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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Tirard - Tiro

Tirard (spr. -rahr), Pierre Emanuel, franz. Politiker, geb. 27. Sept. 1827 zu Genf, lernte die Goldarbeiterkunst und gründete 1851 ein Exportgeschäft in Paris. Nach dem Sturze des zweiten Kaiserreichs (Sept. 1870) wurde er Maire des sechsten Arrondissements von Paris und wirkte eifrig für die radikale Partei. Auch schloß er sich anfangs dem Aufstand der Commune an, ging aber später nach Versailles, wo er zwischen der Nationalversammlung und der Commune zu vermitteln suchte. Er wurde 1871 Mitglied der Nationalversammlung, 1876 zum Deputierten erwählt und schloß sich den radikalen Republikanern an; 4. März 1879 wurde er Minister für Handel und Ackerbau, 21. Febr. 1883 Minister der Finanzen und Senator. Mit dem Ministerium Ferry nahm er 31. März 1885 seine Entlassung. 1887 wurde er Ministerpräsident, bis ihn April 1888 Floquet ablöste, doch erhielt er nach dessen Sturz, 22. Febr. 1889, neuerdings die Präsidentschaft des Kabinetts. Die Gegnerschaft der Hochschutzzöllner und ein Zwist mit Constans brachten ihn Mitte März 1890 zu Fall. Am 14. Dez. 1892 übernahm er an Stelle Rouviers das Finanzministerium im Kabinett Ribot, trat aber mit diesem 4. April 1893 zurück. Er starb 4. Nov. 1893 in Paris.

Tiraspól. 1) Kreis im westl. Teil des russ. Gouvernements Cherson, östlich am Unterlauf des Dnjestr, hat 7186,5 qkm, 180312 E., darunter viele deutsche Kolonisten, wie Glücksthal mit 2730 E. und Neudorf mit 2627 E.; reichlichen Getreide-, Flachs-, Tabak-, auch Obst- und Weinbau, Viehzucht, 9 Gerbereien und 12 Talgschmelzereien. – 2) Kreisstadt im Kreis T., links am Dnjestr und an der Linie Rasdelnaja-T.-Pruth der Russischen Südwesteisenbahn, hat (1897) 27585 E., darunter über 5000 Juden, 5 Kirchen, 2 Synagogen, Buchdruckerei, Buchhandlung, Stadtbank, Flußhafen; bedeutenden Garten- und Tabakbau, 4 Fabriken, Handel.

Tiraß (frz. tirasse), Decknetz zum Fang von Wildgeflügel.

Tirebŏli, Tarabulus, Stadt im türk. Wilajet Trapezunt in Kleinasien, 80 km westlich von Trapezunt, an der Mündung des Charschut-tschai ins Schwarze Meer, ist Hauptort eines Kreises und hat 2‒3000 E., 4 Moscheen, eine griech. Kirche und eine verfallene Feste. T. hieß im Altertum Tripolis und war milesische Pflanzstadt.

Tiree (spr. -rih), bisweilen Tyree, zu den innern Hebriden (s. d. und Karte: Schottland) und zur schott. Grafschaft Argyll gehörige Insel, durch die Tiree-Passage von Mull getrennt, steigt an der Südspitze im Ben-Hynish zu 140 m auf, ist sonst meist eben, reich an kleinen Seen und zählt 2449 E. auf 76,6 qkm, einschließlich der 18 km südwestlich gelegenen Skerryvore-Felsengruppe mit Leuchtturm.

Tirefond (tire-fond, frz., spr. tir’fóng), Instrument zur Trepanation (s. d.); ferner eine Holzschraube beim Eisenbahnbau (s. d. nebst Textfigur 10).

Tireh, im Altertum Tyrrha in Lydien, Stadt im türk. Wilajet Aidin in Kleinasien, Sandschak Smyrna, links nahe dem Kütschük-Menderes (Kaystros), am Nordfuße des Dschuma-Dagh (Messogis), an einer Zweigbahn der von der Küste nach Ödemisch führenden Bahn, hat etwa 20000 E.; Teppichfabrikation, Baumwollweberei und Handel.

Tiresias, s. Teiresias.

Tirgu Ocna, Stadt in Rumänien, s. Ocna.

Tirhala, Stadt in Thessalien, s. Trikala.

Tirlemont (spr. tirl’móng), belg. Stadt, s. Tienen.

