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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Vertragsbuch - Verurteilung

biger kann die Vertragserfüllung durch Klage erzwingen oder in den geeigneten Fällen auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung, und wenn eine Konventionalstrafe festgesetzt ist, auf diese klagen. Mit öffentlicher Strafe wird der V. in der Regel nicht bestraft. Zwei Ausnahmen kommen vor: 1) Die Nichterfüllung von Lieferungsverträgen über Kriegsbedürfnisse des Heers oder der Marine oder über Lebensmittel zur Beseitigung eines Notstandes wird mit Gefängnis nicht unter 6 Monaten und fakultativem Ehrverlust bestraft, fahrlässige Nichterfüllung mit Schadenserfolg geringer. Dieselben Strafen treffen Unterlieferanten, Vermittler und Bevollmächtigte des Lieferanten, wenn sie die Nichterfüllung mit Kenntnis des Zwecks der Lieferung vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit herbeiführen (Strafgesetzb. §. 329: zuständig Strafkammer). 2) Der Bruch des Heuervertrags ist strafbar, im Inlande und Auslande, nach Strafgesetzb. §. 298, wenn ein Schiffsmann mit der Heuer entläuft oder sich verborgen hält, um sich dem Dienste zu entziehen, mit Gefängnis bis zu 1 Jahr (Strafkammer), in andern leichtern Fällen strafbar nach §. 81 der Seemannsordnung vom 27. Dez. 1872. In Landesgesetzen ist zuweilen der V. seitens des ländlichen Gesindes unter Strafe gestellt. So in Preußen durch das Gesetz vom 24. April 1854, das auch auf Schiffsknechte im Dienste von Stromschiffern Anwendung findet. Neuerdings haben die seitens der Arbeiter in großer Zahl unter Bruch des Arbeitsvertrags zur Ausführung gebrachten Arbeitseinstellungen (s. Streik), die schwere Schädigung, die dadurch für die öffentlichen Interessen herbeigeführt wurde, und die Wahrnehmung, daß das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitern eine allgemeine Verbitterung erfuhr, zu der Erwägung geführt, ob nicht die öffentliche Aufforderung zur widerrechtlichen Arbeitseinstellung oder zur widerrechtlichen Entlassung von Arbeitern zu strafen sei. Diese Erwägungen hatten zu einem entsprechenden Vorschlage seitens der verbündeten Regierungen in der dem Reichstage 1890 vorgelegten Novelle zur Gewerbeordnung (dem sog. Arbeiterschutzgesetz) geführt. Zum Gesetz ist dieser Vorschlag nicht geworden. Die geltende Gesetzgebung giebt unzweifelhafte Mittel, die öffentliche Aufforderung zum V. zu strafen, nicht an die Hand, wenngleich das Reichsgericht gelegentlich ausgesprochen hat, daß diese Aufforderung als Aufforderung zum Ungehorsam gegen die Gesetze nach §. 110 des Strafgesetzbuchs unter Umständen strafbar sein könne. – Vgl. Löning, Der V. und seine Folgen, Bd. 1 (Straßb. 1876); Sickel, Die Bestrafung des V. und analoger Rechtsverletzungen in Deutschland (Halle 1876); Lueder, Über die kriminelle Bestrafung des Arbeitskontraktbruchs (Erlangen 1875); Dietz, V. im Arbeits- und Dienstverhältnis (1890); Löning im «Handwörterbuch der Staatswissenschaften», Bd. 1 (Jena 1890).

Vertragsbuch, s. Gerichtshandelsbuch.

Vertragshäfen, s. Hafen.

Vertragsstrafe, s. Konventionalstrafe.

Vertragstarif, s. Generaltarif.

