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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ungarn (Geschichte)

1222 die Erweiterung seiner Vorrechte durch die Goldene Bulle, die Geistlichkeit 1233 ein günstiges Konkordat. Bélas IV. (1235-70) wohlthätige Reformen wurden durch den Einfall der Mongolen 1241 unterbrochen. Nach dem Abzuge der Horden rief Béla deutsche und ital. Ansiedler in das entvölkerte Land und begünstigte und hob den Bürgerstand, indem er die Anzahl der Freistädte vermehrte. Allein durch die Ernennung seines Sohnes Stephan (1270-72) zum Mitregenten veranlaßte er innere Kämpfe, die auch unter dessen Sohn Ladislaus IV. (1272-90) andauerten und den Verfall des Staates herbeiführten. Mit dem Tode Andreas’ III., der 1290 seinem Bruder Ladislaus gefolgt war, erlosch 1301 die männliche Linie des Arpadischen Stammes.

Nach mehrfachen Thronstreitigkeiten wurde der Herzog Karl Robert von Anjou aus der neapolit. Linie 1307 als König anerkannt, und unter ihm und den Regenten aus seinem Hause erreichte U. eine hohe Macht. Sein Sohn und Nachfolger Ludwig I. (1342-82) erweiterte vorübergehend die Grenzen seines Reichs über die Moldau, Walachei, Bosnien, Serbien und das westl. Bulgarien, entriß den Venetianern Dalmatien und vereinigte Rotrußland mit U. 1370 bestieg er auch den Thron von Polen. Des deutschen Kaisers Sigismund (s. d.) Regierung, der als Schwiegersohn Ludwigs I. die ungar. Krone erhielt, füllten Streitigkeiten mit den Großen des Reichs sowie Kämpfe mit den Türken und Kriege mit den Hussiten (s. d.) aus. Er führte in U. das erste Militärreglement ein und erhob um 1402 die königl. Freistädte zur Reichsstandschaft. Nach Sigismunds Tode ging die ungar. Krone 1438 zum erstenmal an das Haus Habsburg, nämlich an den Herzog Albrecht V. von Österreich (als deutscher König Albrecht II.), über, der mit Elisabeth, Sigismunds Tochter, vermählt war. Er starb indessen schon 1439, und seine schwangere Witwe willigte in eine Verbindung mit dem Jagellonen König Wladislaw von Polen, den die Magnaten zum König von U. erwählten. Die Vermählung zerschlug sich jedoch, als Elisabeth 1440 einen Sohn, den spätern König Ladislaus V. Posthumus, gebar, den ein Teil der Ungarn ebenfalls als König anerkannte, so daß über das Recht der beiden Herrscher innere Streitigkeiten entstanden. Wladislaw fiel 1444 bei Varna gegen die Türken, und nun bestieg Ladislaus Posthumus den Thron. Zum Gubernator des Reichs aber wurde Johann Hunyady (s. d.) gewählt, der mit großem Erfolg die Einfälle der Türken in U. abwehrte. Nach Ladislaus’ frühem Tode wurde 1458 Hunyadys Sohn, Matthias I. (s. d.) Corvinus, zum König von U. gewählt. Diplomat und Feldherr zugleich, demütigte oder beschwichtigte er alle innern und äußern Feinde des Reichs. Namentlich hatte er gegen den Kaiser Friedrich III. und gegen Georg Podiebrad von Böhmen und dessen Nachfolger Wladislaw zu kämpfen, den er zur Abtretung von Schlesien, Mähren und der Lausitz nötigte. Nach Matthias’ Tode (1490) ward der böhm. König Wladislaw auf den ungar. Thron erhoben. Unter seiner und seines Sohnes, Ludwig II., der ihm 1516, folgte, schwachen Regierung führten der Ehrgeiz und die Habsucht der Großen, au deren Spitze Stephan Zápolya und später dessen Sohn Johann standen, im Innern die größte Verwirrung und einen Bauernaufstand, den sog. Kuruczenkrieg unter Georg Dózsa (s. d.), herbei, der 1514 auf das grausamste unterdrückt