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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Wilhelm Ⅱ.

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Wilhelm Ⅱ. (Deutscher Kaiser und König von Preußen)

Thäter, Dr. Karl Eduard Nobiling, der sich selbst eine schwere Wunde beibrachte, wurde verhaftet und starb 10. Sept. an den Folgen seiner Verwundung. Der Kaiser übertrug für die Dauer seiner Behinderung 4. Juni dem Kronprinzen seine Vertretung in der obern Leitung der Regierungsgeschäfte. Die herzliche Teilnahme der Bevölkerung fand insbesondere einen Ausdruck in der Kaiser-Wilhelms-Spende (s. d.). Nach dem Gebrauch verschiedener Heilquellen vollzog sich die Genesung. Am 5. Dez. übernahm er die Leitung der Regierungsgeschäfte.

Die kaiserl. Botschaften vom 17. Nov. 1881 und 14. April 1883 entrollten ein Programm socialer Reformen, welches in dem Krankenkassengesetz 1883, dem Unfallversicherungsgesetz 1884 und Erweiterungen und Übertragungen dieser Gesetze auf andere Gewerbe noch zu W.s Lebzeiten wenigstens teilweise Verwirklichung fand. Sein Erlaß an das Staatsministerium vom 4. Jan. 1882 trat scharf der Verdunkelung des verfassungsmäßigen Königsrechtes entgegen, die er und Bismarck bei der Opposition wahrzunehmen glaubten.

Mit frohem und gehobenem Sinn nahm W. die Huldigungen, die ihm von Deutschlands Fürsten und Bevölkerung zu seinem 90. Geburtstage, 22. März 1887 (dem 1. Jan. 1887 schon sein 80jähriges Militärdienstjubiläum vorausgegangen war), in überströmender Fülle zu teil wurden, entgegen.

Durch die Schicksalsschläge, die seine nächsten Angehörigen am Abend seines Lebens trafen, namentlich durch die schwere Erkrankung seines Sohnes, war der Kaiser tief erschüttert, und seine körperliche Frische litt. Am 6. März begannen seine Kräfte bedenklich zu sinken. Am Morgen des 9. März 1888 um 8½ Uhr verschied er. Die Leiche wurde im Dom zu Berlin aufgebahrt und 16. März nach Charlottenburg übergeführt und im dortigen Mausoleum beigesetzt. Durch Erweiterung des letztern konnten die Marmorsarkophage W.s und seiner Gemahlin (von Encke) daselbst Aufnahme finden.

Ein festes und klares Gleichmaß aller Willens- und Verstandeskräfte war der Grundzug seines Wesens. Er wurzelte in den Überlieferungen der preuß. Monarchie, in ihren Ideen strenger Pflichterfüllung und Gerechtigkeit gegen alle Stände, und darum war er im stande, obgleich er den polit. Strömungen des Tages eher reserviert gegenüber stand, doch ihren gesunden Kern zu erfassen und die der Nation vorschwebenden Ideale von Verfassungsleben, nationaler Einheit und Socialreform, praktisch und ohne Schwärmerei, aber mit treuem und warmem Herzen in das Leben zu führen. Das Heerwesen war sein Stolz und seine Freude, aber als Lenker des Staates ließ er sich nicht durch Vorurteile und Neigungen beeinflussen. Peinlich und genau im Dienst, vor allem gegen sich selbst, war er fast beispiellos mildherzig und weich, wo er fremdes Elend sah. Schlichte, aber höchst lebendige Frömmigkeit beseelte ihn, demütig fühlte er sich nur als Werkzeug der Vorsehung. «Kaiser W.s Ⅰ. polit. Korrespondenz» erschien 1890 in Berlin, «Weiland Kaiser W.s d. Gr. militär. Schriften 1821‒65» (2 Bde., Berl. 1897) wurden auf Befehl Kaiser Wilhelms Ⅱ. vom preuß. Kriegsministerium herausgegeben.

Von deutschen Regimentern führen jetzt W.s Namen: das preuß. Grenadierregiment Nr. 7, das rhein. Husarenregiment Nr. 7, das 6. bayr. Infanterieregiment, das 2. sächs. Grenadierregiment Nr. 101, das 2. bad. Grenadierregiment Nr. 110, das 2. großherzoglich hess. Infanterieregiment Nr. 116 und das 2. württemb. Infanterieregiment Nr. 120.

