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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Tuberkulose

zunisten. Vielfach wird angenommen, daß es eine besondere Körperbeschaffenheit, den sog. phthisischen Habitus, giebt, der zu T. disponiere; sein Merkmal ist hauptsächlich ein langer, schmaler Brustkasten. Alles, was den Körper schwächt und blutarm macht, vermindert auch die Widerstandsfähigkeit gegen das tuberkulöse Gift; auch das Einatmen von Staub, dem manche Gewerke ausgesetzt sind, begünstigt die Entwicklung von T. (S. Staubinhalationskrankheiten.) Von besonderer Wichtigkeit ist weiterhin, daß die Anlage zur T. oft erblich ist. (S. Erbliche Krankheiten.) Übrigens bilden die Atmungsorgane nicht den einzigen Weg, auf dem die Tuberkelbacillen in den Körper eindringen; auch vom Darmkanal aus kann die Infektion stattfinden; gegen diese Art von Infektion sind besonders kleine Kinder sehr empfänglich. In dieser Beziehung schließt namentlich der Genuß des Fleisches und der Milch perlsüchtiger (tuberkulöser) Rinder die Gefahr einer Übertragung der T. in sich. (S. unten, S. 1040 b fg.) Wiederholt hat man auch die Infektion der T. von kleinen Schrunden und Verletzungen der Haut aus erfolgen sehen.

Die Erscheinungen der T. sind je nach dem Ort der ersten Infektion und nach der weitern Ausbreitung des tuberkulösen Giftes außerordentlich mannigfach. Mitunter wird das Tuberkelgift durch die Blut- und Säftemasse so schnell über den ganzen Körper verbreitet, daß sich fast in allen Organen in kürzester Zeit zahlreiche Tuberkeln entwickeln und unter hohem Fieber und schweren typhusähnlichen Allgemeinerscheinungen der Tod erfolgt; man pflegt solche Fälle als akute allgemeine Miliartuberkulose zu bezeichnen. In den allermeisten Fällen tritt die T. zuerst in den Lungen auf (Lungentuberkulose), indem entweder binnen wenigen Wochen oder Monaten die Lungen durch tuberkulöse Kavernen zerstört werden (akute Lungentuberkulose), oder der krankhafte Prozeß in den Lungen einen mehr schleichenden, über Jahre, selbst Jahrzehnte sich erstreckenden Verlauf nimmt (chronische Lungentuberkulose). Die Symptome beider Formen gleichen denen der Lungenschwindsucht (s. d.). Über die T. der Luftröhren- und Kehlkopfschleimhaut s. Kehlkopf(-Krankheiten); über die Darmtuberkulose s. Darmschwindsucht; über die T. der Gehirnhäute s. Gehirnhautentzündung; über die T. der Knochen s. Knochenfraß; über die T. der Gelenkschleimhäute s. Gliedschwamm. Auch die Erscheinungen der Skrofulose (s. d.) werden großenteils durch tuberkulöse Prozesse bewirkt.

Hinsichtlich der Verhütung der T. zählt eine sorgfältige Abhärtung und Kräftigung des Körpers durch gute Ernährung, frische Luft, kalte Waschungen und Bäder zu den besten Schutzmitteln gegen die T. (s. Abhärtung). Vor allem aber ist die Gelegenheit zur Infektion möglichst zu beschränken. Cornet hat nachgewiesen, daß Tuberkelbacillen in der freien Luft überhaupt nicht vorkommen, und in Wohnungsluft nur da, wo tuberkulöse Personen ihren Auswurf auf den Boden oder ins Taschentuch spucken, wo er dann antrocknet und mit dem Staub leicht fortgeführt werden kann. Deshalb soll jeder Tuberkulöse den Auswurf in einen mit Carbollösung (nicht mit stäubendem Sand) gefüllten Spucknapf, auf Reisen und Spaziergängen in ein mitgeführtes Fläschchen (z. B. das Dettweilersche Spuckfläschchen) entleeren. Der Auswurf ist durch Kochen oder 5prozentige Carbolsäure zu desinfizieren; auch erheischen Betten, Wäsche u. s. w. des Kranken die peinlichste Desinfektion, ehe sie wieder von Gesunden benutzt werden können (s. Krankenwäsche). Räume, in denen sich Phthisiker aufhalten, sind stets naß ohne Staubentwicklung zu reinigen. Man vermeide zu intimen Verkehr und insbesondere das Zusammenschlafen mit Phthisikern. Verkauf von Nahrungsmitteln ist Phthisikern möglichst zu verbieten. Der Möglichkeit einer Infektion durch Milch oder Fleisch läßt sich durch gründliches Kochen derselben sicher vorbeugen. In Nordamerika, wo die T. eine ungeheure Verbreitung gewonnen hat, beginnt man jetzt mit einer staatlich geregelten Prophylaxe, zu der vor allem auch eine sachgemäße, gemeinverständliche Belehrung des Volks durch gratis verteilte Anweisungen gehört.

