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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Rechtsspruch; Rechtsstaat; Rechtsstand; Rechtsstreit; Rechtsverweigerung; Rechtsvorbehalt; Rechtsweg; Rechtsweichen

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Rechtsspruch - Rechtsweichen

geltende Recht zu weisen, und seine mit metrischen Stücken versetzten, sich auf mehrere Jahre erstreckenden Vorträge bildeten nicht nur die Grundlage von Rechtsbüchern (s. d.), sondern wurden auch manchmal zu Gesetzbüchern erhoben. Die R. übten nicht nur durch die von ihnen erstatteten Rechtsgutachten, sondern auch durch ihre litterar. Arbeiten über das Recht (Sammlungen und Glossierung der Rechtssatzungen) großen Einfluß auf die Praxis und die Fortbildung des Rechts. (S. Nordisches Recht.)

Rechtsspruch, soviel wie Erkenntnis, Urteil (s. d.).

Rechtsstaat, s. Staat.

Rechtsstand, derjenige Zustand, welcher auf das Recht gegründet ist; er wird dem bloßen Besitzstande, der bloß thatsächlichen Ausübung gewisser Rechte, entgegengesetzt. Der bloße Besitzstand muß mit der Zeit in den R. übergehen; unter welchen Bedingungen und in welcher Zeit (s. Ersitzung) dies aber geschehen soll, kann nur durch die positive Gesetzgebung bestimmt werden. Im öffentlichen Recht vermag der Gegensatz zwischen dem R. und den geschichtlichen Thatsachen schwer lösliche Verwicklungen zu erzeugen, wenn eine rechtmäßige Regierung (gouvernement de droit) wieder in den Besitz der Gewalt gelangt, welche ihr durch Eroberung oder Usurpation unter leidendem Gehorsam des Volks, also durch eine thatsächliche Regierung (gouvernement de fait), entzogen war. Der Besitzstand hat im öffentlichen Recht eine weit größere Bedeutung als im Privatrecht. Wer in einem Lande für Rechtssicherheit und das Volkswohl zu sorgen hat, muß thatsächlich Macht besitzen. Die einzelnen Bürger und Unterthanen sind genötigt, einer thatsächlichen Regierung zu gehorchen, der sie nicht widerstehen können, und es ist unmöglich, ihnen den Gehorsam gegen eine Regierung zuzumuten, welche sie nicht schützen kann. Das Völkerrecht schreibt der thatsächlichen Regierung die Befugnis, die Repräsentation des Staates auszuüben, erst dann zu, wenn dem thatsächlichen Zustand die Anerkennung der übrigen Mächte hinzugetreten ist. Allmählich wächst aus dem Besitzstand, wenn er sich befestigt und daher schließlich als notwendig erscheint, ein neuer R. hervor, welcher seine definitive Beglaubigung aber erst durch die Anerkennung der übrigen Staaten findet.

Rechtsstreit, s. Prozeß.

Rechtsverweigerung, s. Justizverweigerung.

Rechtsvorbehalt, s. Reservation.

Rechtsweg, die Anrufung der ordentlichen Gerichte (statt der Verwaltungsbehörden und der Verwaltungsgerichte) zur Entscheidung einer Rechtsstreitigkeit. Im allgemeinen gehören alle Streitigkeiten, welche Gegenstände des Privatrechts (s. Bürgerliches Recht) betreffen und alle Strafsachen (die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen), für welche nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist, oder reichsgesetzlich besondere Gerichte bestellt sind, vor die ordentlichen Gerichte (§. 13 des Deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes). Ob im einzelnen Falle der R. zulässig oder ob die Verwaltungsgerichte oder die Verwaltungsbehörden zuständig sind, ist nach den betreffenden Reichs- oder Landesgesetzen zu entscheiden. Die preuß. Gesetzgebung, insbesondere das Zuständigkeitsgesetz vom 1. Aug. 1883, überweist die Entscheidung über Ansprüche, die im öffentlichen Recht begründet sind, den Verwaltungsgerichten. Das Gerichtsverfassungsgesetz gewährleistet indes in §. 9 den Richtern den R. für vermögensrechtliche Ansprüche aus ihrem Dienstverhältnis, und nach §§. 4, 5 des Einführungsgesetzes zur Civilprozeßordnung darf der R. nicht aus dem Grunde, daß Fiskus, Gemeinden u. s. w. Partei sind, ausgeschlossen, noch bei vermögensrechtlichen Ansprüchen gegen Landesherren oder Mitglieder der landesherrlichen Familien von der Einwilligung des Landesherrn abhängig gemacht werden.

