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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Veredelung

Schnittflächen und Ränder des Edelreises denen des Wildlings anliegen. Alle V. müssen, um der Luft und den atmosphärischen Niederschlägen den Zutritt zu entziehen, sorgfältig mit Woll- oder Bastfäden oder mit mit Baumwachs bestrichenen Papierstreifen verbunden werden. Zweck der V. ist die Erhaltung reiner Formen und Varietäten (Spielarten) in ihren charakteristischen Eigentümlichkeiten, Merkmalen u. s. w., soweit dies vermittelst der Vermehrung durch Samen, Ableger, Stecklinge u. s. w. nicht ermöglicht werden kann, wie z. B. bei der Anzucht von Hängebäumen und Obstsorten. Den wissenschaftlich und praktisch festgestellten Einfluß der Unterlage auf das Edelreis und auch umgekehrt benutzt man zur V. schwachwüchsiger Arten auf starkwüchsige und verschafft ihnen die Eigenschaft der letztern, so bei Pavia rubra Poir auf Aesculus carnea Willd.; umgekehrt freilich ist der Erfolg nicht immer so günstig. Durch V. wird auch häufig die Widerstandsfähigkeit einiger zarterer Gehölze und verschiedener Obstsorten gegen hohe Kältegrade gehoben, während sie bei andern vermindert wird; beispielsweise sind nach neuern Erfahrungen auf Rosa laxa Hort. Froebel veredelte Theerosen weniger empfindlich als auf Rosa canina L., weil sie, die entsprechende Eigenschaft der erstern annehmend, ihren Trieb früher beendigen; so ist auch der Pfirsich auf Mandel veredelt empfindlicher als auf Pflaume u. s. w. Ferner ist man in der Lage, durch sorgfältige Auswahl entsprechender Unterlagen nur auf fruchtbarem Boden gedeihende Gehölze auch auf magerm Boden mit Erfolg zu kultivieren, während man in der Obstbaumzucht außer den direkten V. noch die sog. Zwischenveredelungen benutzt, um schwach treibende, zur Stammbildung sich nicht eignende Sorten auch hochstämmig veredeln zu können.

Die V. kann nach Maßgabe der verschiedenen Methoden im allgemeinen zu jeder Zeit vorgenommen werden; man unterscheidet: 1) Frühjahrsveredelung, bei Beginn der Saftcirkulation (März bis Mai); 2) Sommerveredelung, während des Johannistriebes (Juli und August); 3) die weniger gebräuchliche Herbstveredelung, bei der die aufgesetzten Edelreiser zu lange Zeit ohne Saftverbindung bleiben und demzufolge leichter dem Verdorren preisgegeben sind; endlich 4) die in geschlossenen Räumen auszuführende Hand- oder Topf-Winterveredelung (Dezember bis Februar).

