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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Wiener Kongreß

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Wiener Kongreß

Wiener Kongreß, eine von den am Kriege gegen Napoleon Ⅰ. beteiligt gewesenen Mächten zur Ordnung der europ. Verhältnisse einberufene Versammlung, die vom Sept. 1814 bis zum Juni 1815 in Wien tagte und in erster Linie über die künftige territoriale Gestaltung Europas Entscheidung treffen sollte. Im Drange des Krieges waren zwischen den Verbündeten nur einzelne und allgemein gehaltene Vereinbarungen getroffen worden, so in den Verträgen von Kalisch, Reichenbach und Teplitz (28. Febr., 14. und 27. Juni, 9. Sept. 1813); einige Rheinbundsstaaten hatten mit Unterstützung Metternichs durch Sonderverträge ihren Länderbestand sich gesichert (Bayern durch den Vertrag von Ried 8. Okt., Württemberg durch den von Fulda 2. Nov. 1813); andererseits waren Frankreichs künftige Grenzen schon in dem Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 festgestellt worden. Noch aber blieben der unerledigten Fragen eine große Zahl. Während des Sept. 1814 trafen in Wien die Bevollmächtigten aller europ. Staaten ein. Außer den Monarchen von Österreich, Rußland, Preußen, Dänemark, Bayern, Württemberg, Baden und vielen andern fürstl. Personen wohnten dem Kongreß die ersten Staatsmänner der Zeit bei. Eine Menge glänzender Feste zog den Kongreß von seinen eigentlichen Aufgaben ab; erst die Rückkehr Napoleons nach Paris beschleunigte den Abschluß der Verhandlungen.

Schon die Geschäftsordnung und die Form der Beratungen boten erhebliche Schwierigkeiten. Die Bevollmächtigten von Österreich, Preußen, Rußland, England kamen überein, zwei Ausschüsse niederzusetzen, den einen für die deutschen, den andern für die europ. Angelegenheiten. Während der erstere von Österreich und den vier deutschen Königreichen Preußen, Hannover, Bayern und Württemberg gebildet wurde, gehörten dem letztern die Vertreter der fünf europ. Großmächte sowie der Vertreter Spaniens an; aber von der Behandlung der wichtigsten Frage, von der Verteilung der zurückgewonnenen Gebiete, sollten Spanien und Frankreich ausgeschlossen bleiben; doch verstand es Talleyrand, der Bevollmächtigte Ludwigs ⅩⅧ., auch hierin sich einzudrängen. Die kleinern Mächte sahen sich bald ganz in den Hintergrund gedrängt.

