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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Bakterien
Durch allzu hohe oder zu niedrige Temperatur, durch
Nahrstoffmangel, durch Gifte wird die Bewegung
der V. aufgehoben. Sehr eigentümlich ist der rich-
tende Einfluß, den viele chem. Stoffe auf die Be-
wegung der V. ausüben und der sich, je nach der
Natur des Vakteriums und des betreffenden Stoffes,
fowie nach der Konzentration des letztern, bald in
Anziehung, bald in Abstoßung äußert; man be-
zeichnet dieses Verhalten als Chemotaris (s. d.).
Von der aktiven Eigenbewegung der V. ist die, be-
sonders bei kleinern Formen häusig zur Beobachtung
gelangende, rein pafsive (die Brownfche Molekular-
bewegung) zu unterscheiden, die sich als leichtes
Zittern und Pendeln auf der Stelle ohne eigent-
liches Fortschreiten darstellt und auf den stets vor-
handenen minimalen mechan. Erschütterungen be-
ruht. Sie ist in ganz gleicher Weise auch bei fein
suspendiertem leblosem Material wahrzunehmen.
Die Vermehrung der B. erfolgt, wie bereits er-
wähnt, regelmäßig durch Zweiteilung, wobei die
Zelle, nachdem sie eine bestimmte Länge erreicht hat,
eine quere Spaltung erführt. Daneben sind aber
neuerdings auch bei einigen B., nämlich beim Tu-
berkelbacillus und Diphtheriebacillus, echte Ver-
zweigungen, Astbildungen beobachtet worden, wo von
einer Zelle aus zwei verschiedene neue Wachstums-
richtungen eingeschlagen werden; diese gegenüber
der gewöhnlichen Vermehrung durch Zweiteilung
übrigens quantitativ ganz zurücktretenden Verbält-
nisse sind für die Erkenntnis der verwandtschaftlichen
Beziehungen der V. zu höhern Pillen, insbesondere
zu den Streptotricheen, von Wichtigkeit. Außer zur
Fortpflanzung durch Bildung gleichartiger neuer
Zellen sind die B. auch zur Bildung von Taucr-
formen besähigt; diese, die Sporen, sind ausge-
zeichnet durch eine ganz außerordentlich verstärkte
Widerstandskraft gegenüber der Einwirkung schäd-
licher äußerer Agentien und vermögen daber das
Fortbestehen des Lebens der B. auä/unter sehr un-
günstigen äußern Bedingungen zu garantieren. Zu
dieser außerordentlichen Resistenz sind die Sporen
wahrscheinlich durch zwei Momente befähigt, erstens
durch den sehr geringen Gehalt ihres Protoplasten
an Wasser, wodurch z. B. seine Gerinnbarkeit durch
Hitze, die bei wasserhaltigem Eiweiß schon bei 45
bis 75" (I erreicht wird, fast vollständig aufgehoben
ist, zweitens aber durch den mächtigen Schutz,
welchen eine den Sporeninhalt umgebende Sporen-
membran von sehr bedeutender Festigkeit und Im-
permeabilität gewährt. So erklärt es sich, daß die
widerstandsfähigsten Sporen mehrstündiges Kochen
ertragen und selbst durch die stärksten chem. Des-
infektionsmittel erst nach längerer Einwirkung zu
töten sind; auch dem Eindringen von Farbstoffen
setzen sie außerordentlichen Widerstand entgegen.
Sporenbildung tritt, wie es scheint, besonders leicht
dann ein, wenn die Lebensbcdingungen für die B.
ungünstiger werden, also unter dem Einfluß der
Erschöpfung des Nährbodens, der Austrocknung
u. s. w.; der in seiner Existenz bedrohte Spaltpilz
geht dann in eine Dauerform über, in der sein Leben
zwar nur latent ist, aber bei Eintritt günstiger äußerer
Verhältnisse wieder aufblühen und zum Ausgangs-
punkt ungezählter neuer Generationen werden kann.
