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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Sittenfeld - Sittlichkeitsvereine

beide im got. Stil, in dem neuern Stadtteil nach dem Bahnhof hin das Regierungsgebäude, bischöfl. Palast an der Place d’Armes und das neue Gymnasium mit Naturalien- und Münzkabinett. Außerdem besitzt S. ein Kapuzinerkloster und eine evang. Kapelle. Haupterwerbsquellen sind die Ausbeutung von Gips- und Anthracitgruben, Marmor- und Bausteinbrüchen,Strohflechterei, Tabaksfabrikation, Obst-, Weinbau (mit Traubenkur) und Handel mit Wein. Nördlich von S. die Trümmer der frühern bischöfl. Burg Tourbillon (1294 erbaut, 1788 durch Feuer zerstört); südlich das Schloß Valeria, einst ein röm. Kastell, jetzt Priesterseminar, mit der roman. Kirche Notre-Dame de Valère (9. bis 13. Jahrh.) mit merkwürdigen Säulenkapitälen, Bildern und geschnitzten Chorstühlen. In dem frühern Kalendsale das neu gegründete Altertumsmuseum. Unterhalb Valeria liegt das Schloß Majoria, bis 1788 Residenz der Bischöfe, jetzt zum Teil Kaserne. Das Klima der Umgebung ist so mild (Jahrestemperatur 10° C.), daß außer vorzüglichem Wein und Obst Feigen, Mandeln, Maulbeeren und an den Felsen von Tourbillon sogar die amerik. Feigendistel (Opuntia vulgaris Tournef.) gedeihen.

Sittenfeld, Konrad, Schriftsteller unter dem Pseudonym Konrad Alberti, geb. 9. Juli 1862 in Breslau, studierte in Breslau und Berlin Geschichte und Litteratur, war längere Zeit Schauspieler, studierte wieder in Berlin und widmete sich dann ausschließlich schriftstellerischer Thätigkeit. S.s sociale Romane und Novellen, die auf dem Boden des modernen Naturalismus stehen, stoßen zwar häufig ab durch Cynismen, sind aber glatt und knapp geschrieben und gehören zu den bessern Erzeugnissen der modernen realistischen Erzählungskunst, z. B. die Novellen «Riesen und Zwerge» (2. Aufl., Lpz. 1889), «Plebs» (ebd. 1887), «Federspiel» (ebd. 1890), die Romane «Wer ist der Stärkere?» (ebd. 1888), «Die Alten und die Jungen» (ebd. 1889), «Das Recht auf Liebe» (ebd. 1890; 2. Aufl. 1891), «Schröter und Compagnie» (ebd. 1892), «Mode» (ebd. 1893), «Maschinen» (ebd. 1894), «Fahrende Frau» (ebd. 1895). S. schrieb ferner mehrere Dramen («Brot», sociales Schauspiel, 1888, «Ein Vorurteil», 1893), Lustspiele («Bluff», 1893, «Die Französin», 1894), Epigramme («Grobe Keile auf grobe Klötze», 1893), kultur- und litterargeschichtliche Schriften.

Sittenlehre, s. Ethik.

