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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ungarische Litteratur

litterarisch in gleicher Richtung; ältere polit. Journale, wie «Hirnök», «Nemzeti Ujság», «Jelenkor» u. a., trugen ihrerseits bedeutend zur Förderung des litterar. Lebens bei. Nächst dieser polit. Tagespresse entstanden auch eigentliche litterar. und schöngeistige Wochenschriften, welche den Litteratur- und Sprachschatz ungemein bereicherten. Ein fruchtbarer Nebenzweig der Tagespresse waren gleichzeitig die polit. und litterar. Almanache und Taschenbücher, die die ungar. Lektüre auch bei den Frauen einführten. Aus der Zeit vor 1848 sind zunächst die staatswissenschaftlichen und Reisewerke von Eötvös, Széchenyi, Szalay, Trefort, Szemere, Pulszky, die histor. Arbeiten von Stephan und Mich. Horváth, Szalay, Jászay, die sprachwissenschaftlichen von Fogarassy und Ballagi und die statistischen von Fényes auf dem Gebiete der ernsten Litteratur als beachtenswert hervorzuheben. Die Litteratur der exakten Wissenschaften fristete sich fast ausschließlich aus deutschen, engl. und franz. Übersetzungen und zeichnete sich nur durch die das Verständnis der Wissenschaft mehr hemmende als fördernde Magyarisierung der technischen Ausdrücke aus.

Hingegen wirkte die Anregung, welche der Journalismus der intelligenten Jugend gab, und die Leselust, welche er beim Publikum weckte, sehr wohlthätig. Die an Walter Scott sich anlehnenden Novellen und Romane von Baron Jósika, die mehr nach deutschen Vorbildern gearbeiteten Erzeugnisse von Eötvös, Kemény u. a., die in Suescher Manier gehaltenen Arbeiten von Kuthy, Nagy, Pálffy u. a. haben zwar nur teilweise Originalität und bleibenden Wert, doch bekunden sie immerhin einen bedeutenden künstlerischen Fortschritt und trugen zur Ausbildung der jugendlichen Sprache und zu ihrer Verbreitung sehr viel bei. Origineller und bedeutender sind die gesellschaftlichen Schauspiele von Eötvös, Obernyik u. a., die ernsten Dramen von Gál, Vörösmarty, Czakó, Ladisl. Teleki u. a.; am nationalsten und beliebtesten die Volksschauspiele des überaus fruchtbaren Szigligeti, welcher lange die ungar. Nationalbühne fast ausschließlich beherrschte. Die glänzendste Seite der neuern U. L. bildet jedoch die epische und lyrische Poesie. Von den Gedichten, Liedern, Balladen u. s. w. von Czuczor, Vörösmarty, Bajza, Garay, Vachot, Szász, Erdélyi, Kerényi u. a., welche durch die Übersetzungen von Mailáth, Dur, Stier, Falk, Kertbény, Hartmann und Szarvady auch dem deutschen Publikum teilweise zugänglich gemacht wurden, gehört manches zu dem Vorzüglichsten, was die neuere europ. Litteratur hervorgebracht. Die Palme gebührt auf diesem Gebiete dem genialen Alexander Petöfi (s. d.), der die ungar. Poesie von den ausländischen Vorbildern und dem fremdartigen Inhalt vollständig befreite, sie zur Natur und zur echten Nationalität zurückführte und der an Volkstümlichkeit, Genialität der Erfindung und meisterhafter Handhabung der Sprache überhaupt Ausgezeichnetes geschaffen hat. Tompa, Kol. Tóth, Lisznyai u. s. w. haben Petöfi mit mehr oder weniger Glück nachgeeifert. Joh. Arany, der Meister des Volksepos, übertrifft Petöfi noch an künstlerischer Form. Die von der Kisfaludy-Gesellschaft angeregte und von Joh. Erdélyi bewirkte Sammlung und Herausgabe ungar. Volksdichtungen (3 Bde., Pest 1845‒47, später weitere 3 Bde.) und viele andere Märchensammlungen trugen ebenfalls viel dazu bei, die ungar. Poesie zur Natur und Volkstümlichkeit zurückzuführen.