Vertretbare Sachen, Aufdruck des Handelsgesetzbuchs von 1861 und 1897 und der Civilprozeßordnung und des Bürgerl. Gesetzb. §§. 91, 700, 706, 783 für Sachmengen, welche im Verkehr nach Gewicht, Zahl, Maß bestimmt zu werden pflegen, weil dem Empfänger regelmäßig nichts darauf ankommt, ob er dies oder ein anderes gleichwertiges Stück desselben erhielt, römisch: quae pondere, numero, mensura constant, auch fungible Sachen, Quantitätssachen oder Gattungssachen genannt, also Geld, Getreide u. dgl.; den Gegensatz bildet die konkrete und individuelle Bezeichnung einer Sache. Die Eigenschaft der Vertretbarkeit wird durch die Gepflogenheiten des Verkehrs bestimmt. Die Vertretbarkeit bewirkt, daß der Schuldner auf Unmöglichkeit der Erfüllung sich nur berufen kann, wenn die Gattung untergegangen ist. Die V. S. sind oft verbrauchbare Sachen, wie Wein oder andere Getränke und Eßwaren, Tabak u. s. w., doch decken sich beide Begriffe nicht.

Vertreter, gesetzlicher, s. Stellvertreter.

Vertugalles oder Vertugadins (frz., spr. wärrtügadäng), s. Reifröcke.

Vertumnus (vom lat. vertĕre, wechseln), der altitalische Gott des Jahreswechsels, den man sich in wechselnden Gestalten, vorzugsweise aber als Gärtner mit Gartenmesser und Früchten vorstellte. Es wurde ihm ein Opfer am 13. Aug. dargebracht.

Vērulē (Werule), ind. Dorf, s. Elurā.

Veruntreuung, s. Unterschlagung.

Verurteilung, s. Strafurteil. Unter bedingter V. versteht man ein Rechtsinstitut, kraft dessen dem Richter die Befugnis gegeben wird, bei erstmaligen V., welche eine bestimmte Dauer nicht übersteigen (z. B. 6 Monate), die Aussetzung des Strafvollzugs auf gewisse Zeit (z. B. 5 Jahre) unter der Bedingung anzuordnen, daß der Verurteilte während dieser Zeit keine strafbaren Handlungen oder keine solche bestimmter Kategorie (z. B. Vergehen) begeht. Wird die Bedingung erfüllt, so gilt die V. als nicht ergangen oder wenigstens (Norwegen) die Strafe als verbüßt. Die bedingte V. soll als Ersatzmittel dienen für kurzzeitige Freiheitsstrafen. Von diesen behauptet man, sie erfüllten den Strafzweck nicht, namentlich insoweit derselbe auf Besserung gerichtet ist. Der Ernst des Strafvollzugs sei in der Kürze der Zeit dem Sträfling nicht zum Bewußtsein zu bringen; die kleinen Gefängnisse, in denen die kurzen Strafen vollstreckt würden, böten keine ausreichenden Bürgschaften für eine geregelte, als Strafe empfundene Arbeit, selbst nicht für eine genügende Aufsicht; bei der oft vorkommenden Unzulänglichkeit der Isolierung sei die Gefahr eines schädlichen Einflusses seitens gewohnheitsmäßiger Verbrecher auf erstmalig Verurteilte, namentlich jugendliche, nahe liegend. Außer der bedingten V. sind daher noch als Ersatz- oder Ergänzungsmittel für kurzzeitige Freiheitsstrafen vorgeschlagen: Zwangserziehung, Geldstrafe, Aufenthaltsbeschränkung, Friedensbürgschaft und Verweis. Die bedingte V. ist eingeführt in Belgien (Gesetz vom 31.Mai 1888 mit Novelle vom 27. Juni 1895), in Frankreich (31. März 1891), in Luxemburg (23. Mai 1892), in Portugal (6. Juli 1893), in Norwegen (2. Mai 1894). Der ständige Strafgesetzausschuß für den Österr. Strafgesetzentwurf von 1889 hatte die Einführung der bedingten V. vorgeschlagen. In Italien hat der Minister Bonacci der Deputiertenkammer 2. März 1893 den Entwurf eines Gesetzes über die bedingte V. vorgelegt. Der Vorentwurf eines Schweiz. Strafgesetzbuchs von 1896 hat sie ebenfalls angenommen (Art. 50). Die amtlichen Rechenschaftsberichte Belgiens und Frankreichs sprechen sich durchaus günstig über die Resultate aus. Im Durchschnitt machen die Gerichte erster Instanz in Belgien bei 35 Proz. aller V. zu Ge- ^[folgende Seite]