Sittenpolizei, Gesamtheit der polizeilichen Maßregeln, die gegen öffentliche Unsitte und Anreizung zur Unsittlichkeit gerichtet sind, und die zur Ausführung dieser Maßregeln bestellten amtlichen Organe. Die S. beschränkt sich gegenwärtig in den deutschen Staaten auf Maßregeln gegen die Trunksucht, geschlechtliche Ausschweifungen, Glücksspiele, Tierquälerei, und solche zum Schutze der Sonn- und Festtagsfeier. Die Bekämpfung der Trunksucht geschieht durch Beschränkung der Gastwirtschaften, Einrichtung sog. Polizeistunden (s. d.), Strafandrohungen gegen Wirte in betreff der Aufnahme schulpflichtiger Kinder in ihren Lokalen und Bestrafung solcher Personen, welche sich durch den Trunk unfähig machen, diejenigen zu unterhalten, zu deren Unterhalt sie verpflichtet sind (Reichsstrafgesetzbuch §. 361⁵, sowie zahlreiche Polizeivorschriften in den Einzelstaaten). Gegen geschlechtliche Ausschweifungen richten sich mehrfache Vorschriften des Reichsstrafgesetzbuchs, nämlich §§. 183, 184, 174, 179, 182, 160, 361⁶. Außerdem ist in einzelnen Staaten der Konkubinat (s. d.), sofern dadurch öffentliches Ärgernis erregt wird, verboten; ferner gehören hierher auch die Vorschriften gegen öffentliche Tanzbelustigungen. Gegen das Glücksspiel richtet sich das reichsgesetzliche Verbot der Duldung von öffentlichen Spielbanken, sowie verschiedene strafrechtliche Vorschriften (Reichsstrafgesetzbuch §§. 284‒286, 361⁵); gegen Tierquälerei die Vorschrift im Reichsstrafgesetzbuch §. 360¹³ sowie polizeiliche Strafbestimmungen in Württemberg, Baden, Hessen, Sachsen; zum Schutz der Sonntagsfeier bestehen ebenfalls Polizeivorschriften in den Einzelstaaten mit der Strafdrohung des §. 366¹ des Reichsstrafgesetzbuchs. Gegen «groben Unfug» hat, ohne nähere Bestimmung, das Reichsstrafgesetzbuch (§. 360, Nr. 11) Maßregeln getroffen. – Vgl. R. von Mohl, Die Polizeiwissenschaft, Bd. 2 (3. Aufl., Tüb. 1866).

Sitter, rechter Zufluß der Thur in der Schweiz, entsteht aus zwei Bächen am Nordostabfall der Sentisgruppe beim Weißbad, 3 km südöstlich von Appenzell, und mündet, nachdem sie links den Urnäschbach aufgenommen, 42,5 km lang, bei Bischofszell. Die S. ist ein wildes Bergwasser, weder schiffbar noch flößbar.

Sittewald, Philander von, s. Moscherosch.

Sit tibi terra levis (lat.), Inschrift auf Grabsteinen, s. Bestattung der Toten (Bd. 2, S. 888 a).

Sittiche (Sittacinae), die langschwänzigen Papageien, im Gegensatz zu den kurzschwänzigen (Psittacinae). Sie wechseln von etwa Sperlings- bis Haushahngröße. Die Hauptunterscheidungsmerkmale sind: ein schlanker langgestreckter Körper mit mehr oder minder langem, stufigem Schwanz und langen spitzen Flügeln. Im übrigen sind sie untereinander sehr verschieden. Wissenschaftlichen Wert hat die Unterscheidung der S. und kurzschwänzigen Papageien nicht, doch kommt die erstere Bezeichnung im Handel viel vor und beide können als die bedeutsamste Kennzeichnung zweier großen Papageiengruppen gelten. (S. auch Papageien.)

Sittingbourne (spr. -börn), Stadt in der engl. Grafschaft Kent, Station der Eisenbahn London-Chatham-Dover, die hier nach Sheerneß abzweigt, hat (1891) 8302 E., Ziegeleien, Papier-, Korn- und Ölmühlen.

Sittlichkeitsverbrechen und Sittlichkeitsvergehen, strafbare Handlungen, welche durch unerlaubte Befriedigung des Geschlechtstriebes, Anreizung der Sinnlichkeit, Vermittelung unerlaubten Geschlechtsverkehrs, Verletzung der Schamhaftigkeit begangen werden. Onanie, auch gemeinschaftlich begangen, wird nicht bestraft. Im übrigen wird das Sittlichkeitsverbrechen teils von einer Person, an einer andern oder an einem Tier begangen, wie die Notzucht, die Sodomie, teils von zwei Personen gemeinschaftlich, wie der Ehebruch, die Päderastie, die Blutschande. Doch sind auch in diesem Falle nicht immer beide Personen, wennschon bei einer gemeinschaftlichen unsittlichen Handlung beteiligt, strafbar, z. B. wenn der eine Teil noch nicht strafmündig ist. Aus naheliegenden Gründen bleiben Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie wegen Blutschande straflos, wenn sie noch nicht das 18. Lebensjahr erreicht haben, ebenso das noch nicht 16 J. alte Mädchen, welches zum Beischlaf verführt ist. (S. auch Unzucht.)

Sittlichkeitsvereine, Deutsche, Vereine, die gegen die Unsittlichkeit in allen Ständen, die Prostitution, die Unzucht in Schriften und Bildern