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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Polen

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Polen (Königreich)

als Emigranten, bald als Angestellte, bald als Verbannte im Innern Rußlands, besonders in Südrußland (Odessa, Bessarabien u. a.), in Petersburg, Sibirien, dann in der Türkei, in Frankreich, in der Schweiz, in Österreich (Wien) u. a.

Die Zahl der P. ist nicht leicht festzustellen, weil viele Personen zwei-, sogar dreisprachig sind und sich daher bald diesem, bald dem andern Stamme zuzählen. Nach einer Berechnung von 1880 bis 1882 ergeben sich, mit 5 Proz. Zuwachs, für 1894 folgende Zahlen: 1) In Rußland: in Russisch-Polen 5670000 (73,4 Proz. der Gesamtbevölkerung), in den neun westl. Gouvernements Rußlands 1550000 (11 Proz.). Zusammen 7220000. 2) In Österreich-Ungarn: in Galizien 2887000 (46 Proz. der Gesamtbevölkerung), in Schlesien 163000 (28 Proz.), in der Bukowina 19000, in Ungarn 12000. Zusammen 3081000. 3) In Preußen: Reg.-Bez. Posen (62 Proz.), Bromberg (48), Danzig (26), Marienwerder (37), Gumbinnen (20), Königsberg (15), Oppeln (60), Breslau (3,5 Proz.), Pommern (3500 Seelen), zusammen 2810000 (nach der deutschen Volkszählung vom 1. Dez. 1890 beträgt die Zahl der P. in Preußen 2816657). Dazu 4) zerstreut rund 2 Mill. (soviel wird für Amerika allein angegeben). Es ergiebt sich somit eine Gesamtzahl von rund 15 Mill.

Dem Bekenntnis nach sind evangelisch 446000 (3,4 Proz. der Gesamtzahl in 1-3), griechisch-uniert 68000 (0,5 Proz.), mosaisch (polonisierte Juden) 19000 (0,15 Proz.), mohammedanisch (im Gouvernement Sjedlez, Suwalki, Grodno u. a.) 9000, griechisch-orthodox 8000; zusammen nichtkatholisch 550000 (4 Proz.), römisch-katholisch 12561000 (96 Proz.). Die in den vorstehenden Berechnungen mit inbegriffenen Kassuben (s. d.; auch in Amerika vertreten; Gesamtzahl 200000) bilden eigentlich einen besondern Volksstamm. - Vgl. Czyński, Etnograficzno-statystyczny zarys liczebności i rozsiedlenia ludności polskiej (Warsch. 1887).

Polen, poln. Polska, russ. Polscha 1) Ehemaliges Königreich, umfaßte bis zur ersten Teilung 1772 im allgemeinen ein Gebiet, das im W. von der Oder und Warta, im S. von den Karpaten und dem Dnjestr, im O. vom Dnjepr, im N. von der Düna, der Wasserscheide ihrer Zuflüsse und der zum Ilmensee gehenden Gewässer und von der Ostsee umschlossen wird. Westlich gingen die Grenzen nur im 11. und 12. Jahrh. weit über die Oder und Warta hinaus, fast bis zur Elbe bei Meißen und bis nach Böhmen und Mähren. Die Ausdehnung nach O., wo anfangs der Bug die Grenze bildete, begann im 13. Jahrh. und ging zeitweilig sogar über den Dnjepr hinaus. P. hatte:

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Jahr Flächenraum qkm Einwohner

1620 991000 15000000

1655 881000 14000000

1683 661000 12000000

1701 716000 12500000

1755 716000 13000000

1764 774415 12980000

1791 530000 7752486

1794 247800 4500000

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Mit der dritten Teilung 1795 hörte das alte Königreich ganz auf zu bestehen.