Unter den dem Kaiser W. errichteten Denkmälern sind hervorzuheben: das Nationaldenkmal zu Berlin (1897, von R. Begas), das Denkmal auf dem Kyffhäusergebirge (s. d., 1896, von B. Schmitz und Hundrieser), das Denkmal auf dem Wittekindsberg (s. d., 1896, von B. Schmitz und Zumbusch), die Reiterstandbilder an der Kölner Rheinbrücke (1867, von Drake), zu Metz (1892, von Ferd. von Miller), Siegen (1892, von Reusch), Görlitz (1893, von Pfuhl), Bromberg (1893, von Calandrelli), Bremen (1893, von Bärwald), Mannheim (1894, von Eberlein), Stettin (1894, von Hilgers), Breslau (1896, von Chr. Behrens), Frankfurt a. M. (1896, von Buscher), Koblenz (1897, von Hundrieser), Karlsruhe (1897, von Heer), Magdeburg (1897, von Siemering).

Vgl. Adami, Das Buch vom Kaiser W. (2 Bde., Bielef. und Lpz. 1887‒90; 2. Aufl. 1897 fg.); Hahn, W. Ⅰ., Kaiser des neuen Deutschen Reichs (Berl. 1888); Kugler, Kaiser W. und seine Zeit (Münch. 1888); W. Müller, Kaiser W. (Berl. 1888); von Natzmer, Unter den Hohenzollern (4 Bde., Gotha 1887‒89); ders., Kaiser W. Ⅰ., die Prinzeß Elise Radziwill und die Kaiserin Augusta (Berl. 1890); Oncken, Das Zeitalter des Kaisers W. (2 Bde., ebd. 1890‒92); ders., Unser Heldenkaiser (ebd. 1897); Schneider, Aus dem Leben Kaiser W.s (3 Bde., ebd. 1888); von Sybel, Die Begründung des Deutschen Reichs durch W. Ⅰ. (Bd. 1‒7, Münch. und Lpz. 1889‒94); von Treitschke, Zwei Kaiser (Berl. 1888); 81 Dienstjahre Sr. Maj. des Kaisers und Königs W. (Potsd. 1888); Aus dem Leben Bernhardis, Tl. 3‒6 (Lpz. 1894‒97); Buchner, Kaiser W. (2. Aufl., Lahr 1895); Lavisse, Trois empereurs d’Allemagne (Par. 1888); Ed. Simon, L’empereur Guillaume et son règne (ebd. 1887; deutsch Jena 1887); Erdmannsdörffer, Kaiser W. Ⅰ. (Heidelb. 1897); Marcks, Kaiser W. Ⅰ. (Lpz. 1897).

Wilhelm Ⅱ., Friedrich W. Victor Albert, Deutscher Kaiser und König von Preußen, geb. 27. Jan. 1859 in Berlin als ältester Sohn des damaligen Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, spätern Kaisers und Königs Friedrichs Ⅲ., und seiner Gemahlin Victoria, geborenen Prinzeß-Royal von Großbritannien. Seit seinem siebenten Jahre wurde dem Prinzen ein Militärgouverneur beigegeben; seit 1866 genoß er den Unterricht des Dr. Hinzpeter. Am 27. Jan. 1869 wurde er als Sekondelieutenant der 1. Compagnie des 1. Garderegiments zu Fuß zugeteilt. Nach seiner Einsegnung (1. Sept. 1874) trat W. in die Obersekunda des Gymnasiums zu Cassel, wo er 25. Jan. 1877 die Reifeprüfung bestand. Am 9. Febr. 1877 trat er als Premierlieutenant beim 1. Garderegiment zu Fuß ein und bezog im Herbst desselben Jahres die Universität Bonn, wo er vornehmlich Rechts- und Staatswissenschaften studierte, auch am Studentenleben, insbesondere dem der Korps, Anteil nahm.

Im Herbst 1879 verließ er Bonn, widmete sich von nun an wieder in Potsdam dem militär. Dienste und verlobte sich 14. Febr. 1880 in Gotha mit der Prinzessin Auguste Victoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, worauf 27. Febr. 1881 in Berlin die Vermählung folgte. Am 16. Sept. 1881 wurde Prinz W. zum Major befördert und zur Dienstleistung bei dem Gardehusarenregiment kommandiert, 13. Juni 1883 wurde er