Grundsätzlich entscheiden die Gerichte in den bei ihnen anhängig gemachten Sachen über die Zulässigkeit des R.; diese Entscheidung ist so wichtig, daß sie in bürgerlichen Rechtsstreiten ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes der Revision (s. d.) unterliegt. Der Landesgesetzgebung ist indes nachgelassen, die Entscheidung über die Zulässigkeit des R. besondern Behörden zu übertragen; die Mitglieder derselben müssen jedoch mindestens zur Hälfte dem Reichsgericht, dem obersten Landesgericht oder einem Oberlandesgericht angehören und auf Lebenszeit oder auf die Dauer ihres Amtes ernannt werden; die Entscheidung muß in öffentlicher Sitzung nach Ladung der Parteien erfolgen und darf nicht beantragt werden, sobald die Zulässigkeit des R. durch rechtskräftiges Urteil des Gerichts feststeht. Eine diesen Vorschriften entsprechende Verordnung ist in Preußen 1. Aug. 1879 erlassen; durch dieselbe ist der Gerichtshof zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte eingeführt, mit 11 Mitgliedern besetzt, von denen 6 dem Kammergericht angehören müssen, und hinsichtlich der Zuständigkeit auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten beschränkt. Nach §. 17 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz kann auf Antrag eines Bundesstaates und mit Zustimmung des Bundesrats die Verhandlung und Entscheidung der Streitigkeiten über die Zulässigkeit des R. dem Reichsgericht überwiesen werden. Dies ist durch kaiserl. Verordnung vom 26. Sept. 1879 für Bremen geschehen. In einzelnen Bundesstaaten war vor Einführung der Reichsjustizgesetze die strafrechtliche oder civilrechtliche Verfolgung öffentlicher Beamten wegen der in Ausübung ihres Amtes vorgenommenen Handlungen von der Vorentscheidung einer besondern Behörde abhängig gemacht. Diese Vorschriften sind durch §. 11 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz mit der Maßgabe geschont, daß die Vorentscheidung entweder durch den obersten Verwaltungsgerichtshof oder, wo ein solcher nicht besteht, durch das Reichsgericht erfolgt und auf die Feststellung beschränkt ist, ob der Beamte sich einer Überschreitung seiner Amtsbefugnisse oder der Unterlassung einer ihm obliegenden Amtshandlung schuldig gemacht hat.

In gewissen Fällen werden Streitigkeiten vorläufig unter Vorbehalt des R., der dann an eine bestimmte Frist gebunden ist, von Verwaltungsbehörden entschieden. Dahin gehören polizeiliche Strafverfügungen, gegen welche binnen einer Woche auf gerichtliche Entscheidung angetragen werden kann (§. 453 der Reichs-Strafprozeßordnung); die Entscheidung der obersten Reichsdchörde über vermögensrechtliche Ansprüche von Reichsbeamten, gegen welche innerhalb sechs Monaten der R. beschritten werden muß (§. 150 des Reichsbeamtengesetzes); die Festsetzung der Entschädigung bei Enteignungen durch die Verwaltungsbehörde, gegen welche nach §. 30 des preuß. Enteignungsgesetzes vom 11. Juni 1874 ebenfalls binnen sechs Monaten der R. zulässig ist.

Rechtsweichen, s. Eisenbahnbau (Bd. 5, S. 840 a).