Bei der Behandlung der ausgebrochenen T. ist das Hauptgewicht auf ein sorgsames diätetisches Verhalten und eine zweckmäßige Regelung der Lebensweise des Kranken zu legen, da bis jetzt kein medikamentöses Mittel bekannt ist, welches das eingedrungene Tuberkelgift unbedingt unwirksam zu machen im stande ist, wenn auch die neuern Kochschen Präparate des Tuberkulins (s. d.) größern Erfolg hierin versprechen. Bei der T. sind von schädlichstem Einfluß vor allem Erkältungen, Excesse jedweder Art, Gemütserregungen und schlechte Ernährung. Deshalb sollen sich solche Kranke vor dem Einatmen zu kalter Luft, namentlich kalter feuchter Luft hüten, in freier Luft bei kalter Witterung entweder einen Respirator tragen oder wenigstens den Mund geschlossen halten, auch die Brust stets (und namentlich nachts im Bette) warm bekleidet halten (wollene Leibjäckchen). Es ist zu empfehlen, den Winter in einem milden Klima oder in einem hoch gelegenen geschützten Gebirgsort zu verbringen (klimatische Kurorte). Excesse schaden den Kranken teils durch die (Lungenhyperämie bedingende) Aufregung, teils durch die Erschöpfung, die sie zurücklassen. Ein Tuberkulöser hat nichts zuzusetzen und muß mit seinem Körpervermögen sparsam umgehen; daher kommt es, daß Schwindsüchtige, die wenig auf die Ernährung ihres Körpers verwenden, früher und leichter zu Grunde gehen als solche, die sich gut nähren, und daß durch die Schwangerschaft der Fortschritt der T. ungemein befördert wird. Auch beschleunigen tuberkulöse Männer durch die Heirat häufig unzweifelhaft ihren Tod. Wenn das tuberkulöse Organ chirurg. Eingriffen zugänglich ist, so ist eine energische örtliche Behandlung (Entfernung der tuberkulösen Herde durch Auskratzen, Ausschneiden, Resektion u. dgl.) am Platze. Um die Verbreitung der T. möglichst zu verhindern, strebt man in neuerer Zeit immer mehr die Errichtung besonderer Heilstätten für T. an. (S. Volksheilstätten, Bd. 17.)

Litteratur. Villemin, Études sur la tuberculose (Par. 1868); Buhl, Lungenentzündung, T. und Schwindsucht (2. Aufl., Münch. 1873); Cohnheim, Die T. vom Standpunkte der Infektionslehre (2. Aufl., Lpz. 1881); Rob. Koch, Die Ätiologie der T. (in der Berliner «Klinischen Wochenschrift», 1882); Pütz, Die Beziehung der T. des Menschen zur T. der Tiere (Stuttg. 1883); Baumgarten, Über Tuberkel und T. (Berl. 1885); Predöhl, Geschichte der T. (Hamb. 1888); Cornet, Wie schützt man sich gegen die Schwindsucht (2. Aufl., ebd. 1890); Leray, Le bacille tuberculeux chez l’homme et dans la série animale (Par. 1897).

Die T. der Haustiere ist mit der des Menschen in ihrem Wesen völlig identisch. Koch gelang 1882 der Nachweis, daß die T. des Menschen und der