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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Tallien

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Tallien

kurzer Unterbrechung bis Ende 1792, wo ihn die Anklage intimer Verbindungen mit Ludwig XVI. traf und von Frankreich ausschloß. Auch in England 1794 nicht mehr geduldet, ging er nach Nordamerika, dann nach Hamburg. 1796 erhielt er die Erlaubnis, nach Paris zurückzukehren, und bald gelang es ihm, besonders durch den Einfluß der Madame de Staël, sich mit Barras so eng zu verbinden, daß ihm dieser im Juli 1797 das Ministerium des Äußern gab. Mit sicherm Instinkt folgte er alsbald dem aufsteigenden Gestirn Bonapartes, dem er die Revolution vom 18. Brumaire (9. Nov. 1799) vollbringen half. Er leitete die Unterhandlungen, die zu den Friedensschlüssen von Lunéville und Amiens führten, und trug 1802 viel zur Abschließung des Konkordats bei, wofür ihn der Papst von den geistlichen Weihen entband, so daß er sein schon seit längerer Zeit bestehendes Verhältnis mit einer Witwe Grant durch die Ehe legitimieren konnte.

Nach Errichtung des Kaiserthrons 1804 erhielt er die Würde eines Oberkammerherrn, 1805 schloß er den Frieden zu Preßburg mit Österreich. Nachdem T. 5. Juni 1806 zum Fürsten von Benevent erhoben war, folgte er dem Kaiser in den preuß.-russ. Krieg. Um diese Zeit drang er mehr als je in Napoleon, den allgemeinen Frieden durch ein Bündnis mit Österreich und England zu sichern; Napoleon hingegen neigte zu Rußland. Infolge dieses Zwiespalts mußte T. nach dem Frieden zu Tilsit, 8. Aug. 1807, den Ministerposten niederlegen und ward dafür zum Reichsvicegroßwahlherrn (Vice-grand-électeur) ernannt. Seitdem wurde T.s Salon der Sammelplatz der Mißvergnügten. 1808 begleitete er den Kaiser auf den Fürstenkongreß nach Erfurt, frondierte hier schon im geheimen, fiel dann im Jan. 1809 ganz in Ungnade und zog sich auf sein Landgut bei Valençay zurück. Seitdem begann er mehr und mehr sein Augenmerk auf die Bourbons zu richten. Vergebens riet er, als ihn Napoleon nach der Schlacht bei Leipzig wieder zu sich berief, zum Frieden. Nach dem Einzuge der Verbündeten in Paris 1814 arbeitete er eifrig an der Wiedereinsetzung der Bourbons. Er bemächtigte sich des Senats, bewirkte die Absetzung Napoleons, die Proklamation Ludwigs XVIII. und brachte eine Provisorische Regierung zu stande, an deren Spitze er selbst trat. Ludwig XVIII. erhob T. zum Oberkammerherrn und zum Minister des Auswärtigen, in welcher Eigenschaft er sich auf den Kongreß nach Wien begab, wo er eine Verbindung Frankreichs mit Österreich und England gegen Rußland und Preußen anbahnte. Die Rückkehr Napoleons schlug die Zerwürfnisse nieder, die durch seine geschickte Hand zwischen den siegreichen Mächten genährt wurden. Napoleon nahm T. von der Amnestie vom 12. März 1815 aus und verfügte die Konfiskation seiner Güter; T. hingegen betrieb die Ächtung des Kaisers durch die verbündeten Mächte. Nach der zweiten Restauration übernahm er abermals die auswärtigen Angelegenheiten zugleich mit der Präsidentschaft des Ministeriums. Vergeblich versuchte er die härtern Bedingungen des zweiten Pariser Friedens zu mildern. Dieser Mißerfolg und die royalistische Reaktion brachten ihn im September um sein Ministerium. Das Fürstentum Benevent fiel jetzt an den Kirchenstaat zurück; dafür verlieh der König beider Sicilien T. den Titel eines Herzogs von Dino, 2. Dez. 1817. In Frankreich wurde er zum erblichen Pair und 31. Aug. 1817 zum Herzog von T. ernannt; auch ward ihm gestattet, da er kinderlos war, diese Würden auf seinen Neffen zu übertragen.

