall auf den Schah, der 15. Aug. 1852 von drei Männern aus der religiösen Sekte der Bâbî (s. d.) ausging, wurde mit Ausrottung der ganzen Sekte unter unmenschlichen Martern bestraft. Beim Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Rußland und der Türkei im Herbst 1853 neigte sich die pers. Regierung auf die Seite Rußlands, erregte aber dadurch den Unwillen der Bevölkerung in so bedenklicher Weise, daß man es ratsam fand, nichts gegen die Türken zu unternehmen. 1855 eroberten die Perser abermals Herat, aber im folgenden Jahre landeten die Engländer wieder auf der Reede von Abuschehr und bemächtigten sich dieser Stadt. Der Schah sandte Truppen gegen den Feind, die aber von den aus Abuschehr ausfallenden Engländern zurückgeschlagen wurden. Auch ein anderes pers. Korps, das vor Muhammere lag, wurde von der engl. Flotte hart mitgenommen, so daß der Schah unter franz. Vermittelung 1857 Frieden schloß. In den folgenden Jahren kämpften die Perser, jedoch ohne großen Erfolg, gegen die Turkmenen, deren Einfälle immer mehr überhand nahmen. Serachs wurde zwar 1860 erobert, mußte aber bald wieder aufgegeben werden. Seit dieser Zeit hat P. keine auswärtigen Kriege zu bestehen gehabt. Der Schah unternahm, angeblich um durch Studium europ. Einrichtungen den Zustand des Landes zu verbessern, drei Reisen nach Europa, denen zwar keine durchgreifende, doch einige wesentliche Verbesserungen folgten; so wurde das Münzwesen nach dem Frankfuß eingeführt, die Posten im In- und nach dem Auslande geregelt, die Residenz Teheran verschönert, auch die Toleranz für alle Religionsgenossen, mit Ausnahme der Bâbî, hergestellt. Durch den Berliner Vertrag vom 13. Juli 1878 wurde die seit 1850 von den Türken besetzte Stadt Kotur an P. zurückgegeben. Ein Vertrag mit Rußland vom 9. (21.) Dez. 1881, ratifiziert 28. Febr. (12. März) 1882, setzte die Grenze zwischen P. und dem von den Russen eroberten Turkmenengebiet fest. 1888 wurde der Karunfluß in Chusistan der Schiffahrt eröffnet, was namentlich einen Erfolg für England bedeutete, und in demselben Jahr erfolgte die Eröffnung der Bahnstrecke von Teheran nach Schah Abd ul-Asim. Europ. Gesellschaften wurden ferner Konzessionen zur Errichtung einer Bank in Teheran, zur Ausbeutung von Bergwerken und zu großartigen Straßenbauten erteilt, dagegen stieß die Einführung des Tabaksmonopols (1891) auf energischen Widerstand, der einen so bedrohlichen Charakter annahm, daß der Plan aufgegeben werden mußte. Spielten in diese Bewegung aus Europa eingedrungene freiheitliche Gedanken mit hinein, so blieben diese doch ohne Folgen. Dagegen rächte sich nun an dem Schah die grausame Verfolgung der Bâbî. Am 1. Mai 1896 wurde Nâßir ed-din bei Betreten einer Moschee bei Teheran von einem fanatischen Anhänger dieser Sekte erschossen. Doch wurde durch dies Attentat die Ruhe nicht weiter gestört. Der schon lange zum Nachfolger designierte Sohn des Schah, Muzaffer ed-din Mirza (geb. 3. März 1853), bis dahin Statthalter von Aserbeidschân, bestieg ohne Zwischenfälle den Thron und wurde alsbald von den Großmächten anerkannt. 1896 wurde durch eine brit.-pers. Kommission die Grenze zwischen Belutschistan und P. festgelegt.

Litteratur. Malcolm, History of Persia (neue Aufl., 2 Bde., Lond. 1829; deutsch von Becker, 2 Bde., Lpz. 1830); Herford Jones Bridges, The dynasty of the Kajars (Lond. 1838); Barbier de Meynard, Dictionnaire géographique, historique et littéraire de la Persia (Par. 1861): Watson, A history of Persia from the beginning of the 19<sup>th</sup> century (Lond. 1866); Spiegel, Eranische Altertumskunde (2 Bde., Lpz. 1871‒73); Piggot, Persia, ancient and modern (Lond. 1874); Markham, A general sketch of the history of Persia (ebd. 1874); Eastern Persia: an account of the journeys of the Persioan Boundary copmmision 1870‒72 (2 Bde., ebd. 1876); Rawlinson, The seventh great oriental monarchy (ebd. 1876); Arnold, Through Persia by caravan (2 Bde., ebd. 1876); Justi, Geschichte des alten P.s (Berl. 1879); Wills, In the Land of the Lion and the Sun (Lond. 1883); ders., Persia as it is (ebd. 1886); Stolze nnd Andreas, Die Handelsverhältnisse P.s (Gotha 1885); Tomaschek, Zur histor. Topographie von P. (Bd. 1‒2, Wien 1883‒85); Nöldeke, Aufsätze zur pers. Geschichte (Lpz. 1887); Benjamin, Persia and the Persians (Lond. 1887); Gutschmid, Geschichte Irans und seiner Nachbarländer von Alexander d. Gr. bis zum Untergänge der Arsaciden (Tüb. 1888); Houssay, Les races humaines de la Perse (Lyon 1888); Rausch von Traubenberg, Hauptverkehrswege P.s (Halle 1890); Curzon, Persia and the Persian question (2 Bde., Lond. 1892); Browne, A year amongst the Persians (ebd. 1893); Bird, Journeys in Persia and Kurdistan (2 Bde.,