Die Revolution von 1848 gab dem Journalismus und der polit. Poesie einen mächtigen Anstoß, unterbrach aber im allgemeinen die Entfaltung der jugendlichen Litteratur. Der unglückliche Ausgang schien ihre Blüte vollends zu brechen, da die begabtesten Schriftsteller teils im Kampfe untergingen, wie Petöfi, teils ins Exil wanderten, wie Szemere, Pulszky, Pálffy, Jósika, Gorové, Horváth, Szalay, Teleki u. a., teils die Freiheit verloren, wie Czuczor, Sárosy, teils aus Mißmut sich in Schweigen zurückzogen, wie Vörösmarty und Garay, teils in wirklichen Trübsinn verfielen, wie Alex. Vachot und Bajza. Doch die Zeit hellte die Mißmutigen auf, verschaffte den Gefangenen die Freiheit und gab den Exilierten Gelegenheit, mit heimischem Wesen wieder in Verbindung zu treten. Wieder begann sich reges Leben und Treiben zu entfalten. Zu den bereits genannten Dichtern und Schriftstellern traten hinzu: Tompa, Kol. Tóth, der auch als Kritiker verdiente Paul Gyulai, Karl Szász, Madách u. a.; auf dem Gebiete des Romans Bérczy, Dobsa und besondere M. Jókai. Seit 1867 beherrscht eine neue Generation mehr kosmopolit. Tendenz die Litteratur. Hierher gehören die Lyriker und Epiker Alex. Endrödi, Jos. Kiss, Reviczky, Joh. Vajda, Bartók, Emil Abrányi, St. Móra u. a.; die Dramatiker St. Toldy, Greg. Csiky, Berczik, Korn. Abrányi, Ludw. Dóczy, Eug. Rákosi, Ed. Tóth, Fr. Csepregi u. a.; die Romanschriftsteller Arn. Vértesi, Ludw. Tolnai, F. Herczegh, V. Rákosi u. a.; die meisterhaften Übersetzer Karl Szász, W. Györy, Jul. Varga, Anton Radó, K. Fiók u. a. Großen Aufschwung nahmen in jüngster Zeit alle Zweige der wissenschaftlichen Litteratur. Die Reiselitteratur wird durch Jerney, Egressy, Hoványi, Podmaniczky, ferner durch Graf Eman. Andrássy, Ladisl. Magyar, Xántus, Vámbéry vertreten. Auf publizistischem Gebiete sind die Arbeiten von Csengery, Szalay, Pákh, Eötvös, F. Pulszky, Beksics u. s. w. hervorzuheben. Große Regsamkeit zeigte sich in neuester Zeit auf dem Gebiete der vaterländischen Geschichte. Außer den Werken von Szalay (s. d.) und Michael Horváth (s. d.), die eines europ. Rufs genießen, sind zu nennen: Telekis «Zeitalter der Hunyady», Jászays «Ungarn nach der Schlacht von Mohács», Alex. Szilágyis «Geschichte Siebenbürgens», Salomons «Türkenzeit in Ungarn» und «Die Zrinyi», W. Fraknóis Arbeiten, H. Marczalis «Kaiser Joseph Ⅱ.» sowie die von A. Szilágyi redigierte «Illustrierte Geschichte der ungar. Nation» (10 Bde.) u. s. w. 1866 bildete sich eine eigene Gesellschaft, der «Ungarische historische Verein, zur Beförderung der vaterländischen Geschichtsforschung ^[fehlt: »]. Ethnogr. Interesse haben Baron Prónays «Skizzen aus dem Volksleben in Ungarn» (Pest 1854, mit Zeichnungen), Joh. Hunfalvys «Ungarn und Siebenbürgen» (mit Zeichnungen von Rohbock, Darmst. 1856), Paul Hunfalvys «Ethnographie von Ungarn» (Budapest 1876; deutsch von Schwicker, 1877), in neuester Zeit die ethnolog. und prähistor. Forschungen von B. Munkácsi, L. Réthy, Géza Nagy und die Zeitschrift «Ethnographia» der Ungarischen Ethnographischen Gesellschaft. Neben den Arbeiten von Fényes sind auch die statist. Arbeiten von Joh. Hunfalvy, Konek, Karl Keleti und Körösi sehr anerkennenswert. Über die Geschichte der U. L. schrieb zuerst Toldy (s. d.); ihm folgten P. Gyulai, Z. Beöthy, A. Szilágyi, J.^[József] Bánóczi, G. Heinrich u. a.; eine illustrierte «Ungar. Litteraturgeschichte» gab Z. Beöthy (2 Bde., Budapest 1894‒95) heraus. – Vgl.