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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Versicherungszwang - Versöhnung

Versicherungszwang, s. Arbeiterversicherung und Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz.

Versiegelung, der behördliche Akt, durch welchen die Beschlagnahme von Gegenständen und damit deren Sperre nach außen erkennbar gemacht wird. Die V. kommt namentlich bei Haussuchungen, bei gerichtlicher Verwahrung von Verlassenschaften, Konkurs und Pfändung vor. Die Verletzung dieser Siegel wird nach §. 136 des Reichsstrafgesetzbuchs mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft (zuständig: Strafkammer).

Versiert (lat.), in etwas gewandt, bewandert.

Versĭfex (neulat.), Versemacher, Reimschmied.

Versifizieren (lat.), in Verse bringen, Verse machen; Versifikation, Versbildung, Versbau.

Versilbern, das Überziehen von Metallen sowie von Holz, Porzellan, Glas u. s. w. mit Silber. Das V. von Holzwerk (Rahmen u. s. w.) ist sehr gebräuchlich, um durch nachfolgendes Auftragen eines gelb gefärbten Firnisses (Goldfirnis) auf wohlfeile Weise eine Vergoldung nachzuahmen. Sie geschieht mittels Blattsilber, d. h. äußerst dünn geschlagener Silberblättchen, in derselben Art wie das Vergolden (s. d.) mit Blattgold. Das V. der Metalle kann ebenso wie das Vergolden geschehen durch Plattieren (s. d.), durch Feuer mittels Silberamalgams, auf kaltem, nassem und galvanischem Wege. Zum kalten V. werden die sorgfältig gereinigten Metallflächen, z. B. Kreisteilungen, Thermometerskalen, mit einem mit Wasser angefeuchteten Gemenge von je 3 Teilen Chlorsilber und Kochsalz, 2 Teilen Schlämmkreide und 6 Teilen Pottasche mittels eines Korkes angerieben. Bei dem nassen V., dem Silbersud, wird das mit Salpetersäure angebeizte Metall in der Lösung eines Gemenges von 1 Teil Chlorsilber, 16 Teilen Kochsalz und 16 Teilen Weinstein erwärmt. Bei dem galvanischen V. wird eine Lösung von Cyansilber in Cyankalium verwendet; an der Kathode befindet sich der zu versilbernde Gegenstand, an der Anode ein Silberblech. Um die Herstellung versilberter Tafelgeräte haben sich Christofle & Co. (s. d.) und die Fabrik von Elkington & Co. in Birmingham verdient gemacht. Für die galvanisch versilberten Neusilbergeräte sind die Bezeichnungen Christofle, Alfénide, Alpacca oder Chinasilber (s. Alfénide) üblich. In beschränkterer Weise als auf Neusilber wird das V. auch auf Britanniametall (auf Platten und Kannen) vorgenommen.

Versi libĕri (ital.), s. Versi sciolti.

Version (lat.), Wendung; Lesart, Bericht; Übersetzung.

Versi sciolti (spr. schol-) oder Versi liberi (nämlich dalla rima), in der ital. Poesie reimlose Verse, die vers blancs der Franzosen, die blanc verses der Engländer. Sie kommen erst ziemlich spät in den neuern Litteraturen vor, einige ital. Versuche finden sich allerdings schon im 14., aber erst seit dem Anfang des 16. Jahrh. werden sie, und zwar als bewußte Nachahmung der antiken Poesie, häufiger und für umfangreichere Werke gebraucht, von Trissino in der Tragödie «Sofonisba» und dem Epos «Italia liberata da Goti» und dann von vielen andern für die Bühne und das Lehrgedicht. Ariosts Komödien gaben das Beispiel der «sciolti sdruccioli», die auf ein Wort mit Ton auf der drittletzten Silbe ausgehen. Jetzt bedient man sich der Sciolti und zwar nur elfsilbiger Verse, während früher auch sieben- und fünfsilbige eingemischt wurden, allgemein in der dramat. und didaktischen Poesie.

