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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Versuchsanstalten - Verteidigung

an einem untauglichen Objekte oder mit untauglichen Mitteln handelt. Ob in solchen Fällen der V. zu strafen sei oder nicht, ist seit lange in Theorie und Praxis streitig. Das Deutsche Reichsgericht hat mit Plenarbeschluß von 1880, nicht ohne lebhaften Widerspruch von anderer Seite, ausgesprochen, es werde die Strafbarkeit des V. dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Thäter zur Herbeiführung des beabsichtigten, aber nicht eingetretenen Erfolgs sich absolut untauglicher Mittel bedient hat, also etwa, um einen Giftmord herbeizuführen, eines Mittels, das der Thäter für Gift hielt, das aber Zucker war, und es hat diesen Grundsatz auch ausgedehnt auf den Fall des V. an einem untauglichen Objekt (ein Tötungsversuch an einem toten Menschen). Daß sog. Wahnverbrechen (z. B. das Unternehmen, einen andern durch Beten zu töten) nicht strafbar sind, darüber herrscht allgemeine Übereinstimmung. – Vgl. Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich (5. Aufl., Berl. 1897); von Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts (8. Aufl., 2 Bde., ebd. 1897).

Versuchsanstalten, soviel wie Prüfungsanstalten (s. d.).

Versuchsstationen, landwirtschaftliche oder agrikulturchemische, s. Landwirtschaftliche Versuchsstationen.

Versuchswesen, forstliches, s. Forstliches Versuchswesen.

Versumpfung, militär. Hindernismittel, s. Anstauung.

Versüßter Salpetergeist, s. Salpeteräther.

Vert., Abkürzung für verte, vertatur (lat., wende um).

Vertäfelung, s. Täfelwerk.

Vertagung (vom altdeutschen tagen, d. h. Gericht halten), die Verlegung der Fortsetzung einer gerichtlichen Verhandlung auf einen spätern Termin. Der Ausdruck wird auch von den Versammlungen der Landtage und Reichstage gebraucht, wenn diese auf einige Zeit ausgesetzt (nicht «geschlossen») werden. Das Recht dieser V. ist dem Staatsoberhaupt vorbehalten. (S. auch Session.)

Vertäuen oder Vermooren, ein Schiff vor zwei Anker legen. Das V. geschieht gewöhnlich an Orten, wo Ebbe und Flut herrscht, weil bei dem Wechsel derselben sich dann nur das Schiff um sich selbst drehen, aber die Kette sich nicht um den aufrecht stehenden Stock des Ankers schlingen kann.

Vert diamant (frz., spr. währ diamáng), soviel wie Malachitgrün (s. d.).

Vertĕbra (lat.), Wirbel; vertebrāl, zu den Wirbeln gehörig.

Vertebrālsystem oder Spinalsystem, die Gesamtheit des Rückenmarks (s. d.) und der daraus entspringenden Nerven. (S. auch Cerebralsystem.)

Vertebrāta (lat.), soviel wie Wirbeltiere (s. d.)

Verteidigerliste, nach der Österr. Strafprozeßordnung (§. 39) eine Liste, welche jeder Gerichtshof zweiter Instanz für seinen Sprengel anzulegen, jährlich zu erneuern und allen Strafgerichten zur Offenhaltung zu jedermanns Einsicht zuzustellen hat. In dieselbe sind vorerst alle die Advokatur wirklich ausübenden Advokaten, auf ihr Ansuchen aber auch für das Richteramt, die Advokatur oder das Notariat geprüfte Rechtsverständige, sowie alle Doktoren der Rechte, welche Mitglieder des Lehrkörpers einer rechts- oder staatswissenschaftlichen Fakultät sind, Staatsbeamte jedoch nur mit Bewilligung ihrer vorgesetzten Dienstbehörde aufzunehmen. Die Aufnahme kann, vorbehaltlich der Beschwerde an den Justizminister, verweigert werden, wenn Umstände vorliegen, welche nach dem Gesetz die Ausschließung von dem Richteramt, der Advokatur oder dem Notariat zur Folge haben. Als Verteidiger in Strafsachen kann jeder gewählt werden, der in die V. eines der im Reichsrat vertretenen Länder eingetragen ist; an seinem Wohnort ist nach §. 43 jeder Eingetragene zur Übernahme der Verteidigung der Regel nach verpflichtet.