Die wichtigste Angelegenheit bei der Restauration der alten Mächte bildete die territoriale Entschädigung von Rußland und Preußen; England hatte sich die von ihm begehrten Erwerbungen schon gesichert; auch Österreich hatte bereits in Deutschland und Italien die verlorenen Provinzen zurückgewonnen und auch die Gebiete schon besetzt, die ihm als Ersatz für abgetretene Landschaften dienen sollten. Kaiser Alexander wünschte das Herzogtum Warschau mit den alten russ.-poln. Provinzen zu einem nationalen Königreich Polen zu vereinigen, das mit Rußland nur durch Personalunion verbunden werden sollte. Da sich des Kaisers Forderungen hauptsächlich auf das bis 1806 zu Preußen gehörende Polen, auf das Weichselland, erstreckten, so war von der russ. Entschädigung auch die preußische abhängig, und von letzterer wiederum hing die Verteilung bei den deutschen Kleinstaaten ab. Als Haupterwerb für Preußen war das Königreich Sachsen in Aussicht genommen. Bereits 8. Nov. 1814 hatte Preußen förmlich die Verwaltung von Sachsen übernommen. Allein die sächs. Pläne Preußens und die polnischen Rußlands stießen bei den andern Mächten auf einen heftigen Widerstand. Hardenberg und Humboldt hatten anfänglich den Versuch gemacht, mit Österreich und England zu einer Verständigung über Sachsen zu gelangen. Nachdem jedoch infolge des persönlichen Eingreifens König Friedrich Wilhelms im Nov. 1814 Preußen vollständig auf die Seite Rußlands getreten war, ging auch Castlereagh in das österr.-franz. Lager über, und auch die ehemaligen Rheinbundstaaten, insbesondere Bayern, Württemberg und Hessen, schlossen sich dieser Partei an. Die poln. Frage trat mehr und mehr zurück, da sich Zar Alexander zu einigen Konzessionen geneigt zeigte, indem er zugab, daß Thorn und Krakau neutrale Freie Städte werden sollten. Dagegen wurde der Streit um Sachsen immer erbitterter; es brach auch eine publizistische Fehde aus, und schließlich drohte sogar ein offener Krieg zwischen Preußen und Rußland einerseits und den Anhängern Metternichs und Talleyrands andererseits auszubrechen. Österreich, Frankreich, England schlossen 3. Jan. 1815 eine Tripelallianz, der die kleinern Staaten beitraten, aber endlich kam es nach gegenseitigen Zugeständnissen doch zu einer Einigung. Sachsen ward geteilt, die südl. Hälfte dem Albertiner Friedrich August zurückgegeben, die nördl. Hälfte mit Preußen vereinigt. Eine weitere Forderung, die Erwerbung von Leipzig, konnte Preußen nicht durchsetzen, erhielt aber dafür von Zar Alexander (Febr. 1815) die Festung Thorn zurück. Die Unterzeichnung der Verträge mit Polen und wachsen verzögerte sich bis in den Mai 1815. Vorher schon, 8. April, hatten die drei Ostmächte einen besondern Vertrag abgeschlossen, durch den Krakau zu einem neutralen, unter dem Schutz der drei Mächte stehenden Freistaat erklärt wurde.

Da Preußen auf die Hälfte von Sachsen Verzicht geleistet hatte, so sollten ihm weitere Entschädigungen im Westen zu teil werden. Mit den alten Besitzungen Cleve, Mark, Ravensberg, Minden, Geldern und dem schon 1803 erworbenen Münster und Paderborn wurden weitere ehemals geistliche und auch weltliche Gebiete in Westfalen und am Rhein vereinigt, aus denen nun drei neue preuß. Provinzen gebildet wurden: Westfalen, Cleve-Berg und Niederrhein (1824 letztere vereinigt zur Rheinprovinz). Dagegen trat Preußen einen Teil von Geldern und Cleve, das Land an der Maas, an die holländ. Oranier, Ansbach-Bayreuth an Bayern, Hildesheim, Goslar, die untere Grafschaft Lingen sowie Ostfriesland an Hannover ab. Ein persönliches Verdienst Hardenbergs war die Erwerbung von Schwedisch-Vorpommern und Rügen. Dänemark, das statt Norwegens diese Lande von Schweden erhalten hatte, gab sie für 2 Mill. Thlr. und für Lauenburg an Preußen, dem es gelang, die reichen vorpommerschen Lande zu gewinnen und so endlich den letzten Rest skandinav. Herrschaft an der deutschen Ostseeküste zu beseitigen.

Die meisten deutschen Mittel- und Kleinstaaten blieben in dem Umfange bestehen, den sie während der Napoleonischen Zeit erlangt hatten. Von den bei der Gründung des Rheinbundes mediatisierten Staaten wurden nur Hannover, Hessen-Cassel, Oldenburg und Braunschweig wiederhergestellt. Westfalen, Berg, Würzburg und Frankfurt sowie die Gebiete einiger kleinerer Rheinbundsfürsten wurden aufgeteilt. Hannover wurde durch die Gunst der Engländer erheblich vergrößert; für Lauenburg erhielt es Ostfriesland und außerdem die untere Grafschaft Lingen, Hildesheim und Goslar. Bayern hatte für Tirol, Salzburg und das Innviertel, die an