Der Nationalität nach waren in P. um 1772 fast 5 Mill. Polen (meist Katholiken), etwa ebenso viele Kleinrussen (meist uniert), 1 Mill. Litauer (Katholiken), 1½ Mill. Juden, 1 Mill. Deutsche (meist evangelisch). Das Land bestand aus drei großen Provinzen, die in Woiwodschaften und diese wieder in Kreise (powiaty) zerfielen: Großpolen (s. d.), Kleinpolen (s. d.) und Litauen (s. d.). Die herrschende Kirche war die römisch-katholische; es bestanden zwei Erzbistümer (Gnesen, Lemberg) und 15 Bistümer. Universitäten gab es in Krakau, Wilna und Zamosc, daneben Dissidenten-, Jesuiten-, später Piaristen-, zuletzt sogar Staatsschulen. - Das Wappen war ein quadrierter Schild, das erste und vierte Quadrat mit dem weißen gekrönten poln. Adler in rotem Felde wegen P., im zweiten und dritten ein silberner geharnischter Reiter mit goldenem Patriarchenkreuz und bloßem Säbel auf einem rennenden silbernen Pferde mit goldenen Hufeisen und blauem Reitzeug in rotem Felde wegen Litauen. Das Herzschild enthielt das Geschlechtswappen des Königs. Die Landesfarben waren Weiß und Rot. - Vgl. Baliński und Lipiński, Starożytna Polska (3 Bde., Warsch. 1844-48).

2) Königreich unter russ. Herrschaft, errichtet 1815 durch den Wiener Kongreß, daher auch Kongreßpolen (Kongreśowka) oder kurzweg Russisch-Polen genannt, in Rußland offiziell Weichselgouvernements (russ. Priwislanskija gubernii) oder Weichselgebiet (Priwislanskij kraj). Es grenzt im N. an die preuß. Provinzen West- und Ostpreußen und an das russ. Gouvernement Kowno, im O. an Wilna, Grodno und Volhynien, im S. an das österr. Kronland Galizien, im W. an die preuß. Provinzen Schlesien und Posen, und hat 127312,9 qkm mit 8308122 E., d. i. 65,3 auf 1 qkm. Das Land ist vorherrschend Ebene, nur die südl. Teile haben als Ausläufer der Karpaten eine wellige, zum Teil bergige Oberfläche, deren höchste Erhebung die Lysa-Gora (s. d.) ist. Im SW. nahe an der Grenze ist das Thal des Prondnik, die sog. Polnische Schweiz. Die Mitte wird bewässert von der Weichsel (auf 424,6 km) und ihren Nebenflüssen (rechts: San, Wieprz, Bug-Narew; links: Nida, Kamionna, Piliza und Bzura). Im Westen geht die Warta mit der Prosna zur Oder und der Nordosten gehört zum Gebiet des Niemen, zum Teil von diesem selbst begrenzt. Seen sind im Norden zahlreich, aber nirgends von größerm Umfang. Im südl. und südwestl. Teil finden sich Eisenerz, Kupfer, Zinn, Zink und besonders Steinkohlen. Ein Drittel des Landes ist mit Wäldern bedeckt. Der Boden ist fruchtbar. Die Bevölkerung besteht zum größten Teil aus Polen, dann etwa 300000 Russen, 1,1 Mill. Juden, 440000 Deutschen, 300000 Litauern. Der Religion nach sind römisch-katholisch 79 Proz., mosaisch 14 Proz., andern Bekenntnisses 7 Proz. Hauptbeschäftigung ist Ackerbau. Gebaut werden neben Roggen, Gerste, Hafer ein vortrefflicher Weizen. Bedeutend ist die Viehzucht, namentlich die Zucht span. Schafe, ferner Pferdezucht und Bienenzucht in den Wäldern. Bergmännisch gewonnen werden hauptsächlich Eisenerz und Steinkohlen (letztere jährlich etwa 130 Mill. Pud). 1887 wurden erzeugt Eisen gegen 4 Mill., Stahl 3 Mill., Gußeisen 3,7 Mill. Pud. Es giebt 2288 Fabriken mit 164,5 Mill. Produktion. Die Textilindustrie (besonders Woll- und Baumwollfabriken) konzentriert sich hauptsächlich in Lodz. Auch die Zuckerfabrikation ist bedeutend (6 Mill. Rubel Produktion jährlich). Nach Aufhebung der russ.-poln. Zollgrenze 1851 bildet P. mit Rußland ein wirtschaftliches Gebiet; es hat schiffbare Flüsse und 2174 km Eisenbahnen. Hauptstapelplatz für das Ausland ist Danzig. Ausgeführt werden haupt-^[folgende Seite]