Verteidigung oder Defension (jurist.). Schon im Inquisitionsprozeß war nach Abschluß der Generalinquisition die Zuziehung eines Verteidigers (Defensors) gestattet und bei schweren Fällen geboten, der bei der Specialinquisition zugegen sein und vor Fällung des Erkenntnisses eine Verteidigungsschrift einreichen durfte. In dem heutigen mündlichen Anklageprozeß liegt die wesentliche Aufgabe der V. zwar in der Hauptverhandlung; doch kann sich der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens, also auch schon im Vorverfahren, des Beistandes eines Verteidigers bedienen. Die V. greift hiernach entweder in das vorbereitende Verfahren ein, indem sie beschwerende Maßregeln, wie Anlegung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft, die Versetzung in den eigentlichen Anklagestand, von dem Angeschuldigten abzuwenden strebt (Nebenverteidigung), oder sie sucht einen Einfluß auf das Endurteil zu gewinnen (Hauptverteidigung). Zu dem letztern Zwecke stellt sie noch in der Hauptverhandlung etwa nötige Beweis- oder Vertagungsanträge, achtet auf die Wahrung der zu Gunsten des Angeklagten gegebenen Prozeßvorschriften, beteiligt sich, soweit zulässig, an der Befragung der Zeugen und Sachverständigen, legt endlich im Schlußvortrage neben Erörterung der Rechtsfrage, indem sie etwa nachweist, daß die angeklagte That nach der dem Strafgesetz zu gebenden Auslegung nicht strafbar ist, je nach der Sachlage die Mängel des Anschuldigungsbeweises dar, z. B. wenn der äußere Thatbestand nicht vollständig ermittelt, der Hauptzeuge höchst verdächtig ist, die Indizien, aus denen die Schuld des Angeklagten abgeleitet wird, nicht schlüssig sind, oder bemüht sich um einen Unschuldsbeweis, z. B. daß der Angeklagte sich zur Zeit der That an einem ganz entfernten Orte befunden, daß er in gerechter Notwehr gehandelt, oder beschränkt sich auf Hervorhebung der dem Überführten zu gute kommenden Strafmilderungsgründe. Auch in höherer Instanz greift die V. ein. Zum Verteidiger kann gewählt werden in Österreich jeder, der in die Verteidigerliste eines der im Reichsrat vertretenen Länder eingetragen ist, in Deutschland jeder bei einem deutschen Gericht zugelassene Rechtsanwalt sowie jeder Rechtslehrer einer deutschen Hochschule, andere Personen nur mit Genehmigung des Gerichts. Der als Verteidiger gewählte Rechtsanwalt kann mit Zustimmung des Angeklagten die V. einem Rechtskundigen übertragen, welcher die erste jurist. Prüfung bestanden und seit mindestens zwei Jahren im Justizdienst beschäftigt ist. Dem Beschuldigten ist auch die Beiziehung mehrerer Verteidiger gestattet, in Österreich jedoch mit der Beschränkung, daß dadurch eine Vermehrung des dem Angeklagten gestatteten Vorträge in der Hauptverhandlung nicht herbeigeführt werden darf. Die V. ist notwendig mit der Wirkung, daß dem Angeklagten selbst gegen seinen Willen ein Verteidiger bestellt werden muß, in der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht, nach der Deutschen Strafprozeßordnung auch in den Sachen, welche in erster Instanz vor dem Reichsgericht zu verhandeln sind, und wenn der Angeschuldigte taub oder stumm