wurde. Eine Folge dieser Zerrüttung waren wiederholte Einfälle der Türken und die unglückliche Schlacht bei Mohács 1526, die dem König Ludwig II. das Leben kostete und zur Wahl zweier Gegenkönige, des mit Ludwigs Schwester Anna vermählten Ferdinand I. von Österreich und Johann Zápolyas, führte. Mit Unterstützung des Sultans Suleiman II. brachte letzterer 1529 einen großen Teil des Reichs mit der Hauptstadt Ofen in seine Gewalt. Da er aber seinen Gegner nicht zu bezwingen vermochte, schloß er nach zwölfjährigem Kampfe 1538 mit ihm den Frieden von Großwardein, nach dem beide ihren Anteil behalten, jedoch nach Zápolyas Tode gegen eine Entschädigung seiner Nachkommen das Ganze an Ferdinand fallen sollte. Als aber Zápolya 1540 starb, verschafften seine Räte seinem zwei Wochen früher geborenen Sohn Johann Sigismund die Unterstützung des Sultans, der freilich dann Ofen mit dem Gebiete zu beiden Seiten der Donau für sich nahm und dem Knaben und seiner Mutter nur Siebenbürgen und das Land jenseit der Theiß ließ. Da Ferdinand den Westen und Norden U.s und einen kleinen Teil Kroatiens behauptete, so war das Reich in drei Teile zerrissen, von denen der größte dem türk. Sultan gehorchte. Diese Zersplitterung bildete den Keim unaufhörlicher Zwistigkeiten und führte einen fast ununterbrochenen Kriegszustand herbei. Dazu kamen innere Unruhen und Parteikämpfe, die besonders durch die Unbotmäßigkeit des Adels und durch die kirchlichen Verhältnisse veranlaßt wurden. In U. hatte unter dem milden Regiment des Kaisers Maximilian II. (1564-76) die Reformation große Verbreitung gewonnen. Jedoch schon unter seinem Nachfolger Rudolf II. (1576-1612) begann die Verfolgung der Protestanten, die zu einem Aufstande führte, an dessen Spitze sich Stephan Bocskay (s. d.), der Fürst von Siebenbürgen, stellte, der den Kaiser im Frieden zu Wien (1606) zur Abstellung der Beschwerden nötigte. Namentlich aber ließen sich die Kaiser Ferdinand II. (1618-37) und Ferdinand III. (1637-57) die Rekatholisierung U.s angelegen sein, wobei ihnen der Erzbischof von Gran, Pázmány (s. d.), mit unermüdlichem Eifer Beistand leistete. Zwar fanden die Protestanten Beschützer in den Fürsten von Siebenbürgen, Bethlen Gábor (s. d.) und Georg I. Rákóczy (s. d.), von denen letzterer 1645 mit Ferdinand III. den Frieden zu Linz schloß, der U.s religiöse und polit. Freiheit sichern sollte; doch dauerten die Bedrückungen unter Kaiser Leopold I. (1657-1705) fort, was 1667 eine große Adelsverschwörung unter Zrinyi, Wesselenyi, Nadasdy u. a. hervorrief, die jedoch entdeckt winde und mit der Enthauptung der Verschworenen endigte. Gefährlicher war ein Aufstand, der 1678 unter Tököly (s. d.) ausbrach, und der durch die Unterstützung, die die Aufständischen bei dem Sultan fanden, zu einem Kriege mit den Türken führte, in dem jedoch die Kaiserlichen die glänzendsten Erfolge errangen. (S. Osmanisches Reich, Geschichte.) Endlich eroberten Leopolds I. Feldherren Ofen 1686, und der Preßburger Reichstag erkannte 1687 die Erblichkeit der Krone an, während die Pforte im Frieden von Karlowitz 1699 das von ihr besetzte U., mit Ausnahme des Bezirks von Temesvár, nebst Siebenbürgen zurückgab.

Dieser Friede und die Errichtung der Commissio neoacquistica, vor der alle Ansprüche auf die von türk. Botmäßigkeit befreiten Landgüter nachgewiesen werden mußten, veranlaßten jedoch neue Bewegungen, an deren Spitze Franz Rákóczy (s. d.) stand, die