Die Veredelungsmethoden sind: 1) Okulieren, Okulation oder Äugeln (s. Tafel: Veredelungsmethoden, Fig. 1-6), die denkbar günstigste V., da die dem Wildling zugefügte Verletzung eine äußerst geringe ist und die Vernarbung derselben, selbst wenn die V. fehlschlägt, sehr schnell vor sich geht. Man überträgt schildförmig vom Edelreise getrennte Augen.(Fig. 1) auf einen Wildling, indem man diesen mittels des Okuliermessers (s. Tafel: Gartengeräte, Fig. 7) mit einem bis auf den Splint gehenden ┬"-förmigen Einschnitt versieht, nach Lösung der Rinde (s. Tafel: Veredelungsmethoden, Fig. 2) das Auge so einschiebt, daß der Querschnitt des Schildchens genau mit dem entsprechenden des Wildlings zusammenpaßt und dann, das Auge frei lassend, verbindet (Fig. 3). Das auch angewendete Okulieren in umgekehrter Form, d. h. mit ┴-förmigem Einschnitt (Fig. 4) und entsprechend zugeschnittenem Augenschilde (Fig. 5), ist bei allen starkmarkigen Unterlagen (Rosen) weniger empfehlenswert, weil bei etwaigem Windbruch oder sonstigen widrigen Verhältnissen das Edelauge mit verloren geht. Zu unterscheiden ist a. das Okulieren aufs treibende Auge im Frühjahr, weil der Trieb noch in demselben Sommer zur Entwicklung gelangt; man wendet es an bei fast allen feinern Gehölzen und Rosen, einerseits damit deren Triebe noch vor Eintritt des Winters vollständig erstarken, andererseits um Zeit zu gewinnen; b. das Okulieren aufs schlafende Auge, weil der Trieb sich erst im kommenden Frühjahr entwickelt; man benutzt es außer bei vielen Gehölzen, wie Acer, Aesculus, Castanea, Crateagus, Gleditschia, Mespilus, Sorbus, Syringa u. a., fast ausnahmslos bei Obstbäumen. In beiden Fällen ist erste Bedingung, daß Wildling und Edelreis gut im Safte sich befinden und daß, sofern dies nicht der Fall, die Saftcirkulation durch reichliches Wässern vor der V. thunlichst gefördert wird. Löst nur der Wildling, nicht aber das Edelreis, dann beläßt man den einzusetzenden Augen etwas Holz (Fig. 6a u. b); löst jedoch weder das eine noch das andere, dann wendet man das namentlich zur Ausfüllung etwa am Spalierobst entstandener Lücken gebräuchliche Anäugeln an. Das auch in diesem Falle mit einem dünnen Holzschildchen versehene Auge wird an den Ausschnitt des Wildlings angelegt und sogleich verbunden. Das Anäugeln kann bei der Frühjahrs- und Sommerveredelung benutzt werden.

2) Kopulieren, Kopulation oder Schäften, zu Frühjahrs- und Winterveredelung sehr beliebt und, gleich der vorigen Methode, nur geringe Verletzungen verursachend. Wildling und Edelreis müssen von thunlichst gleicher Stärke sein, niemals aber letzteres stärker als ersterer; beide schneidet man mit dem Kopuliermesser (s. Tafel: Gartengeräte, Fig. 8) schräg zu, so daß die Schnittflächen gleiche Längen erhalten (s. Tafel: Veredelungsmethoden, Fig. 7 u. 8), achtet darauf, daß Rinde auf Rinde, bei geringerer Stärke des Edelreises wenigstens auf einer Seite, genau aufeinander paßt und verbindet sie dann. Ähnlich ist das Anschäften (Fig. 9 u. 10), auch Anplatten genannt, und das Sattelschäften (einfach und doppelt, Fig. 11 -13); beide Arten werden bei alten zu kopulierenden Stämmen angewandt, die bedeutend stärker als die Edelreiser sind. Diese werden ebenso wie beim einfachen Kopulieren und nur beim Sattelschäften außerdem noch sattel- oder keilförmig zugeschnitten, so daß sie ähnlichen Abschnitten an der Unterlage entsprechen. Das Kopulieren ist bei zu stark vorgeschrittener Vegetation erfolglos und sollte stets beendigt sein, wenn der erste Trieb beginnt.

3) Das Pfropfen und zwar zunächst a. in die Rinde (Pelzen) findet man meist in der Gefolgschaft der Okulation aufs schlafende Auge, indem alle im Herbst durch Okulation nicht gewachsenen V. nunmehr im kommenden Frühjahr durch Pfropfen in die Rinde noch veredelt werden, wodurch dem Gärtner die Möglichkeit an die Hand gegeben ist, die Veredelungsquartiere thunlichst zu vervollständigen, somit einem Ausfall an verkaufsfähigen Pflanzen innerhalb Jahresfrist vorzubeugen. Das Pfropfen in die Rinde wird demnach, gleich seinen nachbenannten verwandten Methoden, im zeitigen Frühjahr, sobald der Saft sich regt, vorgenommen, hat jedoch vor der Kopulation den Vorzug, selbst noch bei etwas vorgeschrittener Vegetation ausgeführt werden zu können; vor allem aber ist das Pfropfen in die Rinde weniger zeitraubend als alle