Verskunst, s. Metrik.

Versmaß, s. Vers.

Versmold, Stadt im Kreis Halle i. W. des preuß. Reg.-Bez. Minden, hat (1895) 1509 E., darunter 50 Katholiken und 37 Israeliten, Post, Telegraph, eine evang. und kath. Kirche, Synagoge, Sparkasse; Leinweberei, Segeltuchfabrik, Ziegeleien, Schweinezucht, Handel mit Fettwaren, Kram- und Viehmärkte.

Versöhnung, nach kirchlichem Sprachgebrauch die Wiederherstellung der durch die menschliche Sünde gestörten Gemeinschaft mit Gott. Die innere Unseligkeit des Schuldbewußtseins und das dadurch hervorgerufene Mißverhältnis des Gottesbewußtseins zum menschlichen Selbstbewußtsein hat schon in denjenigen heidn. Religionen, die sittlichen Gehalt in sich tragen, das Streben erweckt, das gestörte Verhältnis zur Gottheit wiederherzustellen. Indem man sich dabei Gott selbst nach menschlicher Weise beleidigt oder zürnend vorstellte, suchte man den Zorn Gottes durch Opfer und Gebete zu sühnen. Auch die alttestamentliche Religion kennt die Versöhnungsidee, worauf mehr oder weniger ihr ganzes Schuld- und Sühnopferwesen, besonders aber die Ceremonie am großen Versöhnungstag (s. d.) beruht. Aber erst im Christentum trat diese Idee in den Mittelpunkt der religiösen Betrachtung. Schon Jesus selbst hat seinem Tode die Bedeutung eines Lösegeldes für Viele (Matth. 20, 28), eines Passah- und Bundesopfers (Matth. 26, 28; Mark. 14, 24; Luk. 22, 15 fg.) gegeben. Auf Grund dieser Aussprüche und alttestamentlicher Stellen, wie Jes. 53, 10‒12, wurde sein Kreuzestod schon von der ältesten Christengemeinde als ein Sühnopfer für die Sünden des Volks gefaßt, woran sich bei Paulus der Gedanke reihte, daß durch Christi Blut die V. zwischen Gott und den Menschen überhaupt vermittelt worden sei. Der Hebräerbrief führte diesen Gedanken durch eine Parallele des Todes Jesu mit dem jüd. Versöhnungsfeste noch weiter aus. Hieraus entwickelte sich die kirchliche Versöhnungslehre, deren erste vollständige Ausführung bei Anselm (s. d.) von Canterbury vorliegt. Nach derselben konnte der durch die menschliche Sünde verletzten Ehre Gottes nur dadurch Genüge geschehen, daß der Gottmensch freiwillig durch seinen Tod ein Äquivalent für die von der Menschheit verschuldete Strafe bezahlte (Genugthuung Christi).

Die altprot. Theologie bildete diesen Gedanken dahin weiter, daß sie die Genugthuung Christi nicht sowohl wegen einer Ehrbeleidigung Gottes, sondern wegen der Verletzung des heiligen Gesetzes, das Gott öffentlich zu vertreten und aufrecht zu erhalten hat, für notwendig erachtete. Das Ungenügende des vorwiegend juridischen Charakters dieser Theorie führte schon im Reformationszeitalter Milderungsversuche herbei (s. Erlösung), bis der Rationalismus die ganze Vorstellung, daß Gott versöhnt werden müsse, bestritt und nur eine V. des sündigen Menschen mit Gott durch Reue und Besserung für notwendig erklärte, ohne jedoch zu erkennen, was der christl. Gedanke der V. überhaupt bezwecke. (S. Rechtfertigung.) Die von Schleiermacher ausgegangene Theologie stellte die Versöhnungslehre hinter die Erlösungslehre zurück, wogegen Hegel die V. philosophisch umdeutete als Rückkehr des endlichen Geistes zur Einheit mit dem absoluten Geiste. Die neuere prot. Theologie faßt die V. nicht als juridischen oder metaphysischen, sondern als