Tirnau (Tyrnau), ungar. Nagy-Szombat, slaw. Trnava, Stadt mit geordnetem Magistrat, im ungar. Komitat Preßburg, bis 1876 königl. Freistadt, an der Trnava und den Linien Preßburg-Freistadtl-Leopoldstadt und Szered-T. (15 km) der Ungar. Staatsbahnen, Sitz eines Kollegiatkapitels des Erzbistums Gran und eines Generalvikariats, hat (1890) 11500 meist slowak. kath. E. (3154 Deutsche, 1625 Magyaren), darunter 613 Evangelische und 1558 Israeliten, in Garnison ein Bataillon des 48. Infanterieregiments «Erzherzog Ernst» und eine Eskadron des 5. Husarenregiments «Graf Radetzky», 9 kath., eine evang., eine griech. Kirche, zwei Synagogen, Jesuiten- und Franziskanerkloster, Kloster der Ursulinerinnen mit Erziehungsanstalt für Mädchen, erzbischöfl. Obergymnasium und Konvikt, kath. Lehrerbildungsanstalt, Waisenhaus, Militärirren- und Invalidenhaus, Komitatskrankenhaus; Essig-, Malz- und Zuckerfabrikation, Weinbau sowie beträchtlichen Handel, besonders mit Vieh und Getreide. T. ist eine sehr alte Stadt, die ihre Erhebung besonders der Böhmenkönigin Constantia, der Tochter Belas Ⅲ., verdankt. Unter Bela Ⅳ. wurde sie zur königl. Freistadt erhoben. Der Primas Nik. Oláh legte 1554 den Grund zu der Lehranstalt, die durch die Freigebigkeit des Kardinals Peter Pázmán zur Universität erhoben, 1777 von Maria Theresia nach Ofen und 1783 von Joseph Ⅱ. nach. Pest verlegt wurde. Von 1543 bis 1820 hatte das Graner Erzdomkapitel seinen Sitz in T., wo auch der Erzbischof von Gran und Fürst-Primas von Ungarn zeitweilig residierte.

Tirnŏva, Trnova, Trnovo, Hauptort eines Distrikts im Fürstentum Bulgarien, in romantischer Gegend, an den felsigen Abhängen des Jantrathales in den nördl. Vorhöhen des Balkans, an einem strategisch wichtigen Wegeknotenpunkt gelegen, wo sich einerseits die Straßen von den Donaupaßengen Sištov und Rustschuk vereinigen, andererseits die wichtigen Balkanstraßen über den Schipkapaß sowie über Elena nach Slivno ausgehen, zählt (1893) 12858 E., ist Sitz eines Metropoliten, hat im nahen Kloster Ljaskovec eine theol. Schule und besaß früher bedeutende Industrie (Weberei), die aber jetzt zurückgeht. Der Handel ist noch immer wichtig. Eine Bahn nach Rustschuk ist im Bau. – T., das im 9. Jahrh. zuerst erwähnt wird, war 1186‒1393 Hauptstadt des Bulgarischen Reichs, Krönungsort der bulgar. Könige und Sitz eines bulgar. Erzbischofs, seit 1235 der des bulgar. Patriarchen und wurde 1393 von den Türken genommen. In T. tagte 1879 die konstituierende Notabelnversammlung, die die neue Verfassung des Fürstentums Bulgarien beriet, sowie die große Nationalversammlung, die den Prinzen Alexander von Battenberg 29. April 1879 zum Fürsten wählte. (S. Bulgarien, Geschichte.)

Tirnstein, soviel wie Dürnstein (s. d.).

Tiro (lat.), ein junger Soldat, Rekrut; dann jeder Anfänger, Neuling in Kunst und Wissenschaft; Tirocinĭum, der erste Soldatendienst, die erste Probe in etwas.

Tiro, Marcus Tullius, röm. Gelehrter, ein Freigelassener und Freund Ciceros, der dem Redner bei seinen litterar. Arbeiten vielfach zur Hand ging und ihn um Jahrzehnte überlebte. Nach dessen Tode beschrieb er das Leben seines Gönners, um sein Andenken zu verteidigen, ein Werk, das Plutarch in seiner erhaltenen Biographie benutzt hat. Auch Ciceros Reden und Briefe gab T. heraus; die Briefsammlung ist, freilich nicht vollständig, erhalten.