Nach der Thronbesteigung Karls X. zog T. sich nach Valençay zurück. Vor den Ereignissen der Julirevolution war er für die Orléans thätig; auf seinem Schlosse wurde ein Journal gegründet, das ihren Interessen dienen sollte. Nach dem Losbruch der Bewegung riet er Ludwig Philipp durch dessen Schwester Adelaïde zur Annahme der Regentschaft zunächst als Generalstatthalter. T. ging im Sept. 1830 als franz. Botschafter nach London und vermittelte hier eine friedliche Verständigung der Großmächte über Belgien. Der Abschluß der Quadrupelallianz vom 22. April 1834 zwischen Frankreich, Großbritannien, Spanien und Portugal, die das konstitutionelle Princip in Westeuropa schützen sollte, war sein letztes Werk. Er ließ sich 1835 aus London abberufen und zog sich wieder nach Valençay zurück. T. starb 17. Mai 1838 zu Paris. Die "Mémoires du prince de T." (5 Bde., Par. 1891; deutsch, 5 Bde., Köln 1891-92) gab der Herzog von Broglie heraus. Die "Extraits des Mémoires du prince T." (2 Bde., Par. 1838) sind unecht. Pallain veröffentlichte die "Correspondance inédite du prince de T. et du roi Louis XVIII pendant le Congrès de Vienne" (Par. 1881; deutsch Lpz. 1881), die "Correspondance diplomatique de T." (2 Bde., Par. 1889-90), Bertrand die "Ambassade de T. à Londres, 1830-34" (2 Bde., ebd. 1891), "Lettres inédites de T. à Napoléon, 1800-9" (ebd. 1889), die Gräfin Mirabeau "Le Prince de T. et la maison d'Orléans. Lettres du roi Louis-Philippe, de Mademoiselle Adelaïde et du prince de T." (ebd. 1890). Andere Briefe T.s sind in der "Revue d'histoire diplomatique" (1887, 1890, 1892) und im "Correspondant" (1893) erschienen. - Vgl. Mignet, Notice sur T. (Par. 1838); Sainte-Beuve, Talleyrand (in den "Nouveaux lundis", Bd. 12, ebd. 1872); Bulwer, Historical characters (Bd. 1: Talleyrand, Lond. 1867; deutsch Lpz. 1871); Pichot, Souvenirs intimes sur T. (Par. 1870); Fournier, Talleyrand (in der "Deutschen Rundschau", 1888); Lady Blennerhassett, Talleyrand (Berl. 1894).

Tallien (spr. -lĭäng), Jean Lambert, franz. Revolutionär, geb. 1769 zu Paris, ward Notar, dann Journalist und gab 1791 im Maratschen Stil den "Ami du Citoyen" heraus. Am 10. Aug. 1792 wurde er Sekretär des revolutionären Gemeinderats, nahm teil an den Septembermorden und wurde in den Nationalkonvent gewählt, wo er im Prozeß des Königs auf Tod ohne Aufschub und Appellation drang. Im Frühling 1793 erhielt er eine Sendung in die gegen den Konvent empörten Departements des Westens, wo er gegen alle Verdächtigen aufs ärgste wütete. In Bordeaux lernte er Ende 1793 Madame de Fontenay, spätere Fürstin Chimay (s. d.), kennen, die er befreite. Seitdem führte er die blutigen Dekrete des Konvents weniger streng aus und wurde deshalb nach Paris zurückgerufen. Robespierre ließ ihn aus dem Jakobinerklub stoßen, weshalb T. auf dessen Sturz sann. Er war es, der 9. Thermidor (27. Juli 1794) den Angriff im Konvent eröffnete und den Sieg über Robespierre herbeiführte. Nach der Katastrophe vermählte er sich mit Madame de Fontenay und erlangte als das Haupt der sog. Thermidoristen großen Einfluß. Zum Präsidenten des Wohlfahrtsausschusses gewählt, setzte er viele Gefangene in Freiheit, lähmte die