Die Haltbarkeit der Sporen ist sicher eine sehr lange;
jahrelange Lebensfähigkeit von Milzbrandsporen ist
bereits direkt festgestellt worden. Der Akt der
Tporenkeimung ist auch schon direkt beobachtet
worden; die Sporenhaut platzt an einer Stelle, und
aus dem Innern dringt ein zarter Keimling heraus,
der sich rasch zur vegetativen Zelle entwickelt und in
bekannter Weise durch Spaltung vermehrt. Die
Sporen entstehen endogen im Protoplasma, wahr-
scheinlich durch einen Verdichtungsprozeß des letztern;
die Gestalt der sporenbildenden Zelle ist bei ver-
schiedenen Arten verschieden, für die einzelne Art
aber ganz typisch; so z. B. bildet sich beim Milz-
brandbacillus die Spore in der Mitte des genau
cylindrisch bleibenden Vacillus, beim Tetanus-
bacillus hingegen an dem einen Ende des Bacillus,
so daß sie ihm wie der Kopf eines Nagels auf-
sitzt; manche Buttersäurebacillen zeigen bei der
Sporenbildung eine keulen- oder spindelförmige
Aufschwcllung; solche Formen bezeichnet man als
Clostridium. Neben diesen Endosporen, die
z übrigens durchaus nicht bei allen B., sondern nur
bei einer beschränkten Anzahl von Arten vorkommen,
hat man wohl auch sog. Arthrosporen unter-
schieden, bei denen sich der gesamte Zellleib zu Sporen
umbilden sollte, ohne so eingreifende morpholog.
Umgestaltung wie bei den Endosporen; doch bedarf
diese Behauptung noch sehr der Bestätigung. - In
ältern Kulturen treten häufig merkwürdige, ganz
regellose Veränderungen der Gestalt der B. ein, in
Form schlecht oder ungleichmäßig fürbbarer kolbiger
oder kugeliger Aufschwellungen, Verkrümmungen
u. s. w. der einzelnen B.; diese alsInvolutions-
! formen bezeichneten Gebilde sind abnorme, beimAb-
sterben der V. eintretende Veränderungen.
Sehr bemerkenswerte Aufschlüsse sind durch das
Studium der biologischen Eigenschaften der
B. gewonnen worden; dieselben haben nicht nur das
Verständnis vieler durch B. hervorgerufener für die
Technik, die Landwirtschaft oder die Heilkunde be-
deutsamer Vorgänge, wieinsbesondere das Studium
der Ferment- und Gärwirkungen, der Zerlegung der
organischen Substanzen im Boden und vor allem
der Krankhcitsvorgänge angebahnt, sondern ver-
sprechen auch über das Neich der B. hinaus für die
allgemeine Biologie aller Organismen von größter
Tragweite zu werden; denn die B. sind einfachste
einzellige Organismen, zudem exakter Erforschung
l zugänglich, so daß sich an ihnen Fragen allgemein-
> stcr Natur über Lebensvorgänge entscheiden lassen,
sür die der höhere Organismus wegen seiner Kompli-
ziertheit kein geeignetes isoliertes Substrat mehr dar-
bietet. Was zunächst die chemische Zusammen-
setzung des Zellleibes der V. anlangt, so ist vor
allem das starke Hervortreten der stickstoffhaltigen
gegenüber den stickstofffreien Verbindungen, der Ei-
weißkörper gegenüber den Kohlehydraten zu er-
wähnen, welche letztern einen wichtigen Bestandteil
des Zellleibes der den B. nahe stehenden Hefe- und
Schimmelpilze ausmachen. Cellulose, die bei diesen
Pilzen die Zellwand konstituiert, ist nur bei wenigen
V. nachgewiesen; Stä'rkekörncr, die in den chlorophyll-
führcnden Zellen höherer Pflanzen eine hochwichtige
! Rolle spielen, indem sie das primäre Assimilations-
produkt darstellen, sind ebenfalls nur bei ganz ver-
! cinzelten Arten von V. festgestellt worden; im all-
! gemeinen ist es für die B. charakteristisch, daß die
Bedeutung der Kohlehydrate in ihrer chem. Zu-
sammensetzung gegenüber der der Eiweißkörper ganz
zurücktritt. Sehr bemerkenswert ist fernerhin, daß
die V., wie neuerdings durch Cramer nachgewiesen
wurde, in ihrer quantitativen chcm. Zusammen-
setzung nicht, wie höhere Lebewesen, an einen ganz
bestimmten Typus gebunden sind, sondern sich inner-